Die Sägezähne des Lebens

Clemens Fabry
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Porträt. Michael Krammer führte fünf Mobilkom-Unternehmen in den Erfolg, um jedes Mal wieder von vorn zu beginnen. Jetzt macht er alles anders. Ein Lehrstück, wie man aus Veränderung lernt.

Die Geschichte von Michael Krammer (57) gleicht einer Reihe von Sägezähnen. Es geht steil nach oben – und dann ist alles weg. Neustart, wieder geht es steil nach oben – und wieder fällt alles weg. Und so weiter, bis 2013. Da setzte Krammer seine Karriere neu auf.

Der erste Sägezahn war – nein, kein Mobilkom-Anbieter, es war das Bundesheer. Er wollte etwas mit Sport machen, sagt er. Jemand erwähnte, dass die Militärakademie von 350 Bewerbern nur 100 nimmt. Sein Ehrgeiz war geweckt. Von der „sensationellen Ausbildung“ schwärmt er noch heute.

Nach dem Offizier war der logische nächste Schritt der Generalstabskurs. Ein Besuch in der Stiftskaserne ernüchterte ihn. Eine Zukunft als Beamter? Niemals. Von einem Tag zum anderen verließ Krammer das Bundesheer (Ende des ersten Sägezahns) und dockte beim ÖAMTC an. Hier fand seine erste Begegnung mit dem Mobilfunk statt. Anfang der 1990er-Jahre stellte ihm ein gewisser Boris Nemšić eine Innovation vor: SMS. „Wir waren die Ersten, die den Pannendienst über SMS steuerten.“ So wurde er zu einem der ersten Experten auf diesem Gebiet.

Das kam einem Headhunter zu Ohren, der ihn 1998 für Max.mobil („Kläxchen/Mäxchen“) abwarb. Der nächste Sägezahn, Serviceleiter, das gefiel ihm. Bis Max.mobil an T-Mobile verkauft wurde. Und ihm die Arbeit im Konzernableger keinen Spaß mehr machte.

Genau da (2002) trat Tele.ring an ihn heran. Es schrieb rote Zahlen, hatte kein Profil und mit Western Wireless eine Konzernmutter ohne jede Ambition. Krammer konnte schalten und walten, wie er wollte. Als neuer CEO entschuldete er Tele.ring, positionierte es als aggressiven Preisführer („Weg mit dem Speck“) und führte es in die Gewinnzone.

Zu Weihnachten 2004 klingelte das Telefon. Er möge umgehend ins Headquarter nach Seattle kommen. Eine Strategiepräsentation, dachte er. Irrtum: Es ging um Due Diligence, die Übernahme der Mutter Western Wireless und den Verkauf der Österreich-Tochter an T-Mobile. Ausgerechnet.

„Es war die größte berufliche Niederlage meines Lebens“, sagt Krammer heute.

Schon wieder alles auf neu

Einem der abgelehnten Kaufinteressenten, E-Plus, war das engagierte Österreich-Management aufgefallen. Anfang 2006 holte er es für eine haarige Restrukturierung mit viel Jobabbau nach Deutschland. Umgehend grub die mächtige deutsche Gewerkschaft Verdi das Kriegsbeil aus. Es gehe nur gemeinsam, konterte Krammer und brachte, ganz sozialpartnerschaftlicher Österreicher, alle Kontrahenden an einen Tisch. Die Vereinbarung fiel zu aller Zufriedenheit aus – da änderte der Eigentümer seine Meinung und wollte sie platzen lassen.

Krammer ging. Zu One, das 2008 vom Eigentümer als Orange zwangsrebrandet und 2013 von Drei geschluckt wurde. Ein Sägezahn nach dem anderen. Wie hielt er das aus? „Wirklich schlimm war nur das erste Mal“, sinniert er, „weil wir so unglaublich optimistisch waren.“ Seine militärische Disziplin half ihm, mit der Enttäuschung umzugehen. Und das Rationalisieren: „Man muss sich fragen: Warum ist das jetzt passiert? Bei Tele.ring waren wir so gut, dass wir aufgefallen sind. Die anderen Male war der Verkauf Konzernstrategie. Das lag nicht in unseren Händen.“

Seine edelste Aufgabe war, die Moral der Truppe aufrechtzuhalten: „Das Werk muss weiterfahren, mit voller Kraft. Es hätte ja sein können, dass ein Verkauf platzt.“ Was bloß nie der Fall war.

Krammer hätte nun Berater werden können. Die Anfragen waren (und sind) da. Doch mehr gefiel ihm, ein neues Mobilkom-Geschäftsmodell auszutüfteln, besser als die alten. Keine teure Netzwerkinfrastruktur. Keine Lizenzen. Keine Shops. Schon gar keine teure Werbung. Stattdessen Leistungen über das Netz anderer Betreiber anbieten und den Markenaufbau dem Kunden überlassen.

Und jetzt etwas Eigenes

Heute ist sein Hauptkunde der Diskonter Hofer mit seiner Eigenmarke Hot. Der Netzbetreiber, bei dem Krammer einkauft, ist ausgerechnet Exrivale T-Mobile. Dass seine eigene Firma, Ventocom, wenig bekannt ist, macht Krammer nichts. Er macht ja keine Werbung.

Was viel wichtiger ist: Ventocom macht schöne Gewinne. Und sie gehört zu 100 Prozent ihm und seinen vier Mitstreitern, alles Gefährten von früher. Jetzt redet ihm endlich keiner mehr drein. Und die Sägezähne haben ein Ende.

Zur Person

Michael Krammer (57) führte Max-Mobil, Telering, E-Plus, One und Orange in den Erfolg – und verlor sie dennoch wieder. Aus den Lehren, die er daraus zog, entstand der „Mobile Virtual Network Operator“ Ventocom, dem Krammer heute als CEO vorsteht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2018)

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