Ausgebrannt: Schattenseiten der Start-up-Branche

Marin Goleminov
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Entrepreneure. Das ist der Traum: arbeiten, wie man will, frei und selbstbestimmt, für eine Sache, an die man glaubt, mit Freunden und Gleichgesinnten. Die Wirklichkeit kann anders sein.

Die Idee zu diesem Artikel entstand in einem Bus in Laos. Bei einem Gespräch mit einem Rucksackreisenden aus London, Anfang 30, gut gebildet. Die vergangenen fünf Jahre, erzählte er, hatte er als Technikchef in „sein“ Start-up hineingebuttert. 60, 70 Wochenstunden, niemand zwang ihn dazu. „Wir tun das für uns“, sagten alle. Das Start-up gedieh, die Gründer verfielen.

Jetzt, fünf Jahre später, fühlt er sich leer und ausgebrannt. Trotz seiner Jugend, trotz aller Begeisterung. Er stellte seinen CEO vor die Wahl: Entweder ein halbes Jahr Auszeit, oder er gehe, auf Nimmerwiedersehen. So kam er nach Laos.

Hält der lässige Start-up-Traum nicht, was er verspricht? Arbeiten, wie man will, frei und selbstbestimmt, für eine Sache, an die man glaubt, mit Freunden und Gleichgesinnten? Eben nicht für einen gesichtslosen Konzern, nicht auf Weisung, nicht im Korsett der Arbeitszeitgesetze? Alles war erfüllt, und trotzdem ist dieser Gründer ausgebrannt – mehr, als er nach fünf Jahren im Konzern wäre.

Wunderwelt ernüchtert

Matthias Reisinger (34) lebte seinen eigenen Start-up-Traum. 2010 gründete der damals 25-Jährige mit Freunden den Impact Hub Vienna. Mehr als 400 Start-ups half das Team auf die Beine, dann zog es Reisinger zu neuen Abenteuern. Seit Februar leitet er beim Austria Wirtschaftsservice (AWS) die Abteilung Entrepreneurship und Kreativwirtschaft.

„Mit unserem Konzept waren wir der Zeit voraus“, erinnert er sich an die Anfänge. Man kam von der Uni, ohne das Sicherheitsnetz einer Arbeitslosenversicherung, vor allem über Kredite finanziert. Auch die Umwelt war nicht ermutigend: „Jemand sagte uns, wir sollten besser keine Kinder in die Welt setzen. Weil wir scheitern werden.“

Nach außen das Superheldenlächeln, innen nagen die Zweifel: „Man weiß ja, dass viele es nicht schaffen. Scheitern ist hierzulande stigmatisiert. Immer noch.“

Also arbeitet man, mehr und mehr. „Man stößt schnell an die Grenzen der Arbeitszeitgesetze“, formuliert es Reisinger vorsichtig.

Kein Vorgesetzter, kein HR-Department erinnerte an Höchstarbeitszeit, daran Urlaubstage zu konsumieren. Man spürt zwar, dass es dem Körper nicht gut geht, erlaubt sich aber nicht, früher schlafen zu gehen. Chronisch müde zu sein gilt in manchen Start-up-Kreisen als Statussymbol.

Zeit innezuhalten: Die Pioniere der ersten Stunde haben dazugelernt. Von ihnen lässt sich einiges abschauen. War sich auszupowern „vor zehn Jahren noch der gesellschaftliche Narrativ“, lernen künftige Entrepreneure heute schon an der Uni die Grundregeln der Achtsamkeit, so etwa geschehen vergangene Woche am WU Gründungszentrum. Auch Reisinger hat ein paar Ratschläge parat.

Motive hinterfragen. Entrepreneur zu sein wird derzeit als schicker Lebensstil gehypt. Man hat ein Bild im Kopf, doch das passt nicht auf jeden. Wer die sichere Struktur einer Anstellung braucht, sollte dazu stehen.

Erfahrung hereinholen. Frisch von der Uni und ohne Praxis zu gründen vervielfacht das Risiko. Wer nicht auf alles selbst draufkommen will, holt zum jungen Team auch erfahrene Haudegen an Bord. Nach einer US-Studie sind die erfolgreichsten Gründer im Schnitt 42 Jahre alt.

Um Hilfe fragen. Viele wollen jedes Problem allein lösen und übernehmen sich dabei. Besser Coaches, andere Gründer und Kapitalgeber fragen.

Ausgleichsroutinen einbauen. Ob Sport, Natur, Meditation oder eine feste Zeit zum täglichen Nachhausegehen: Jeder muss seine eigene Routine finden und – wichtig – strikt einhalten.

Wenn der Ofen aus ist. Es beginnt schleichend: Irgendwann brennt man nicht mehr für sein Start-up. Dann den Mut aufbringen, es dem Team, den Investoren, den Kunden einzugestehen. Sonst ist man in einem Korsett gefangen, enger, als wenn man bei einem Konzern angeheuert hätte. Dort könnte man kündigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2019)

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