Die Musik, der Ferrari, die Berufung

Porträt. Der Komponist, Entertainer und Produzent Clemens Schaller philosophiert über Karrieremachen, Irrwege, Suchen und Finden. Parallelen zu anderen Berufen sind kein Zufall.

Er wurde in eine Musikerfamilie hineingeboren. Der Großvater Komponist, der Vater Professor an der Musikhochschule, der gleichaltrige Cousin heute Solo-Cellist bei den Wiener Symphonikern. Die beiden Buben konnten nicht oft herumtollen: Schon als Kind übte der Cousin sieben Stunden täglich.

Mit sechs Jahren fand Clemens Schaller (heute 46) heraus, dass Mozart in seinem Alter die erste Oper komponiert hatte. Es wird Zeit, dachte er. Die Familie urlaubte gerade in der Steiermark, das inspirierte ihn zur „Heumanderl-Oper“. Sie wurde nie fertig.

Sein Cousin, sagt er, das war der musikalische Hochleistungssportler, von klein auf. Schaller ließ sich mehr Zeit. Genussvoll dem „Zentralfriedhof“ von Wolfgang Ambros zu lauschen und dabei seinen ersten „Tschick“ zu rauchen machte ihn glücklicher. Er gewann Schülerwettbewerbe und träumte davon, Berufsmusiker zu werden, zu schreiben und zu komponieren.

Ob er sich für begabt hielt? „Nicht unbedingt. Aber wenn ich mir anschaue, was aus mir geworden ist, muss da schon etwas da sein. Und sei es nur der Drang, der Wunsch und Wille.“

Mach alles, und das verlässlich

Also studieren. Jazz am Jazzkonservatorium, Tasteninstrumente der Popularmusik an der Musikuniversität und Gesangspädagogik, um auch unterrichten zu können. Er schloss alles ab. Die Engagements ließen nicht lang auf sich warten. Barpianos, Partybands, Klavier im Theater, Rock 'n' Roll, Motown, Soul, 170 Auftritte im Jahr. Man riss sich um ihn, und er verstand, was ihn von den unterbeschäftigten Kollegen unterschied: Er unterhielt nicht nur sein Publikum, er war auch zu 100 Prozent verlässlich. In der Branche ist das keine Selbstverständlichkeit.
Mitte seiner Dreißiger, eine Familie und zwei Kinder später, beschlich ihn das Gefühl, sich zu verbiegen. War das wirklich er? Wie lang wollte er noch jeden zweiten Abend auftreten? Sein Professor an der Musikuniversität hatte ihm einmal gesagt, man müsse zu dem zurückfinden, was einem mit 13, 14 Jahren Spaß gemacht hat. Was war das nur gewesen?

Musik ist wie ein Ferrari, philosophiert Schaller. „Steht man davor, ist man hin und weg. Zerlegt man den Ferrari aber, erst die Sitze und das Lenkrad, dann den Motor, und hat man alle Einzelteile vor sich liegen – dann ist er nicht mehr so toll. Dann hat der Ferrari seine Faszination verloren.“
Er kenne nur einen einzigen Weg, sie wiederzufinden: den Ferrari schleunigst wieder zusammenzubauen und erneut über seine Schönheit zu staunen, jetzt aber zu wissen, wie er funktioniert.

Mit Herzblut geschrieben

Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Irgendwo hörte er einen Gassenhauer des 1959 verstorbenen Klavierhumoristen Hermann Leopoldi („Schnucki, ach Schnucki, fahr' ma nach Kentucky“). Plötzlich war alles wieder da. Der „Zentralfriedhof“. Der „schönste Mann von Wien“ der Worried Men Skiffle Group. „Sehn S', des is Weanerisch“ von Peter Alexander. Hatte er nicht immer komponieren wollen, Lieder schreiben, singen? So wie Leopoldi, vermeintlich leicht, locker und luftig, aber mit tiefgründiger Doppelbödigkeit. Das war es!
Auf dem Begräbnis einer Schulfreundin spielte Schaller seine ersten selbst geschriebenen Lieder. „Herzblut“ hieß eines davon. Das Leben war so kurz. Und es gab Wichtigeres, als allabendlich „New York, New York“ in Hotelbars zu trällern.

Dinge, die bleiben

Heute bringt er jedes Jahr eine CD mit modernen Wienerliedern heraus. Arbeitet mit den Größen der Szene, stellt solo oder mit Gleichgesinnten Kleinbühnenprogramme zusammen. Spielt dort Klavier, und wenn es ihm gefällt, singt er auch. Er muss jetzt nicht mehr.
Ein Gedanke wird drängender: Dinge zu schaffen, die Bestand haben. Wie die Hymne zur 50-Jahr-Feier seiner Heimatstadt Purkersdorf: „Das Lied wird mich vielleicht überleben.“ Oder die Arbeit mit seinen Schülern. Weil Wissen an die nächste Generation weiterzugeben auch eine Form von Fortleben ist.
Nur seine Oper legte er endgültig ad acta. Weil das nicht sein Genre ist. Das weiß er jetzt.

(Print-Ausgabe, 09.09.2017)

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