Wie man einen klaren und kühlen Kopf bewahrt

Management im Kopf: Folge 54. Komplexität meistern – Selbstführung. Ein unprofessioneller Umgang mit Komplexität programmiert hartnäckige Konflikte, gefährliche Krisen und Stresskrankheiten.

Wer Komplexes meistern will, muss bei der Selbstführung beginnen. Aktuell bringt Maria Pruckner in ihrer Kolumne „Management im Kopf“ dazu Anregungen auf der Basis verlässlicher Erkenntnisse aus den Systemwissenschaften.

Einfache Systeme gibt es nur in der Theorie. Die Praxis war schon immer überall komplex und dynamisch. Durch digitale Daten- und Kommunikationssysteme wird sie bloß zunehmend komplexer und dynamischer. Unser aller Problem ist dabei das Bremermann‘sche Limit – die unüberwindbare Grenze menschlicher und technischer Informationsverarbeitung. Ein guter Teil relevanter Informationen bleibt immer in der „Black Box“. Um zumindest die entscheidenden zu erfassen und verarbeiten, geht es primär längst darum, einen klaren und kühlen Kopf zu bewahren. Wie ganzheitlich und konsequent die Selbstführung des Einzelnen angelegt ist, davon hängt ab, ob Situationen besser oder schlechter werden.

Permanenter Informationsmangel

Das Bremermann’sche Limit bedeutet, dass Komplexes immer von unlösbarem Informationsmangel begleitet ist. Uns fehlen also permanent wichtige Informationen. Das führt – insbesondere in Situationen, mit denen man zu wenig Erfahrung hat – zu Unsicherheit, Stress und Angst. Aus Selbstschutz blendet das Gehirn dann alles Komplizierte, Undurchschaubare und Unberechenbare aus. Bewusst wird nur noch ein kleiner Ausschnitt aus der Realität, der einem vertraut ist. Die Dinge erscheinen einem dann nicht mehr so komplex wie sie sind.

Hohes Fehlerpotenzial

Weil die Komplexität durch diese Schutzreaktion des Gehirns leider nur scheinbar geringer wird, passieren dann viele Fehler, die man nicht bemerkt, von denen nichts besser wird und durch die sich die Lage zunehmend verschärft. Bestens erforscht wurde diese Logik des Misslingens allen voran von Dietrich Dörner, den ich vor einem Jahr hier vorgestellt habe. Dörner konzentriert sich auf das Denken und Handeln in komplexen Realitäten und liefert seit den 1970er-Jahren aus seiner Forschungsarbeit Ergebnisse, die man unbedingt beachten sollte.

Hohes Konfliktpotenzial

Besonders in der Arbeitswelt sind an der Klärung komplexer Situationen viele beteiligt, und zwar mit ihrem jeweils persönlichen Realitätsausschnitt, den ihr Gehirn generiert. Niemand kann das Ganze komplett sehen. Auch nicht jene, die mit passenden Grundlagen und Instrumenten arbeiten. Sie sind ebenfalls auf die Informationen anderer angewiesen. Fallen unterschiedlichste Sichtweisen auf dasselbe zusammen, die häufig auch auf unterschiedlichen Weltbildern beruhen, sind unweigerlich hartnäckige Konflikte programmiert.

Das Dilemma der Komplexitätsfalle

Das Zusammenspiel zwischen unlösbarem Informationsmangel und dem damit verbundenen Fehler- und Konfliktpotenzial führt in ein typisches Dilemma, das ich 2005 unter dem Titel "Die Komplexitätsfalle" publiziert habe. Dieses Problem spielt sich zwischen dem Gehirn, vegetativen Nervensystem und seiner Umwelt ab. Können die entscheidenden Informationslücken nicht gelöst werden, endet diese Eigendynamik mit Eskalationen und totalen Zusammenbrüchen. In der Kybernetik bezeichnet man solche Dynamiken als Entropie.

Bequemlichkeit wirkt fatal

Das professionelle Meistern komplexer Situationen erfordert die hohe Bereitschaft, viele erwartete und unerwartete Informationen aufzunehmen und in seine Betrachtungen und Überlegungen zu integrieren. Und zwar, egal ob sie sympathisch sind oder nicht. Hauptsache, die Informationen sind für eine Situation relevant. Man darf nichts Bestimmtes erwarten, muss aber auf alles gespannt sein und wissen, worauf man die Aufmerksamkeit lenken muss. Das schafft man nur durch laufendes Training. Bequemlichkeit ist hier ein Killer.

Keine Angst vor der Angst

Alle Menschen reagieren auf Komplexes mit Angst. Sie wird nur mehr oder weniger verdrängt und mehr oder weniger subtil ausagiert. Diese Angst wirkt unter Menschen wechselseitig, blockiert das klare Denken und das vorhandene Problemlösungspotenzial. Betrachten Sie diese Angst als eine natürliche Reaktion, so wie eine Grippe, die man sich durch einen Virus holt. Sie ist nicht angenehm, aber normal. Es gibt auch keinen Grund, sich ihretwegen zu schämen. Peinlich sollte einem nur sein, nicht zu wissen, dass es diese Angstreaktion gibt.

Täglicher Stressabbau

Angst und Stress sind wie siamesische Zwillinge. Sie hängen und wirken zusammen. Stress entsteht durch das Ausschütten von Stresshormonen. Sie erhöhen die Energiezufuhr in die Muskulatur zwecks Kampf oder Flucht, und schalten dabei den Betrieb der Hirnregionen für das systematische Denken ab. Nur durch genug körperliche Anstrengung verschwinden diese Stresshormone wieder aus dem Blutspiegel. Planen Sie daher – täglich – ausreichend viel Bewegung und Anstrengung durch körperliche Haus- und Gartenarbeit und/oder Sport ein.

Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf

Komplexität wirkt quasi wie eine Falle, die einen immer tiefer in schwierige Situationen hineinzieht. Stemmen Sie sich dagegen. Lassen Sie sich weder bis tief in die Nacht an Ihr Smartphone, noch an Ihren Computer oder an irgendwelche Network-Events fesseln, von denen Sie sich wertvolle Hinweise oder Kontakte erhoffen. Schlafen sie stattdessen ausreichend und möglichst auch immer dann für eine kurze Weile, wenn Sie tagsüber Müdigkeit überfällt. Je weniger Schlaf, umso weniger Informationsverarbeitung. Das Gehirn braucht diese Ruhe.

Nicht ständig denken

Ihr Wissen steckt in unzähligen Neuronenverbindungen im Gehirn. Je öfter Sie dasselbe denken, umso öfter aktivieren Sie bestimmte Neuronennetze, umso kräftiger werden deren Strukturen. Je seltener Sie etwas Bestimmtes denken, umso schwächer sind die entsprechenden Neuronennetze ausgeprägt. Was Sie zwar wissen, aber noch nicht oft genutzt haben, feuert daher zu schwach, um ins Bewusstsein zu dringen. Es wird von den Aktivitäten stärkerer Neuronennetze überlagert. Was dagegen hilft, klingt absurd: nicht denken.

Dem Gehirn Ruhe zum Denken lassen

Nicht zu denken, ist die oberflächlichste Form der Meditation. Vielen fällt sie schwer, weil Komplexes oft einen Drang – wenn nicht Zwang – zum Kontrollieren und Grübeln provoziert. Wer es nicht schafft, eine Weile gedankenleer ins Nichts zu starren, hat gute Alternativen. Durch einfache körperliche Tätigkeiten, wie sie etwa im Haushalt oder Garten anfallen, kommt das Gehirn zur Ruhe. Dann können schwächere Neuronennetze leichter aktiv werden, und so schlummernde wertvolle Gedanken viel eher ins Bewusstsein bringen.

Geeignete Realitätsfilter

Was Ihre Neuronen in Ihr Bewusstsein bringen, hängt von Ihrer Lernvergangenheit ab. Damit meine ich nicht nur das, was Sie durch den Besuch von Schulen und das Absolvieren von Ausbildungen gelernt, sondern alles, was Sie sich durch Sehen, Hören, Lesen und Beobachtungen in Ihren Umgebungen angeeignet haben. Ihre Bildung ist quasi der Decoder für das, was Sie als Wirklichkeit wahrnehmen. Je mehr das, was Sie wissen und denken, tatsächlich auf die Realität zutrifft, umso weniger Probleme werden Sie haben.

Gesunde Bildung

Betrachten Sie alles, was Sie geistig aufnehmen, genauso wie Nahrung. Achten Sie sorgfältig darauf, welche Informationen und welches Wissen geeignet sind, tatsächlich wirksame Probleme zu erkennen und zu lösen. Nicht alles, was man wissen kann, hilft. Vieles führt auch in die Irre. Achten Sie darauf, mit welcher Absicht und welchen Qualifikationen die Nachrichten, Hinweise und Theorien verbreitet wurden, mit denen Sie konfrontiert sind. Profis arbeiten übrigens mit einer gut ausgestatteten Bibliothek, und kaum mit Quellen aus dem Internet.

Gesunde Ernährung

Denken und lernen sind körperliche Vorgänge, bei denen chemische Botenstoffe eine wichtige Rolle spielen, die Ihr Körper selbst herstellen muss. Das ist mit einem hohen Bedarf an einer Vielfalt von Nährstoffen verbunden. Deshalb ist eine entsprechend gesunde Ernährung wichtig. Jeder Stoffwechsel ist anders, jeder muss die beste Ernährung für sich selbst finden. Wichtig ist, dass sie vielfältig ist und möglichst natürlich. Selbst zu kochen hat zudem den wunderbaren meditativen Nebeneffekt, den ich weiter oben erwähnt habe.

Realitätsblindheit

Jeder kennt mehr oder weniger prominente Persönlichkeiten, die von ihrer irrationalen Sicht der Dinge absolut überzeugt sind. Das ist normal und passiert jedem. Komplexes unterbindet unweigerlich den Kontakt mit der Realität. Man steht ihr per se immer realitätsblind gegenüber. „Wir sehen nicht, dass wir nicht sehen…“, hat Heinz von Foerster diesen Umstand einfach und kurz auf den Punkt gebracht. Es ist wichtig, sich das immer im Bewusstsein zu halten und prinzipiell immer davon auszugehen, dass man sich getäuscht haben könnte.

Realitätsgewinn

Der beste Kontakt zur Realität entsteht durch Theorien, welche diese so beschreiben, wie sie tatsächlich abläuft. Solche Theorien sind geeignete Relevanzfilter, um die Aufmerksamkeit gezielt zu steuern und das Wahrgenommene professionell zu beurteilen. Die Theorien für die Probleme und Möglichkeiten mit komplexen Systemen kommen aus den Systemwissenschaften, allen voran der Kybernetik, wie ich sie in den ersten 52 Beiträgen hier in dieser Kolumne vorgestellt habe. Sich auf sie zu stützen, hilft mehr als alles andere.


Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche kybernetische System-Modelle und Denkwerkzeuge für den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens in Wien stattet und bildet sie Führungskräfte sowie interne und externe Experten aus, die in Unternehmen und Institutionen komplexe Situationen professionell meistern müssen.

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?
Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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