Die zwei stärksten Führungskräfte

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Management im Kopf: Folge 79. InForMent. Komplexität und Führung: Die Macht von Werkzeugen und von Nachahmung

Unternehmen und Institutionen sind hochkomplexe Systeme. Kann man sie überhaupt führen? Und wenn ja, wie? Aktuell bringt Maria Pruckner in ihrer Kolumne MANAGEMENT IM KOPF dazu Anregungenauf der Basis ihrer langjährigen Erfahrung mit der praktischen Anwendung verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften.

Er war ein netter, verlässlicher und hochprofessioneller Kerl. Kein Tag, an dem er nicht wahnsinnig viel zu tun hatte und bemerkenswert viel leistete. Aber eines Tages wurde er seltsam. Auf meine E-Mails erhielt ich nur noch irrationale Antworten, und manchmal rief er mich nahezu tobsüchtig an. Das einzige, was in unserer Kommunikation noch funktionierte, war das Missverständnis. Ich hörte mich um, ob nur ich Probleme mit ihm hatte. Oh nein! Neuerdings sei er tatsächlich oft extrem schwierig, versicherten mir viele. Es dauerte eine Weile, bis ich das Problem herausgefunden hatte: Er hatte sich ein Blackberry beschafft, las seine E-Mails plötzlich unterwegs und nebenbei. Den Rest besorgte der kleine Bildschirm: Er hatte vielfach ganze Sätze in den Nachrichten ungelesen überscrollt, daher viele Botschaften total missverstanden. Das war das kleinere Problem. Das größere war: Bald benutzten viele Manager solcherart Geräte. Telefonieren wurde unmodern, die Missverständnisse wurden mehr. Heute fällt kaum noch auf, wie sehr die Werkzeuge der Telekommunikation und andere Tools auf den Erfolg und Misserfolg wirken. Die meisten verwenden, was die meisten verwenden. So geht man mit der Zeit…

Werkzeuge prägen das Verhalten

Der technische Fortschritt ist eine der stärksten Führungskräfte. Die Werkzeuge, die wir verwenden, steuern, wie wir uns verhalten. Neues Werkzeug bringt neues Verhalten hervor. Es hilft enorm, wenn Führungskräfte das im Auge haben. Denn nicht von jedem neuen Werkzeug wird unser Verhalten besser, auch wenn es gerade der totale Hype ist. Es wird aber auch nicht von jedem schlechter. Die passenden Werkzeuge für eine Aufgabe helfen sogar richtig gut. Es hilft, genau zu verstehen und im Auge zu haben, was ein Mensch mit seinen Tools macht und vor allem auch, was das Werkzeug bei diesem Menschen bewirkt. Die beeindruckenden Wechselwirkungen, die hier massiven Einfluss nehmen und in äußerst stabile Verhaltensmuster führen, hat Heinz von Foerster in seiner Arbeit „Objects token by (Eigen-)Behavior“ beschrieben.

Lesen auf den Bildschirm

Texte, die auf Bildschirmen gelesen werden, so weisen zum Beispiel mehrere Studien nach, werden viel oberflächlicher erfasst und viel schlechter behalten als Lektüre auf Papier. Gut möglich könnte das damit zu tun hängen, dass die meisten Menschen mit dem Bildschirm vor allem durch passive konsumatorische Aktivitäten vertraut sind, allen voran durch das Fernsehen. Das Lesen auf Papier lernen wir hingegen von Anfang an als aktive und oft auch anstrengende Arbeit kennen. Weitaus deutlicher zeigen sich die Leistungsunterschiede zwischen Papier und Bildschirm beim Untersuchen komplexer Probleme und Systeme. Die besten Kybernetiker, die ich kenne, arbeiteten bzw. arbeiten alle lange auf Papier und mit anderen haptischen Hilfsmitteln, bevor sie ihre Einsichten in digitale Daten und Modelle übertragen. Es braucht in jeder Hinsicht im reinsten Sinne des Wortes Raum, um entscheidende Zusammenhänge zu erkennen und zu überblicken.

Klärung im Weißen Labor

Ich arbeite zum Beispiel mit großen Zimmerwänden, die mit Whiteboardfolie tapeziert sind, kombiniert mit großen weißen Tischen, auf denen man schreiben und mit Objekten modellieren kann. Das mache ich zum Beispiel mit Managern, die vergeblich nach Worten ringen, um ihre Situation zu beschreiben oder zu verstehen. Lässt man sie die Ordnung und Wirkgefüge ihrer Situationen dreidimensional aufbauen, werden ihnen auch Situationen mit höheren Komplexitätsgraden rasch und nachhaltig klar. Für das Entwickeln hochkomplexer kybernetischer Lösungen habe ich von Stafford Beer das Organisieren der Dinge anhand von Polyedern übernommen. Funktioniert genial. Das Gehirn verarbeitet Worte und Sprache wie Räume. Auch der größte Bildschirm verhindert, dass sämtliche erfassbaren Faktoren sichtbar werden, zweidimensionales Sehen ist zu wenig. Das Haptische, Motorische und Räumliche sind wesentliche Aspekte des Lernens, vor allem des schnellen und nachhaltigen Lernens.

