Die Rückkehr der Allrounder

Breites Allgemeinwissen hatte auf dem Arbeitsmarkt lang wenig Wert. Gefragt war enges Spezialistentum. Jetzt dreht sich das wieder. Und stellt Personalisten vor Herausforderungen.

Kann kopfrechnen. Hat Goethes „Faust“ gelesen. Beherrscht genug Latein, um in Italien durchzukommen. So in etwa präsentierte sich ein durchschnittlicher Maturant, den Günter Wenzina, ÖBB-Personalleiter Infrastruktur, vor 15 Jahren rekrutiert hätte. Und ja, Grundbegriffe politischer Bildung hätte er auch mitgebracht. Und im Religionsunterricht „ein paar ethische Geschichten“ diskutiert und dabei gelernt, die richtigen Fragen zu stellen.

Dann kam der Trend zur Spezialisierung: „Kind, lern einen Beruf“, empfahlen weitblickende Eltern ihrem Sprössling. Humanistisches Wissen bringt dir keinen Job.

Und so strebte jeder 14-Jährige, der schon eine vage Idee für seinen künftigen Beruf hatte, in eine berufsbildende Schule. Fünf Jahre später verließ er sie mit einer Matura, die auf ein Allgemeinwissensgerippe reduziert war, dafür mit einem fertig erlernten Beruf.

Maturantische Wissenslücken

Inzwischen zeigen sich schmerzlich die Lücken. „Fragen Sie einmal einen Maturanten nach zwei Kärntner Seen“, seufzt Wenzina, selbst ein Babyboomer. Der Maturant würde auf seinem Tablet die Antwort zwar schneller finden, als sie ein Wissender aus seinem Kopf abrufen könne – aber er könne mit der Information nichts anfangen.

Für Wenzina ist das mit ein Grund, warum sich die Generationen miteinander schwertäten: weil sie in ihren Köpfen verschiedene Vorstellungen von der Welt haben.

Jetzt schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung aus. Auf einmal ist Breitenwissen wieder gefragt. Weil Fachwissen blitzartig veraltet sein kann, sinniert Wenzina. Weil ohnehin niemand mehr in seinem erlernten Beruf in Pension geht. Weil nur Generalisten Wechselwirkungen erkennen und einordnen können. Und weil man nur sie in Querschnittsfunktionen einsetzen kann.

Breit aufstellen – und digital

Eine große Ausnahme gibt es: Digitalkompetenz werden künftig alle brauchen. Ohne zumindest die Basics wird weder Generalist noch Spezialist beruflich überleben.

Gunter Reimoser, neuer Country Managing Partner von EY, ergänzt um ein Argument aus seiner Berufswelt, jener der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Transaktions- und Managementberater. Jede dieser Materien sei hochkomplex und brauche Expertenwissen, sagt er. Aber ein reiner Fachexperte sei nicht mehr in der Lage, die vernetzten Kontexte seiner Kunden zu verstehen. Reimosers Strategie: Generalisten engagieren, sie on the job auf ihren Bereich spezialisieren, dabei aber „neugierig halten“ auf die anderen Bereiche.

Leicht wäre das nicht, meint er, er kämpfe gegen die knappen zeitlichen Ressourcen seiner Teams. Darum sehe er es „als eines der wichtigsten Vorhaben meiner Amtszeit“ an, ihre Wissensbasis um die Nachbarfelder zu erweitern.

Prinzip Selbstverantwortung

Schon einen Schritt weiter ist Sabine Bothe, HR-Leiterin von A1. Vor einem halben Jahr führte sie eine E-Learning-Plattform mit mehr als 2000 Lerninhalten ein. „Wir haben die Leute gar nicht mehr gefragt, was sie brauchen“, sagt sie, „sondern ihnen einfach diese riesige Menge an Wissen zur Verfügung gestellt. Und jetzt schauen wir, was sie herausziehen.“

Im Moment ließen sich erst grobe Trends erkennen: Informations- und Kommunikationstechnikwissen (IKT), Methodenwissen und Führungstheorie: „Das holen sich vor allem diejenigen, die noch keine Führungsaufgabe haben.“

Eine Hürde musste Bothe erst überwinden: die Konsumhaltung der Mitarbeiter. „Früher hieß es, wir treffen uns in zwei Stunden, und ihr bekommt eine Präsentation. Jetzt muss jeder selbst initiativ werden und sich Zeit freischaufeln.“ Zwar gebe es Jahresgespräche, in denen Weiterbildungsthemen identifiziert und terminisiert werden. In Summe aber verantworte jeder Mitarbeiter seine Employability selbst: „Die Botschaft heißt: ,Egal, wann und wo du was lernst: Finde deinen Weg selbst.‘“

(Print-Ausgabe, 29.07.2017)

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