Berufseinsteiger: Lieber nichts tun als etwas Falsches

Marin Goleminov
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Warum Millennials vor ihrem ersten festen Job zurückschrecken. Warum der Erwartungsdruck sie handlungsunfähig macht. Und warum sie sich so viel Zeit lassen.

Sie werden lauter, die Stimmen, die junge Berufseinsteiger als kapriziös bezeichnen. Da biete man ihnen Herausforderung, Aufstieg und Geld, fasst Karriereberater Conrad Pramböck zusammen, und wie reagieren sie? Mit Zaudern und Zögern. Letztendlich mit Rückzug, weil die vielen Wahlmöglichkeiten sie lähmten. Weil sie vor lauter Grübeln (Wird mich dieser Job glücklich machen? Ein anderer? Welcher?) nicht ins Handeln kämen.

Die deutsche Autorin Jannike Stöhr (31) war eine dieser Verunsicherten. „Man wird in die Ausbildung geschubst, hetzt durch den Bachelor, durch den Master und hat gar keine Zeit, sich zu fragen, was man selbst will“, beschreibt die Betriebswirtin ihre damalige Gefühlswelt. Der Erwartungsdruck der Eltern, der Umwelt und der sozialen Medien machten es nicht einfacher: „Man denkt, man muss perfekt sein.“ Auch nicht die potenziellen Arbeitgeber: „Die sagen dir alle, hier kannst du die Welt retten.“ Das alles resultiere in Überforderung und Schreckstarre: Lieber keine Entscheidung treffen als eine falsche. Es eilt ja nicht.

Zeit gewinnen

Das Bedürfnis, sich herauszunehmen, bestätigt der jüngste KPMG-Report „Me, My Life, My Wallet“. Ihm zufolge dehnt jede Generation die Phase des jungen Erwachsenseins weiter aus. Sie dauert von etwa 20 Jahren bis zum ersten Kind. Dazwischen liegen Ausbildungsende und Berufseinstieg. Babyboomer (geboren bis 1964) ließen sich im Schnitt bis zu 27 Jahre Zeit, die Generation X (geboren bis 1979) bis zu 29 Jahre und die Millennials (geboren bis 1994) derzeit bis zu 31 Jahre. Damit wird auch der erste Fixjob hinausgezögert. Auch aus pragmatischen Gründen. Stöhr: „In Deutschland müssen wir arbeiten, bis wir 67 Jahre alt sind, bald sicher noch länger. Da können wir uns ruhig Zeit nehmen, das Richtige zu finden.“

Gleichzeitig sei man sich eines gewissen Lebensstandards bewusst. Das Sicherheitsnetz der Eltern sei beruhigend straff gespannt, und die Firmen überschlügen sich mit Angeboten für den so knappen wie begehrten Nachwuchs. Auch dem Modell des bedingungslosen Grundeinkommens könnten gerade Millennials einiges abgewinnen. Stöhr: „Dann wäre ich bei meiner Entscheidung sicher relaxter gewesen.“

Denn entspannt scheint ihre Sinnsuche nicht gewesen zu sein. Mittendrin nahm sie sich eine „Auszeit von der Auszeit“ und zog sich nach Irland zurück, um fern von Internet und Digitalstress zu sich selbst zu finden.

Probieren statt grübeln

Inzwischen fand sie ihren persönlichen Ausweg: ausprobieren. Ohne Druck und Stress, einen Job nach dem anderen. Insgesamt waren es 30. Ihre Erlebnisse postete Stöhr in einem Blog, der so einschlug, dass sie ihn auch in Buchform veröffentlichte (siehe Buchtipp). Band 2 ist in Arbeit: Jetzt schnuppert sie in 30 zukunftsträchtige Digitaljobs und berät daneben Suchende, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen: „Wir sollten uns frei machen von den Ansprüchen anderer. Ausprobieren und reflektieren. Und uns erlauben, nicht perfekt zu sein.“ Ihre Methode erinnert an Design Thinking: „Eine These aufstellen, was mich interessiert, ausprobieren, und wenn es gut ist, weitermachen. Wenn nicht, die These anpassen.“ Und sich bloß keinen Druck machen (lassen).

Aus Sicht von Karriereberater Pramböck sind die Unternehmen nicht ganz so begeistert von der ihnen zugedachten Rolle als Spielwiese für Sinnsucher. Dort werden Engagement und Leistung gefordert, mehr denn je. Wer seine Richtung nicht finde, so Pramböck, wende sich vertrauensvoll an seinen Vorgesetzten. Dieser werde ihm schon zeigen, wo es langgehe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2018)

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