Lehrlinge so wertvoll wie Akademiker

Zukunftsakademie Mostviertel
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Qualifizierungsverbünde. Im Mostviertel ist die alte Differenzierung – Lehrling unten, Maturant in der Mitte, Akademiker oben – aufgehoben. Auf einmal gibt es genug Fachkräftenachwuchs.

In den Zeiten der alten Hierarchie sah das Ranking so aus: Unten stand der Lehrling, in der Mitte der Maturant und oben der Akademiker. Langfristig war das weder für die Wirtschaft noch für die Gesellschaft gesund. Es führte zu einer Herabwürdigung der Lehrberufe und ihrer Vertreter – mit der Folge, dass jeder, der Grips hatte, zur Matura drängte. Nun hat Österreich zu viele Maturanten ohne gelernten Beruf und zu wenige Fachkräfte, mit denen die Digitalisierung vorangetrieben werden könnte.

Überall, nur nicht im Mostviertel. Dort machte man sich schon vor acht Jahren Gedanken, wo der Nachwuchs herkommen soll. Damals setzten sich Vertreter der Leitbetriebe der prosperierenden Region – Umdasch, Mondi, Welser Profile und Forster, um nur einige zu nennen – und der beiden Städte Waidhofen/Ybbs und Amstetten zusammen und gründeten die Zukunftsakademie Mostviertel. Ein Verbund der produzierenden Industrie sei das, beschreibt Geschäftsführerin Rosemarie Pichler, dem es um die gesamte Wirtschaftsregion gehe. Nicht nur um einen Standort.

Die Finanzierung ist schnell erklärt: Nur vier wohlvernetzte Mitarbeiter (ab Jänner sind es fünf), Mitgliedsbeiträge von inzwischen 150 Unternehmen der Region, dazu die Erlöse aus von den Unternehmen in Auftrag gegebenen Projekten und Lehrgängen. Auf der anderen Seite stehen inzwischen 2500 Kinder und Jugendliche, die von der Akademie begleitet werden, weil: „Naturwissenschaftlich-technische Interessen zu fördern beginnt in der Volksschule.“ Allein in dieser Woche fanden für Jugendliche ein „Coding Contest“ und für Unternehmen das „2. Amstettner Zukunftsforum“ zum Thema Digitalisierung mit Gastredner Harald Katzmair statt.

Aufgrund all dessen habe sie nicht das Gefühl, dass es in der Region zu wenige Lehrlinge gebe, meint Pichler. Die Lehrplätze würden attraktiver, die Unternehmen hätten verstanden, dass sie sich um die jungen Leute bemühen müssten – und diese würden das honorieren. Auch, weil sie spürten, dass die alte Differenzierung – Lehrling unten, Maturant in der Mitte und Akademiker oben – aufgehoben wäre: „In der Region ist ein Lehrling so viel wert wie ein Akademiker. Jeder bekommt die gleiche Wertschätzung.“ Ohnehin sei das System durchlässig in jede Richtung.

Kooperieren statt abschotten

Auf Bildungsebene wird mit den Fachhochschulen St. Pölten und Wr. Neustadt zusammengearbeitet, mit letzterer am Campus Wieselburg. Hier wurden eigens für die regionale Industrie Masterlehrgänge, Qualifizierungsprojekte („Future of Production“) und die Summerschool ins Leben gerufen.

Auch zu den Initiativen anderer Organisatoren gibt es keine Berührungsängste. Etwa zum Verein MeinLehrbetrieb.at für Ybbs-, Erlauf- und Ennstal. Der ist mit seinen „Karriere-Clubbings“ auf das Recruiting von Lehrlingen spezialisiert. Seine Mitglieder sind breit aufgestellt, vom Autohaus bis zur Gärtnerei. „Das ergänzt sich gut“, findet Pichler.

Oder zur Messe Wieselburg mit ihrer Fachmesse „Schule und Beruf“, die Schulabgänger, Maturanten und Studenten anspricht. Gemeinsam entwickelte man das Konzept „Job Safari“ für Volksschüler. Die dürfen dort Palatschinken schupfen, eine festliche Tafel decken und Fliesen verfugen. Sponsoren wie Haubi's Bäckerei, das Hotel Schachner oder Biber Farben und Fliesen werfen dabei einen ersten Blick auf ihre künftigen Lehrlinge.

Es gäbe noch einige Projekte mehr zu beschreiben. Im Forschungs- und Technologiebereich etwa eine Versuchsanlage zur Plasmabeschichtung, die bei einem Partnerbetrieb installiert ist, aber von allen genutzt werden kann. Das Prinzip liegt offen: Kooperieren statt rivalisieren und rasch auf einen erkannten Bedarf reagieren. „Wir sind wirklich gut vernetzt“, schließt Pichler, „das ist unser ganzes Geheimnis.“

AUF EINEN BLICK

Österreichs duales Ausbildungssystem ist europaweit anerkannt. Doch es tut sich schwer, mit der Geschwindigkeit sich erst entwickelnder Themen wie Digitalisierung oder Industrie 4.0 mitzuhalten. Dafür bilden sich in ganz Österreich Qualifizierungsverbünde. Sie bestehen aus lokalen Betrieben, Aus- und Fortbildungsanbietern und anderen Themenführern. Im September wurde an dieser Stelle der oberösterreichische EDU-Hub vorgestellt, diesmal ist es die Zukunftsakademie Mostviertel.

("Die Presse", Print-, 17.11.2018)

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