Wie man den Computer überlistet

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Manche Menschen scheuen sich, auf Anrufbeantworter zu sprechen. Aus Prinzip. Und weil es sie verunsichert. Die schlechte Nachricht: Das nächste Bewerbungsinterview haben sie vielleicht schon mit dem Computer.

Es werden immer mehr: Zwei Drittel der heimischen Unternehmen setzen beim Recruiting auf Big Data und Künstliche Intelligenz. In Amerika sind es schon vier Fünftel. Den Unterschied zwischen den beiden Technologien wissen die wenigsten: People Analytics, also Big Data, fischen im großen Datenpool nach Personen mit bestimmten Merkmalen. Die picken sie heraus. Beispiel: Sie schauen sich die Charaktermerkmale jener Mitarbeiter im Unternehmen an, die besonders erfolgreich sind, und durchkämmen die Social Media nach Lookalikes, die sie dann kontaktieren. Ihre Beute hat meist keine Ahnung, wie man auf sie kommt.

People Analytics funktionieren tatsächlich. Sie bringen höhere und verlässlichere Trefferquoten als Menschen es könnten. Lernfähig ist sie aber nicht, sie tun bei jeder Suche nur genau das, was man von ihnen verlangt. Künstliche Intelligenzen (KI) hingegen sind lernfähig. Sie werden mit jedem Einsatz besser.

Wissentlich kommen Jobsuchende eher mit KI in Berührung. Arglos verschicken Sie Ihre Bewerbung und bekommen als Reaktion ein Telefoninterview verordnet. Ablehnen geht nicht, sonst verspielt man seine Chancen sofort.

Der arglose Bewerber greift also zum Handy und erfährt von einer freundlichen, meist weiblichen Stimme am anderen Ende der Leitung, dass sie die elektronische Assistentin der Personalabteilung ist und ein paar Fragen stellen wird. Ganz harmlose: über den letzten Urlaub (ein klassischer Eisbrecher), den Alltag, den Beruf.

So arbeitet der Algorithmus

Im Hintergrund macht der Algorithmus zweierlei: Aus den Sprachmustern (Syntax, Wortwahl, Pausen, Stimmlage, Unsicherheiten usw.), aus Sprechweise und Stimmführung schließt er auf das Stresslevel des Bewerbers (das heißt dann VoiceCheck). Und daraus wiederum auf dessen Eignung für das Jobprofil (das heißt dann Jobfit). Ganz gevifte Systeme leiten auch gleich Trainingsempfehlungen für Einarbeitung und Personalentwicklung ab.

Es hilft zu wissen, wie alle Persönlichkeitstests aufgebaut sind. Die werden sogar auf Parship & Co verwendet. Zwei Systeme sind hierzulande besonders verbreitet. Das Big-Five-Modell ordnet die Probanden auf einer Skala vom 1 bis 10 nach fünf Dimensionen ein:

  • emotionale Stabilität oder Instabilität (Neurotizismus),
  • Extra- oder Introvertiertheit
  • Offen- oder Verschlossenheit für neue Erfahrungen,
  • Verträglichkeit oder Intoleranz und
  • Gewissenhaftigkeit oder Disziplinlosigkeit.

Ebenfalls sehr beliebt ist das DISG-Modell. Es klassifiziert nach den vier Dimensionen

  • Dominanz (Machtwille),
  • Initiative (Neugier/Flexibilität),
  • Stetigkeit (Harmoniestreben)
  • und Gewissenhaftigkeit (Detailorientierung).

Auch hier kommen People Analytics zum Einsatz. Interessant für die Personalisten ist etwa die starke Korrelation zwischen emotionaler Stabilität bzw. Gewissenhaftigkeit auf der einen Seite und Arbeitszufriedenheit auf der anderen.

In der Praxis darf man mit einiger Sicherheit davon ausgehen, in einen dieser beiden Raster gepresst zu werden. Gründliche machen sich schon im Vorfeld Gedanken, wie sie wohl abschneiden. Das bringt tatsächlich Selbsterkenntnis und Aha-Erlebnisse. Dann durchschauen sie nicht nur den Test, sie bewerben sich auch nicht mehr für die falschen Jobs. Gewissenhafte Typen werden kaum in hektischen Troubleshooter-Jobs glücklich, Extravertierte kaum auf einsamen Tüftler-Positionen.

Was tun beim Computertest?

Locker bleiben. Das sagt sich leicht. Vor allem Frauen mögen es ganz und gar nicht, wenn Algorithmen bei ihrer Karriere mitmischen. Einer Studie von „woman & work“ zufolge fordern neun von zehn Frauen vehement menschliche Ansprechpartner. Die Studienautoren orteten gar erstarkenden „humanistischen Zeitgeist“ parallel zur technologischen Fortschrittsfreude.

Diese Erkenntnis hilft unserem Bewerber mit dem Computer am Telefon rein gar nichts. Besser ist es, die Fantasie einzuschalten und sich am anderen Ende der Leitung einen ganz normalen Menschen vorzustellen. Jetzt kommt das Wichtigste: Lächeln. Einfach Lächeln.
Das hat einen doppelten psychologischen Hintergrund. Erstens „hört“ man ein Lächeln auch am Telefon (was für alle Telefonate gilt - ausprobieren! Zweitens, das Gehirn hält schon das bloße Hochziehen der Mundwinkel für echte Freude und schüttet daraufhin Glückshormone aus. Man fühlt sich tatsächlich besser, wenn man lächelt, auch wenn es gefakt ist. Das funktioniert auch bei Liebeskummer.

Was als Nächstes passiert

Versetzen wir uns in die Lage des Recruiters. Der VoiceCheck nimmt ihm die öde Vorselektion ab. Oft schaltet er noch einen der besprochenen Online Persönlichkeitstest vor und lädt nur mehr jene Kandidaten zu einem persönlichen Gespräch ein, die bei den Tests gut abschnitten.

Und das ist die gute Nachricht: Kein Algorithmus darf alleine über eine Einstellung entscheiden. Er selektiert nur aus und spart auch den Bewerbern Zeit, Gespräche, Stress und Emotion. Die Endauswahl müssen immer Menschen treffen.

Wer also beim VoiceCheck lausig abschneidet, ist wohl wirklich nicht der richtige Kandidat für eine Stelle, die Redegewandtheit erfordert. Wer trotzdem eingeladen wird, hat jedenfalls die Chance, persönlich einen besseren Eindruck zu machen.

Dieser Artikel ist aus dem aktuellen UniLive Magazin für Studierende.

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