Live aus Davos: Globalisierung muss menschenorientiert und inklusiv sein

APA/KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER
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Davos-Tagebuch. Der Wiener Francis Rafal ist einer von 50 Menschen unter 30 Jahren, die beim World Economic Forum die Stimme der Jungen vertreten sollen. Dienstag - Tag 2.

Dienstag, 22. Jänner 2019

07.30 Uhr: Gesammelte Visitenkarten scannen und reflektieren über gestern Abend. Der Cocktail-Empfang des Time Magazines war surrealer als erwartet. Mindestens fünf Milliardäre auf ca. 150 Quadratmetern. will.I.am umrundet von Selfie-Jägern, während David Blaine meinem tansanischen Shaper-Kollegen Mohamed Al-Beity einen Kartentrick zeigt. 

09.10 Uhr: Kongresszentrum, Science Hub. Hinter mir höre ich eine deutschsprachige Konversation. Ich stelle mich mit Wiener Akzent bei einem CEO eines Autozulieferers vor und wir reden kurz über unser Projekt AndereMeinung.at und Polarisierung in der Gesellschaft. Er meint, es sei ein schwieriges Unterfangen, diese zu reduzieren. Ich entgegne, wenn wir nichts tun, dann wird es nur noch schlimmer.

09.15 Uhr: „Ask about“-Session mit einem MIT-Professor. Er erzählt halb im Scherz, dass er seinen Studierenden beibringt, wie man Studenten und Forscher durch künstliche Intelligenz (KI) ersetzen kann. Aktueller Stand: Im Bereich Nanophotonik kann ihre KI bereits kreative Leistungen vollbringen und basierend auf Zielvorgaben eigene Materialdesigns liefern. Ich frage, ob er glaubt, dass mit der aktuellen Architektur künstlicher neuronaler Netze jemals allgemeine Intelligenz auf menschlichem Niveau erreicht werden kann. Die heutigen künstlichen Neuronen kommunizieren nämlich zum Beispiel nur in eine Richtung, während unsere menschlichen Neuronen in zwei Richtungen kommunizieren. Er entgegnet, dass wir allgemeine Intelligenz nicht mit den aktuellen Systemen erreichen, aber zumindest genug Probleme lösen können, die wir heute haben. 

09.47 Uhr: Zwei Minuten zu spät zu einer Diskussionsrunde über einen strategischen Ausblick zur digitalen Wirtschaft, der live gestreamt wird. Ich schaffe es trotzdem, mich hineinzuschleichen und schaue im Stehen zu. Schwierig aufzupassen, denn direkt neben meinem linken Ohr übersetzt jemand simultan auf Russisch. Die Chefs von Huawei und Nokia reden über das Potential von 5G, Digitalisierung und Automatisierung und dass es wichtig ist, die technologische Entwicklung inklusiv zu gestalten. Menschen, die ihre Jobs durch Automatisierung verlieren, sollen für andere Jobs ausgebildet werden. 

10.30 Uhr: Ein Platz im Publikumsbereich wird frei und ich setze mich. Bei der Fragerunde wählt mich die Moderatorin aus. Ich sage, dass Technologie voraussichtlich schneller voranschreiten wird als wir den Großteil der Menschen umtrainieren können. Ich frage, was sie über ein bedingungsloses Grundeinkommen denken, das schrittweise durch eine Automatisierungssteuer für die Unternehmen, die die Jobs wegrationalisiert haben, finanziert wird. Die Diskutanten sind sich einig, dass ein Grundeinkommen interessant ist, aber ohne Änderung des Bildungssystems nicht sehr nützlich ist. Die Frage, ob sie mit einer Automatisierungssteuer einen Beitrag für solch ein Grundeinkommen leisten würden, bleibt unbeantwortet.

11.07 Uhr: Große Halle. WEF-Gründer Klaus Schwab betritt die Bühne. Er erklärt auf Englisch und Deutsch, dass die neue Version der Globalisierung unbedingt menschenorientiert und inklusiv sein muss. Wir können es uns nicht mehr leisten, Menschen zurückzulassen. 