Nachahmung

Es genügt jedoch nicht, solche Methoden einfach nur nachzuahmen. Entscheidend sind – vom Sprechen bis zum Handeln – immer das Wissen und die Denkweise hinter den motorischen Aktivitäten. Trotzdem ist das Phänomen der Nachahmung neben der Technik die zweite Führungskraft, die mehr Einfluss nimmt als es jeder Chef erreichen kann. Nachahmung ist die erste Stufe des Lernens. Man versucht, etwas Vorbildern oder Modellen gleichzutun. Aber Nachahmen ist nur ein so tun als ob. Man tut etwas, versteht aber noch nicht warum. Läuft etwas nicht gut, weiß man daher auch nicht, was zu tun ist, um es zu korrigieren.

Vorbilder

Jeder kann beobachten, wie rasch Aussehen, Verhalten und die Sprechweise smarter Menschen nachgeahmt werden. Ich habe einmal ein großes Unternehmen beraten, in dem mir sofort aufgefallen war, dass auffällig viele Männer Schnurrbärte trugen. Wie ihr Chef, dem man schwere Führungsfehler nachsagte. Konnte das sein bei so viel Nachahmung? Ich rief die fünf namhaftesten Herrenfriseure der Stadt an, um mich zu erkundigen, ob Schnurrbärte gerade in Mode wären. Waren sie nicht. Wie sich bald herausstellte, waren die Vorwürfe gegen den schnurrbärtigen Top-Manager auf eine üble Intrige zurückzuführen. Die vielen Nachahmer in dieser Firma haben mich rasch auf die richtige Spur gebracht.

Werde zu einem Original

Zum Problem wird Nachahmung, wenn es bei dieser bleibt. Das heißt, wenn Lernprozesse nicht über das Imitieren hinausgehen. Egal ob es sich um das Arbeiten mit Management-Werkzeugen handelt, um andere Methoden, Verhaltens- oder Vorgehensweisen: In unseren Tagen gigantischer Veränderungsgeschwindigkeit bleibt den meisten Menschen oft nur noch das Nachahmen, weil ihnen die Zeit und Energie für eine tieferführende Auseinandersetzung fehlt. Kennt man sich mit den jeweiligen Systemen und Experten für sie aus, erkennt man sehr rasch, wer hier wen oder was kopiert, daher nur scheinbar verstanden hat. Als Führungskraft hilft es, alles dahinter zu setzen, damit aus Kopien Originale werden. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Mitarbeiter verstehen, was sie warum sagen und tun. Sie verhalten sich dann mit ziemlicher Sicherheit nicht so schnell wie beim Imitieren, es kommt aber mit ebenso hoher Sicherheit weitaus mehr dabei heraus, wenn Sie Ihren Mitarbeitern die Chance geben, das was sie tun und erreichen sollen, tiefer als an der Oberfläche zu durchdringen.

Vorbildwirkung und Sicherheitsmaßnahme

Als Führungskraft werden Sie nachgeahmt. Umso mehr, je mehr Ihr Verhalten überzeugt. Dann will man so sein wie Sie. Oder je mehr man Sie fürchtet. Dann wählt man Sie als Vorbild, um sich durch Ihr eigenes Verhalten rechtfertigen zu können. Je mehr und je rascher sich Situationen verändern, umso mehr haben Sie es auch mit dem Nachahmungseffekt zwecks Anpassung zu tun. Wo alle verunsichert sind, sieht man sich häufig um, wer am sichersten wirkt. Den ahmt man dann nach. Es sind oft die im Geiste Bescheidensten, die sich im Verhalten bemerkenswert unbescheiden geben. Sie führen die Gruppe irgendwo hin, aber so gut wie sicher nicht zum Erfolg. Die andere Variante ist das allgemeine sich Umsehen, wie sich die anderen verhalten. Man ahmt die anderen nach, um nicht aufzufallen. Was passiert, wenn sich alle an alle anpassen? Genau: Nichts mehr. Man verhält sich nur noch und sticht in all der wertvollen Arbeitszeit mit so tun als ob hervor.

Verlegenheiten

Selbstverständlich bringt die neue Zeit mit ihrem bis vor kurzem unvorstellbar rasanten Wandel eine Menge Unsicherheit mit sich. Diese Unsicherheit muss jedoch kein Grund für Verlegenheit sein. Je besser man verstanden hat, was es mit der neuen hochdynamisch-komplexen Welt auf sich hat, umso mehr erkennt man, dass es permanent darum geht, das Stadium des Nachahmens rasch zu überwinden. Darum, rasch zu verstehen, was Veränderungen für einen selbst, für den eigenen Arbeitsbereich und das eigene Unternehmen bedeuten. Dann muss man nicht verlegen sein, sondern kreativ. Das wird man nicht, wenn man mit unpassenden Werkzeugen arbeitet und sich mit Nachahmung zufrieden gibt.

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

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