Management. Erst musste die Finanzkrise überwunden werden, um Platz für das Zauberwort Agilität zu machen. Jetzt ist es nicht mehr wegzudenken. Trotzdem ist vieles unklar.
Agile Methoden würden längst in der Schule gelehrt, wäre nicht die Finanzkrise dazwischengekommen. 2008 wollte man nur seine Zahlen in den Griff bekommen, sanieren, gesundschrumpfen. Überleben. Das Zauberwort damals hieß Resilienz.
Erst als es nichts mehr zum Schrumpfen gab, war Platz für ein neues Zauberwort: Agilität. Die großen Strategieberater hatten es in den IT-Buden der Welt aufgeschnappt. Sie verbreiteten die frohe Kunde: Wer agil ist, wächst mit Profit. Agilität schien nicht viel zu kosten – kleine Teams, kleines Geld, kleines Risiko. Das traf den Nerv der Zeit.
Heute ist Agilität eine Art „Sesam, öffne dich!“ für Schnelligkeit und Wendigkeit. Agilwerden wird oft mit Scrum gleichgesetzt. Das ist falsch. Agilität ist der Oberbegriff, Scrum eine von mehreren Methoden. Andere heißen Kanban, Xtreme Programming (XP), Holacracy, Design Thinking oder Lean Start-up. Scrum ist nur die bekannteste.
Was so anders ist
Das Neue beginnt – für viele ungewohnt – mit dem Kunden und seinem Nutzen. Jedes Ziel, jede Teilaufgabe wird aus Kundensicht formuliert. Budgets und Verträge sind sekundär, die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger. Ein fester Plan ist sekundär, iteratives Zur-Lösung-Hintasten ist wichtiger. Prozesse sind sekundär, Individuen und Kommunikation sind wichtiger. Dokumentation ist sekundär, dass etwas funktioniert ist wichtiger. Prinzip verstanden? Es klingt nach fröhlichem Chaos und ist es absolut nicht. Die Regeln („Agiles Manifest“) sind strikt und unumstößlich. Nur weil etwa die Dokumentation sekundär ist, darf sie nicht vernachlässigt werden. Ganz wichtig: Alles muss in harten Zahlen messbar sein. Von Laissez-faire ist man weit entfernt.
Auch die Rollen der handelnden Personen sind gar nicht so leicht zu lernen. Im Scrum heißen sie Product Owner oder Scrum Master, sie sind Teil des Squads, des Teams, dem auch fremd klingende Jobprofile wie Usability Specialists oder Data Miner angehören. Die finden sich im Unternehmen meist nicht, weshalb sie extern rekrutiert werden müssen. Spätestens hier kostet die Sache Geld – Geld, das natürlich nicht im Jahresplan budgetiert wurde. Jetzt zeigt sich, ob das Topmanagement wirklich dahintersteht. Wenn nicht, war's das mit der Agilität.
Nicht für jeden Bereich
Manche glauben, jedes Unternehmen und jeder Bereich könne agil werden. Schon wieder falsch. Richtig ist, dass agile Methoden nicht auf IT-Buden beschränkt sind. Leitlinie: jene Bereiche zu transformieren, die direkt mit Kreativität, mit Produkten und Dienstleistungen für (auch interne) Kunden zu tun haben. Wer Regeln und Gesetzen folgen muss – Buchhaltung, Kostenrechnung, Lohnverrechnung, Controlling, Recht oder Steuern –, sollte besser beim Wasserfallprinzip bleiben.
Richtig ist, dass sich die Generationen Y und Z mit agilen Methoden sehr wohlfühlen. Aber nicht nur sie. Ältere Generationen müssen bloß erst umlernen. Ein Ziel zu kennen, mitzubestimmen, wie es in tägliche Häppchen heruntergebrochen wird, jeden Morgen zu berichten, was man gestern geschafft hat, und über das nächste Häppchen zu sprechen, das kommt dem menschlichen Bedürfnis nach Sinn und Mitbestimmung entgegen. Ohne jedes Alterslimit.
Agil oder nicht agil
Offen ist, wie lange Agilitätsbestrebungen unter der Wasseroberfläche bleiben sollen. Viele Unternehmen starten mit einem Squad zu einem bestimmten Thema, das unter dem Schutz des CEO arbeitet. Um Konflikte mit anderen Bereichen zu vermeiden (Wieso dürfen die gehen, wann sie wollen, und wir haben fixe Zeiten?), wird nicht viel Wirbel gemacht. Hat das Squad Erfolg (was meist der Fallist), werden weitere gebildet, bis die grassierende Agilitis niemandem mehr verborgen bleibt.
Spätestens dann muss der CEO seine Entscheidung für das gesamte Unternehmen fällen: agil oder nicht agil? Das ist hier die Frage.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2018)