11.20 Uhr: Schwab übergibt das Wort an die sieben Ko-Vorsitzenden des diesjährigen Treffens. Zum ersten Mal in der Geschichte haben sechs Menschen unter 30 neben Microsoft-CEO Satya Nadella den Vorsitz. Die Global Shapers erzählen, an welchen globalen Herausforderungen sie arbeiten. Highlight: Mohammed Hassan Mohamuds Rede. Mit seiner Familie von Somalia nach Kenia geflüchtet, dort mehr als 20 Jahre lang aufgewachsen und Gründer des Global Shaper Kakuma Hub. Er erzählt, dass er nach Davos wieder zurück ins Flüchtlingslager gehen wird, weil er keinen Reisepass hat. Das WEF hat alles Mögliche in Bewegung gesetzt, um ihn auf die Bühne zu bringen. Er macht sich stark für die mehr als 150.000 Menschen in seinem Lager und alle Flüchtlinge weltweit. Es geht nicht um seinen Reisepass. Er möchte einfach nicht, dass die Kinder, die heute dort geboren werden, ebenfalls ihr ganzes Leben in dem Lager aufwachsen.

12.50 Uhr: Mittagessen mit zwei Shapers und einem deutschen CEO. Meine Kollegin Gabriela Saade vom Caracas Hub erzählt dem Unternehmer über die Hyperinflation in Venezuela. Dass die Menschen dort im Durchschnitt 17 Pfund Körpergewicht abgenommen haben, weil sie sich nicht mehr drei Mahlzeiten pro Tag leisten können. Der CEO ist überrascht zu hören, dass Venezuela mit mehr als drei Millionen Menschen weltweit die zweitgrößte Anzahl an geflüchteten Menschen hat.

13.30 Uhr: Diskussionsrunde zum Thema Datenpolitik. Wir diskutieren die Datenschutzgrundverordnung und wie man Unternehmen und Staaten dazu bringt, das Potential von Big Data für Gutes zu nutzen. Die meisten Daten sind im Besitz einiger weniger Unternehmen. Ich frage die Diskutanten, wie man sicherstellen kann, dass Staaten mit geringem Datenschatz in Zukunft nicht links liegen gelassen werden. Vor allem im Bereich Künstlicher Intelligenz wird Ungleichheit zwischen Staaten nur noch mehr verstärkt, wenn nur einige wenige das Monopol auf Daten haben. Ein asiatischer Minister antwortet, dass wir globale Standards erarbeiten müssen, damit wir Daten weltweit kollaborativ nutzen können. 

14.07 Uhr: Ich lese auf TopLink, dem WEF-internen sozialen Netzwerk, dass Bridget Perry, CMO Europe bei Adobe auf meine Nachricht geantwortet hat. Sie hätte Zeit, sich heute zu treffen. Das ist das erste Mal, dass ich jemanden auf TopLink direkt kontaktiert und um ein persönliches Treffen gebeten habe. Freude und Aufregung.

15.15 Uhr: Bridget steht vor der großen Halle. Wir setzen uns auf zwei Hocker und ich präsentiere ihr meine Idee von gestern, Schülern das Thema Sustainable Development Goals näherzubringen, indem sie lernen, Videos mit ihrem Handy zu machen. Die Videoschnitt-App Adobe Rush könnte uns dabei helfen. Sie erzählt mir, dass das genau in ihren Corporate-Social-Responsibility-Bereich passt. Wir diskutieren, wie wir die Digitalkompetenz junger Menschen steigern können und brainstormen über eine mögliche Partnerschaft. Ich verstehe zum ersten Mal, was so besonders ist an Davos. Alle Leute, die man als Partner braucht, um eine Idee zu verwirklichen, sind hier. Jetzt geht es nur noch um die Umsetzung.

Francis Rafal (26) ist Co-Founder und CEO der drei Filmunternehmen Content Creation School, Ninjawerk und Rafal Studios und derzeit Curator der Global Shapers Vienna. Er wurde dieses Jahr als einer von 50 Menschen unter 30 ausgewählt, junge Stimmen beim jährlichen Treffen des World Economic Forum in Davos zu vertreten. Ziel der Global Shapers Vienna ist es, Filterblasen platzen zu lassen. Mit dem Projekt AndereMeinung.at verbinden sie Menschen mit unterschiedlichen Meinungen, um die politische Polarisierung der Gesellschaft zu reduzieren.

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