Wertewelt. In den Beschreibungen der Generation Y findet er sich nicht wieder.Sie würden doch nur für die Arbeitsmarkteliten gelten, sagt der Lehrling, nicht für mich.
Karriere? Sinn? Work-Life-Balance? Mit den Werten der „verweichlichten“ bürgerlichen Jugend wollen Lehrlinge nichts zu tun haben. Sie haben andere: Körperlich stark wollen sie sein. Optisch attraktiv. Modisch aktuell. Und natürlich sexuell leistungsfähig.
300 Lehrlinge, quotiert nach Geschlecht und Bundesland, befragte die Trendagentur tfactory für ihre „Erste Österreichische Lehrlingsstudie“. Deren Erkenntnisse könnten Personalisten, die ihre Lehrlingspolitik am gängigen Bild der Gen Y festgemacht haben, gar nicht gefallen. Die Übereinstimmungen sind marginal.
Und so beschreibt die Studie den missverstandenen Lehrling: Er (oder sie) empfindet beinharten Wettbewerbs- und Konkurrenzdruck. Nur die Besten kommen ins Gymnasium, das hat man ihm von klein auf eingebläut. Er war nicht dabei, was seinem intellektuellen Selbstwert einen bleibenden Knacks bescherte. Die Zweiklassengesellschaft zeigt sich früh.
Verbissener Körperkult
Die Jugendlichen ziehen daraus zwei Konsequenzen. Wer kann, verlegte sich auf körperlicher Stärke und Attraktivität. „Körperkapital anstelle von traditionellem Kulturkapital“ heißt das in der Sprache der Studie, welche auf die „hohe Bedeutung des Körpers in den hedonistischen Lehrlingsmilieus“ hinweist. Dieser ist Investitionsobjekt und Produktionsmittel zugleich. Lean Management heißt hier, einen schlanken, straffen, durchtrainierten Körper vorführen zu können. Erfolgreich ist, wer ihn (und damit sich selbst) gut vermarktet.
Dass das für beide Geschlechter gilt, beweist der Run auf die Hardcore-Kraftkammern. Wer allerdings keine überdefinierten Muskeln sein Eigen nennt, wird zum Verlierer abgestempelt. Diese Jugendlichen neigen zu „Ängstlichkeit und aggressivem Konformismus“, sagen die Autoren.
Beide Gruppen verbindet ihr Unterlegenheitsgefühl gegenüber der Maturanten- und Studenten-Gen Y. Sie sehnen sich nach Anerkennung – und wollen sie durch Anpassung bekommen. Lieber der sichere Mainstream als die exzentrische Elite, lautet das Credo. Man zieht sich auf die traditionellen Rollen und auf eine unspektakuläre Normalität zurück. Westentaschenmachismo oder Heim und Herd vermitteln Sicherheit und die Illusion eines planbaren Lebens. Der „Sinn“, den die Elite-Gen Y in sozialem oder Umweltengagement sucht, heißt hier: Konsum.
Alles für die Anerkennung
Der Wunsch nach Anerkennung geht so weit, dass man der voyeuristischen Öffentlichkeit in den Social Media jede, auch die persönlichste Information preisgibt, wenn sie denn nur Aufmerksamkeit bringt. Das Leben findet in der Auslage statt, vornehmlich in der virtuellen. Die stärksten Medien sind die visuellen, flüchtig wie YouTube oder Instagram und unverbindlich wie Snapchat.
Für Personalisten: Hier lassen sich – Stichwort Employer Branding – die Jugendlichen auch am besten ansprechen: mit visueller, bildzentrierter Kommunikation, mit „präsentativer statt diskursiver Symbolik“.
Wobei man ihre Konzentration nicht überstrapazieren darf. Von „deep attention“ (lange Konzentration, geringe Ablenkbarkeit, Fokus auf eine Medienquelle) können HR, Marketer und Ausbilder nur träumen. Das Fachwort heißt „hyper attention“ (kurze Aufmerksamkeitsspanne, hohes Stimulanzbedürfnis, geringe Toleranz für Langeweile, simultane Mediennutzung und schnelle Wechsel). Und: „Die Kommunikation erfolgt impulsgesteuert ohne Reflexion“, urteilen die Autoren.
Was daraus folgt
Wollen Unternehmen Lehrlinge ansprechen, müssen sie sich mit deren Wertewelt auseinandersetzen. Erstens mit dem Körperkult: in Form von Sport-, Fitness- und Bewegungsangeboten etwa. Oder, als „fringe benefit“, eher mit G-Star-Raw-Modegutscheinen denn mit Weiterbildung.
Zweitens, mit dem Bedürfnis nach Sicherheit, einem planbaren Leben und einem Platz in der Gesellschaft. Hier könnten sich Firmen die alten Werte Stabilität, Beständigkeit und Zugehörigkeit auf die Fahnen heften.
Drittens, mit Tempo und Abwechslung in Ausbildung und Job. Mehr als zehnminütige Lerneinheiten sind fruchtlos, kreative Praxis bringt mehr. Neue Medien werden eher akzeptiert als alte Skripten. Und den Lieblingsbloggern (bei Mädchen: Tatjana Catic, bei Burschen: Rafael „Venicraft“) glaubt man eher als dem Personalchef.
(Print-Ausgabe, 28.10.2017)