Vergleich. Zwei grundverschiedene Welten, so scheint es. Doch der Blick hinter die Kulissen der hohen Diplomatie lohnt sich. Und sei es nur, um einiges anders zu machen. Über Vertrauen, Taktieren und Beschlussdenken.
Ausgerechnet am 11. September 2001 trat Wolfgang Ischinger seinen Dienst als deutscher Botschafter in den USA an. Im Bann der Terroranschläge empfahl er seinem Bundeskanzler, Gerhard Schröder, den USA die „uneingeschränkte Solidarität“ Deutschlands zu versichern. Solidarität allein hätte auch genügt, relativierte er später. Denn als US-Präsident George W. Bush zu Vergeltungsschlägen nicht nur gegen die afghanischen Taliban, sondern gleich auch gegen den Irak ausholte, zog Schröder nicht mit. Bush war zutiefst enttäuscht. Das Vertrauen der USA in den Nato-Partner Deutschland war nachhaltig getrübt.
Vertrauen, sinniert Ischinger, inzwischen Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, ist die harte Währung der Diplomatie. Nicht nur dieser: Auch im Management geht mit Vertrauen alles besser. In seinem Buch „Welt am Abgrund“, das eigentlich die weltpolitische Großwetterlage zum Thema hat, gibt Ischinger unfreiwillig mehr Einblick in das diplomatische Taktieren, als ihm vielleicht lieb ist. Und in seine eigene Psyche. Unverblümt lobt er sich für jeden Verhandlungserfolg und legt anderen in den Mund, wie großartig seine Ideen doch seien. Klappern gehört zum Handwerk – nicht nur zum diplomatischen.
Psychologie oder Manipulation
Bei den Friedensverhandlungen in Dayton/Ohio 1995 zur Beendigung des Balkankriegs hing letztlich alles an Alija Izetbegović, dem Präsidenten von Bosnien und Herzegowina. Gerade er verweigerte nach zähen Verhandlungen seine Unterschrift. Ischinger wusste, dass Izetbegović ein Bewunderer Helmut Kohls war. Abends unter vier Augen raunte er ihm ein Bismarck-Zitat zu, das Kohl angeblich in den schweren Stunden der deutschen Wiedervereinigung Kraft gespendet hatte. Am nächsten Morgen unterzeichnete Izetbegović – mit Berufung auf das Bismarck-Zitat. Angewandte Psychologie oder offene Manipulation?
Probleme zu lösen steht auf der To-do-Liste von Diplomaten nicht unbedingt ganz oben. Ein Beschluss ist auch ein gutes Ergebnis. Ob der auch eingehalten wird . . . schau'n wir einmal. Bewährter Trick: Manchmal klammern Diplomaten zum Erreichen eines Beschlusses strittige Themen bewusst aus – wie den Kosovo aus den Dayton-Verhandlungen. Das half zwar, überhaupt eine Vereinbarung zu erzielen, doch drei Jahre später flammte genau dort der nächste Krieg auf. Lesson learned: Salamitechnik ist gut, aber man sollte auf keine Scheibe vergessen.
Vergrößere das Problem
In den Dayton-Verhandlungen steckt noch eine Erkenntnis. Wären die ex-jugoslawischen Präsidenten jedes Jahr erneut an den Tisch geholt worden, wäre der Wiederaufbau schneller vorangegangen. Doch darauf vergaß man. Umgelegt auf das Management: Ein gut vermarktbarer Anfangserfolg ist schön – aber damit ist es nicht getan.
Vom früheren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower stammt der Satz: „Wenn du ein Problem nicht lösen kannst, vergrößere es.“ Diesen Rat befolgte Europa 2014 nach der russischen Intervention in der Ukraine. Aus Angst vor weiteren Machtgelüsten Russlands rief Europa umgehend den „großen Bruder“ Amerika zu Hilfe. Mit den USA im Rücken fühlt es sich nun sicherer. Der Ukraine hilft das leider gar nichts.
Hin zu statt weg von
Eine zum Management-Allgemeinwissen zählende Weisheit hat ihren Weg in die Weltpolitik noch nicht gefunden. Sie lautet: Bevor man etwas Bestehendes niederreißt, braucht man einen Plan, was danach kommt. Der Arabische Frühling 2010 zeigt drastisch, was passiert, wenn man (mit internationaler Hilfe) einen Diktator nach dem anderen stürzt, aber keine Idee für Demokratisierung und Wiederaufbau danach hat. Die Arabische Halbinsel versinkt bis heute im Chaos.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2018)