Recruiting

Sind Unternehmen beziehungsfähig?

(c) Martin Goleminov
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Es gehe darum, Kandidaten als Menschen zu behandeln, nicht als Inputvariable in einer Aufwandsberechnung, sagt Gerhard Fehr und zeigt, wie Verhaltensökonomik helfen kann.

Es ist nicht die Lust am Jammern, die Führungskräfte über die Schwierigkeit klagen lässt, gute Mitarbeiter zu finden: Softwarespezialisten, Datenanalysten, Köche, Verkäufer. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Ja, es ist schwierig. Allerdings: Unternehmen seien oft beziehungsunfähig. „Sie müssen wieder lernen, wie man Menschen kennenlernt“, sagt der Unternehmensberater und Verhaltensökonom Gerhard Fehr. „Es gibt keinen Prozess, Menschen zu finden – das ist vielmehr eine Reise.“ Und dabei könne die Verhaltensökonomik vieles zum Gelingen beitragen. Diese Disziplin der Wirtschaftswissenschaften beschäftigt sich mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen. Ihre Erkenntnis: Den reinen Homo oeconomicus gibt es nicht. Menschen entscheiden nicht immer rational und stellen auch nicht immer den Eigennutz in den Vordergrund.

Zwei Versprechen

Seine eigene Unternehmensberatung, Fehr Advice & Partners, sieht er als verhaltensökonomisches Experimentierfeld. Etwa, wenn es um das Recruiting geht. 200 Bewerbungen würden jeden Monat bei ihm einlangen, jede helfe ihm zu lernen, sagt der 46-Jährige. Zwei Versprechen gibt er jedem Bewerber: Erstens, Feedback zu geben, ob der Bewerber „hier in seinem Element sein kann“. Und zweitens, über das Kennenlernen hinaus in Kontakt zu bleiben: über eine Plattform, auf der Inhalte zum Thema Verhaltensökonomik geteilt werden. Um sie sehen zu können, muss man sich anmelden, was allesamt machen würden, sagt Fehr. „Üblicherweise muss man sich schon zu Beginn des Bewerbungsprozesses registrieren, doch das bringt dem Bewerber nichts.“

Es gehe ihm darum, „Menschen als Menschen zu behandeln, nicht als Kandidaten, nicht als Inputvariable in einer Aufwandsberechnung.“ Anders als beim herkömmlichen transaktionalen Recruiting, das anonymer, unpersönlicher, intransparenter und formaler ist, soll der relationale Ansatz persönlicher, kooperativer, wertschätzender, transparenter und kommunikativer sein. Letzteres gelinge, wenn man Menschen zur Interaktion und zur Partizipation einlade, teile und Mehrwert stifte.

Die Bewerbung sieht Fehr als Vorleistung der Bewerber, weil ihnen Arbeit wichtig sei. Bewerbungsvideos, die er verlangt, sind aber nicht sonderlich beliebt. Und dennoch lasse sich der relationale Ansatz gut umsetzen. Denn Fehr dreht den Ablauf um: Mitarbeiter stellen sich und das Unternehmen mit kurzen Videos vor und stellen auch Fragen, die vorab an die Bewerber geschickt werden. Diese Fragen sollen in einem Bewerbungsvideo beantwortet werden. Eine Stresssituation für viele Bewerber, die aber sehr aufschlussreich ist. Weil sich in ihr unter anderem zeigt, wie reziprok sich der Bewerber verhält.

Zweite Chance

Fehr setzt im Recruiting auch Tests ein. „Das soll kein Judgement sein“, sagt er, „sondern ein Vehikel, um den Dialog in Gang zu bringen.“ Deshalb teilt er die Testergebnisse auch mit den Bewerbern – schließlich sollen auch sie etwas über sich selbst lernen. Die Tests wie auch die Videos werden zudem von mehreren Mitarbeitern gesehen und bewertet, um in Summe Voreingenommenheiten und Verzerrungen zu reduzieren und das Verfahren fairer zu machen.

Stelle sich heraus, dass hier nicht der geeignete Platz für den Bewerber sei, könne er noch ein Video schicken, in dem er Fehr vom Gegenteil überzeugen kann: „Jeder hat eine zweite Chance verdient.“

LEXIKON

Die Verhaltensökonomik befasst sich mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen und zeigt, dass es den reinen Homo oeconomicus nicht gibt. Menschen entscheiden nicht immer rational und stellen den Eigennutz nicht immer in den Vordergrund. Fairness ist ein wichtiger Faktor: Fühlt sich jemand unfair behandelt, trifft er mitunter Entscheidungen, die ihm objektiv gesehen Nachteile bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2018)

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