„Rein rational entscheiden ist nicht machbar“

Walk & talk. Erst die Wanderung, dann die Diskussion: Beim „Talk auf der Alm“ im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach ging es um die Frage, wie sich in dynamischen und komplexen Zeiten trotzdem gute Entscheidungen fällen lassen.

Die Ernüchterung kam gleich zu Beginn der Diskussion: Wenn es um Entscheidungen geht, ist Rationalität eine Illusion, sagte Birgit Stetina von der Sigmund-Freud-Privatuniversität. Der Großteil aller Fragen werde emotional entschieden. „Ich weiß, wir hätten es gern anders“, räumte die Psychologin ein, „die Menschen lieben Sicherheit.“ Doch ohne Emotion könnten wir gar keine Entscheidungen treffen. „Rein rational entscheiden, das ist nicht machbar“, sagte Stetina. Wichtig sei das Bewusstsein darüber, welche Emotionen uns in Entscheidungssituationen leiten.

Es gibt nicht zwei Arten von Entscheidungen, es spielen immer Emotionen und Kognitionen, sogenannte Rationalisierungen, zusammen. „Unser Job ist es herauszufinden, wie diese miteinander interagieren.“
Birgit Stetina war einer der Podiumsgäste beim „Talk auf der Alm“ im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach, zu dem „Die Presse“, JTI, G4S und Suchocki Executive Search geladen hatten und zu dem „Presse“-Geschäftsführer Rudolf Schwarz heuer bereits zum zweiten Mal begrüßte. Nach der Wanderung von Alpbach auf die Zirmalm diskutierten die Teilnehmer mit dem Sicherheitsexperten und ehemaligen Chef der Spezialeinheit Cobra, Wolfgang Bachler, Ralf-Wolfgang Lothert, Head of Corporate Affairs & Communication bei JTI, Oliver Suchocki (Suchocki Executive Search) und G4S-Vorstand Matthias Wechner das Thema „Entscheide dich! Schnell! Und richtig!“.

Eine Frage, die sich gerade in dynamischen und komplexen Zeiten stellt, in denen sehr oft unter Informationsdefizit und Zeitmangel entschieden werden muss. Zudem würden Regularien zunehmen, meinte Lothert. „Auch die Angst vor Fehlern nimmt zu. Man recherchiert noch intensiver, was Entscheidungen noch schwieriger macht.“ Manchmal werden Entscheidungen dann erst recht unmöglich. Das Gegenteil davon sei die „Hauruck-Start-up-Kultur“. „Daher“, sagte Lothert, „ist es unsere Aufgabe als Führungskräfte, einen Entscheidungskorso festzulegen.“ Und dieser sei eine Frage der Unternehmenskultur.

Eine Veränderung der Unternehmenskultur hatte Matthias Wechner vor einigen Jahren bei G4S eingeleitet. Das eher hierarchisch organisierte Haus wandelte er in ein Unternehmen mit flachen Strukturen um. „Wichtig war, den Mitarbeitern einen Raster und damit eine emotionale Sicherheit für Entscheidungen in ihrem täglichen Arbeitsumfeld zu geben.“ Und das sei eigentlich ein ewiger Prozess.

Dieser erfordere unter anderem eine Portion Vertrauen. Das sei auch ein wesentlicher Punkt bei Personalfragen, sagt Executive-Searcher Suchocki. Er relativierte die Verlässlichkeit von Assessmentcentern: „Bei der Suche nach dem perfekten Mitarbeiter bauen wir scheinbare Sicherheiten auf.“ Viele der Testungen machen letztlich nicht schlauer. „Wir müssen das Vertrauen haben, die richtige Personalentscheidung zu treffen. Das ist die Aufgabe der Führungskraft.“ Ebenso würden Algorithmen, die vermehrt zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, nur Scheinsicherheiten liefern.

Bitte nicht nicht entscheiden

Viel wichtiger sei, eine qualifizierte Ausgangslage für Entscheidungen zu bereiten. Ein sauberer Vorbereitungsprozess sei weniger eine Frage der Intelligenz, sondern des Fleißes. „Da passieren die meisten Fehler“, sagte Bachler. „Man macht sich die Welt meistens schöner, als sie ist. Und das ist das Gefährlichste, was man tun kann.“ Man solle sich nicht weigern „zu akzeptieren, dass die Lage ist, wie sie ist. Das ist ein Fehler, den man nicht wiedergutmachen kann.“ Deswegen gab es in all seinen Teams eine „Kicker“-Rolle im Team: jemanden, der als „Key-Questioner“ die Aufgabe hat, kritisch zu hinterfragen. Fehlentscheidungen allerdings gehören zum Entscheiden dazu. „Mir ist lieber, eine Entscheidung mit 90 Prozent Wissen zu treffen als eine mit 150 Prozent, und ich komme um sechs Monate zu spät“, sagte Lothert.

Ähnlich argumentierte Bachler: „In Sicherheit frühzeitig aus dem Leben zu scheiden ist keine nutzbare Handlungsalternative zum Leben“, meinte er pointiert. Nur zwei Prozent aller Entscheidungen würden unter Sicherheit getroffen werden, der Rest sei Entscheiden unter Unsicherheit.

Manchmal müsse man als Führungskraft sagen: „Es geht mir nicht gut dabei. Aber ich muss das jetzt entscheiden. Bitte tragt in der verbleibenden Zeit dazu bei. Führungskräfte werden nicht unsympathischer dadurch, dass man sie als Mensch begreifbar macht.“
Entscheidungen könne man „in time“, „in budget“, „in quality“ treffen. In dynamischen, schwierigen Situationen sei es aber wahrscheinlich klug, „in time“ zu entscheiden: „Wenn ich zu schnell bin, kann das fehlerhaft sein, aber dann habe ich möglicherweise meine Entscheidung schon wieder repariert, bevor andere entschieden haben“, sagte Bachler.
Und noch etwas: Man solle keine Angst vor der Angst haben, Entscheidungen zu treffen. Doch man solle sich diesem Angstgefühl auch nicht verschließen: „Man soll sich dieses Gefühl hin und wieder auch geben. Dann fühlt man sich sicherer in der Angst.“
„Was macht eine gute Entscheidung aus?“, fragte Moderator Michael Köttritsch („Die Presse“) abschließend. Bachler brachte es mit seiner 4-G-Formel auf den Punkt: Gedacht – gewählt – getan – gelernt.

(Print-Ausgabe, 2.9.2017)

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