Chaos ist ihre Arbeitsgrundlage

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Porträt. Manche haben nie gelernt, Ordnung zu machen. Andere sind schlicht „besitzüberlastet“. Olivia Ruderes hilft ihren Kunden beim Aussortieren, Ausmisten und Ordnung Schaffen.

In der Sprache des Gewerberechts klingt die ganze Angelegenheit etwas sperrig: „Beratung privater Haushalte betreffend das Aussortieren nicht mehr benötigter Güter“. Tatsächlich geht es dabei zur Sache: aussortieren, ausmisten, Ordnung schaffen.

Olivia Ruderes bietet dieses Service professionell an: „Ziel ist“, sagt die 32-Jährige, „eine Grundstruktur zu schaffen.“ Chaos ist dabei immer Ausgangspunkt und ihre Arbeitsgrundlage. Eineinhalb bis zwei Stunden dauert das Erstgespräch bei den Kunden, abhängig von der Größe der Wohnung oder des Hauses. „Dabei geht es darum, die Hintergründe für die die Unordnung zu erfragen“, sagt Ruderes. Und warum sie sich nicht von einzelnen Gegenständen trennen wollen. Typische Fragen sind: Wann haben Sie das zuletzt benutzt? Welche Bedeutung hat es für Sie und wie sehr hängt Ihr Herz daran? „Meist stecken ja emotionale Gründe dahinter.“

Dann geht es los: Jeder Gegenstand wird gemeinsam mit den Kunden begutachtet und entschieden, was wird behalten, was aussortiert. „Meist beginnen wir bei der Kleidung“, sagt die Steirerin, die in Kapfenberg zu Hause ist. Rund 15 Stunden dauert es, eine 50-Quadratmeter-Wohnung zu durchforsten, für Häuser mit 120 bis 140 Quadratmetern veranschlagt sie rund 25 Stunden. Sie schaffe Raum, damit in der Folge Reinigungskräfte gut arbeiten können – und das sei mehr, als nur die Oberflächen von Tischen, Kommoden und Boden freizuräumen.

Gelernt von Marie Kondō

„Das Hin- und Herräumen, Stauraum schaffen und Ordnen macht mir sehr viel Spaß“, sagt Ruderes, die zunächst eine Lehrausbildung zur Hotel- und Gastgewerbeassistentin absolviert hatte, später in einem Resort am Arlberg, als Au-Pair und dann mehrere Jahre als Reiseleiterin in Spanien und Griechenland gearbeitet und einige Zeit auf Lanzarote gelebt hatte. Ein familiärer Schicksalsschlag brachte sie 2017 nach Österreich zurück und stellte sie schlagartig vor die Frage nach einer neuen beruflichen Zukunft, die sie Anfang 2018, inspiriert von Ordnungsguru Marie Kondō aus Japan, für sich erschloss.

Als Reiseleiterin war sie an leichtes Gepäck gewöhnt. Und daran, nur das zu behalten und mitzuführen, was für sie notwendig, wichtig und unentbehrlich war. Eine gute Voraussetzung für die Arbeit als Ordnungsprofi.

Zwei Chaostypen begegnen ihr regelmäßig. Die einen sind zu detailliert strukturiert, haben für alles und jedes eine eigene Schublade und verlieren so erst recht den Überblick. Hier gehe es darum, größere, übersichtlichere Kategorien zu entwickeln. „Die anderen haben gar keine Ordnung“, sagt Ruderes. Jüngere, 25- bis 35-Jährige hätten oft gar nie gelernt, Ordnung zu machen, fällt ihr auf. Kunden der Generation 70+ würden hingegen oft Unterstützung brauchen, weil sie zu viele Dinge besäßen, um sie überblicken zu können. „Besitzüberlastung“ nennt Ruderes das. Viele möchten sich auch, nachdem die Kinder (endlich) das Haus verlassen haben, neu einrichten.

Mit Chaos zu kämpfen haben oft auch Selbstständige, die ihre Zeit in den Aufbau ihres Unternehmens stecken. Ebenso Familien, die durch Krankenhausaufenthalten eines Familienmitglieds oder durch einen Todesfall den Fokus nicht mehr auf das Zuhause richten können.

Oft spüre sie, sagt Ruderes, eine Art Schamgefühl bei den Kunden und eine hohe Hemmschwelle, einen Aufräumcoach – hauptsächlich sind Frauen in diesem Feld tätig – und Hilfe zu holen.

Mehr Aufmerksamkeit

Weil sie zeigen will, dass die Skepsis unbegründet und Aufräumcoaches „nicht bessere Putzfrauen“ sind, engagiert sie sich, die „Association of professional organizers“ bekannter zu machen, und in der Wirtschaftskammer eine eigene Fachgruppe zu etablieren. Bis es soweit sein könnte, werde es wohl noch dauern. Denn in der Wirtschaftskammer zeigt man sich sehr zurückhaltend.

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Zur Person

Olivia Ruderes (32) hilft als Ordnungsprofi ihren Kunden, deren Habseligkeiten besser zu strukturieren und organisieren. Die gelernte Hotel- und Gastgewerbeassistentin war mehrere Jahre als Reiseleiterin unterwegs, ehe sie 2018 in dieses Feld einstieg.
Wie viele Aufräumcoaches es derzeit in Österreich gibt, lässt sich nicht genau sagen,ein Rundruf aber ergab, dass es zum überwiegenden Teil Frauen sind – die ihr Berufsfeld bekannter machen möchten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2019)

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