Führung. Kontrolle sei nicht das Gegenteil von Vertrauen, sagt Ann-Marie Nienaber, die an der Coventry University lehrt. Vielmehr sagt sie: „Kontrolle ist ein Mittel zur Vertrauensbildung.“
Es ist derzeit ein gehyptes Thema in der Betriebswirtschaftslehre: Vertrauen. Mit Zusätzen versehen wie -skultur oder -sarbeitszeit. Oder einfach nur Vertrauen. Von der Wissenschaft wird es beforscht, von den Unternehmen regelrecht beschworen. Kaum eine Hochglanz-Employer-Branding-Broschüre kommt ohne den Hinweis aus, wie Vertrauen gelebt wird.
Was Vertrauen tatsächlich ist, bringt Ann-Marie Nienaber auf den Punkt. Vertrauen, sagt die Professorin für Human Resource Managementan der britischen Coventry University, „ist die positive Erwartungshaltung, dass sich ein anderer mir gegenüber nicht opportunistisch verhält.“ Vertrauen besteht dabei aus zwei Faktoren: Erstens der positiven Erwartungshaltung, die sich auf Fakten und Erfahrungen stützt, dass eine Person eine ihr übertragene Aufgabe gut erledigen wird.
Und zweitens aus der emotionalen, affektiven Seite. „Man könnte auch Bauchgefühl dazu sagen – und das ist schwieriger zu messen“, sagt Nienaber.
Fundamental ist darüber hinaus: „Vertrauen gibt es nur von beiden Seiten.“ Allerdings müssten in aller Regel die Führungskräfte den ersten Schritt setzen, damit es zu diesem wechselseitigen Erleben von Vertrauen kommen kann. Die Konsequenz dieser Vorleistung liegt allerdings auf der Hand und heißt Verwundbarkeit. „Verwundbar bin ich, wenn ich Freiräume einräume, Information weitergebe.“ Umgekehrt lohnt sich der Preis für den einseitigen Vertrauensvorschuss und die angesprochene Verwundbarkeit in den meisten Fällen: Denn „passiert dieser erste Schritt, dann fühlt sich der Mitarbeiter besser behandelt, er handelt kreativer und kooperationsbereiter, er ist zufriedener und eher bereit, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Nienaber.
Kompetent und integer
Erleichtert wird dieser erste Schritt, wenn man das Gegenüber für vertrauenswürdig hält, wenn man es als kompetent und integer erachtet. Und wenn man die beiden Fragen „Kann ich mit diesem Menschen?“ und „Wird er mich wohl auch berücksichtigen?“ jeweils mit Ja beantworten kann.
Aber ist Vertrauen bedingungslos positiv konnotiert? Auf einer Skala von eins bis zehn, auf der „zu wenig Vertrauen“ eins bedeutet und „zu viel Vertrauen“ zehn darstellt, sollte sich „der Wert oberhalb der Mitte“ bewegen, sagt Nienaber. Denn: „Zu viel Vertrauen ist genauso schädlich wie zu wenig Vertrauen oder Misstrauen.“
Ihr ist auch wichtig, ein gängiges Missverständnis zu beseitigen: „Oft wird Kontrolle als Gegensatz zu Vertrauen verstanden.“ Kontrolle könne weder das Vertrauen ersetzen, noch gehe es ohne Kontrolle. Tatsächlich erklärt Nienaber: „Kontrolle ist ein Mittel zur Vertrauensbildung.“ Dann, wenn sie wohl dosiert sei und die Freiräume des Einzelnen nicht zu stark einschränke. Denn „das führt zu Misstrauen und wirkt demotivierend“. Diese Balance von Kontrolle und Vertrauen kann unter der Voraussetzung gelingen, dass die Art und Weise, wie kontrolliert wird, transparent ist. „Ich muss sagen, was und wie ich kontrolliere. Dann steigert Kontrolle das Vertrauen“, sagt Nienaber.
Noch zwei Hinweise: Wenn ich misstraue, sagt sie, „muss ich ganz von vorn beginnen“. Und: Man kann Unternehmen misstrauen, aber der Führungskraft vertrauen – und umgekehrt.
ZUR PERSON
Ann-Marie Nienaber ist Professorin für Human Resource Management and Organizational Behaviour am Centre for Trust, Peace and Social Relations der britischen Coventry University.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2018)