Kirche und Management: „Mit den Werten der Mitbrüder arbeiten“

Gernot Wisser ist Österreichs oberster Jesuit. Im Gespräch beschreibt er seinen Weg in den Orden, die Führungsaufgaben eines Provinzials und Strategien für Mitarbeitermotivation im geistlichen Umfeld.

Zur Person

Die Presse: Sie haben erst relativ spät, im Alter von 30 Jahren, ein Theologiestudium begonnen. Was führte Sie vom Beruf zur Berufung?
Gernot Wisser:
Nach dem Architekturstudium bin ich bei der niederösterreichischen Landesregierung gelandet und war dort als bautechnischer Amtssachverständiger tätig. Irgendwann hat sich für mich aber die Frage gestellt, ob das nun alles ist und ob ich nicht Priester werden soll. Selbst komme ich aus einer nicht besonders religiösen Familie, und auch deshalb habe ich die Frage lange verdrängt. Aber irgendwann war für mich klar, ich muss mich dieser Frage stellen. 

Warum die Jesuiten?
Ich habe unter anderem in Rom bei ihnen studiert. Irgendwann ist mir dann klar geworden, dass ich eigentlich Jesuit bin. Davor hatten mir schon andere gesagt, ich würde denken, leben und reden wie ein Jesuit. Wir sind sicher ein Orden, der viel selbst reflektiert. In der Managementsprache würde man sagen, wir sind eine „lernende Organisation“.

Wie würden Sie die Rolle des Ordens beschreiben?
Seit der Gründung versteht sich der Orden als eine Hilfe für den Papst. Als Wanderapostel versuchen wir, die Probleme, die es außerhalb und innerhalb der Kirche gibt, weltweit zu lösen. Daher haben wir ein zusätzliches viertes Gelübde (neben Armut, eheloser Keuschheit und Gehorsam, Anm.), das uns verpflichtet, dorthin zu gehen, wohin uns der Papst sendet. Das ist also ein Sendungsgelübde. Für uns ist wichtig, mobil und disponibel zu sein.

In welchen Bereichen sind Sie aktiv?
Stark engagiert sind wir in der Jugend- und Studierendenseelsorge. Der zweite Bereich ist das Kardinal König Haus – ein Bildungszentrum mit Angeboten im geistlichen Bereich, aber auch Lehrgängen wie Hospiz- und Palliativ-Care oder Sozialmanagement. Auch Ministerien oder Banken verwenden dieses Haus als Seminarzentrum. Der dritte große Bereich ist für uns sicher die theologische Fakultät in Innsbruck. Aber wir betreiben auch viele Projekte außerhalb von Österreich, etwa Schulen in Bulgarien.

Wie sieht Ihr Alltag als Geschäftsführer des „Unternehmens“ Jesuiten aus?

Es gibt für mich zwei typische Arbeitstage: Entweder ich sitze hier im Büro, oder ich bin irgendwo auf Reisen. Als Provinzial bin ich letztverantwortlich für alles. Das beinhaltet die Betreuung der Mitarbeiter, von persönlichen Fragestellungen bis hin zu ihren Einsatzorten, Aus- und Weiterbildung und alles, was damit zusammenhängt. Dann gibt es noch den großen Bereich der Wirtschaftssituation – ich bin letztverantwortlich für das Geld. Zusätzlich bin ich noch der Moderator der zentral- und osteuropäischen Provinziale – von Genf bis Wladiwostok, von Schweden bis nach Dubrovnik. Einmal im Jahr muss ich ein Gespräch mit jedem Mitbruder führen. Das umfasst auch eine sehr persönliche emotionale Komponente.

Ihre Organisation scheint sehr subsidiär aufgebaut. Wie schnell werden Entscheidungen getroffen?

Der Entscheidungsweg ist so lang, wie ich brauche, mich zu entscheiden. Wir haben nur sehr wenige Entscheidungsebenen, es gibt bei uns im Prinzip nur drei Entscheidungsträger. Weltweit sind das der Pater General, der Provinzial und der Hausobere. Die drei entscheiden alle autonom. Sie haben ein Beratungsgremium, das sie aber lediglich hören müssen. Das ist alles sehr straff organisiert. Bei uns wird der Provinzial auch nicht gewählt. Wir werden vom Pater General ernannt, die Hausoberen vom Provinzial.

Auch im Alltag der Brüder wird es Frustration und Motivationstiefs geben.

Natürlich braucht es auch bei uns Motivationsschübe. Ganz besonders wichtig ist für uns die „Wertschöpfung“. Damit meine ich zu sehen, welche Werte ein Mitbruder hat, sie zu benennen, sie zu heben und damit zu arbeiten. Jeder Mitbruder ist zum Gehorsam gezwungen. Es ist aber meine Verantwortung, darauf zu achten, dass er das auch leisten kann. Da geht es nicht nur um banale Dinge, etwa ob er das gelernt hat, sondern ob das seinen Fähigkeiten und Talenten in der Situation entspricht und an dem Ort, mit den konkreten Vorgaben möglich ist. Es ist auch wichtig zu unterscheiden, ob ich jemanden wohin schicke, weil ich ihn dort brauche, oder weil es für seine Persönlichkeitsentwicklung gut ist. Das muss man auch ganz klar kommunizieren.

Wie begehen Sie das Weihnachtsfest?
Am 24. Dezember komme ich von einer Predigt in Innsbruck nach Wien zurück und zelebriere einen Weihnachtsgottesdienst in St. Ruprecht. Später mache ich dann für meine Mitbrüder Karpfen. Dann werden wir zusammen Weihnachten feiern, und um Mitternacht habe ich dann die Mette in St. Ruprecht, die mit einer Agape endet. Weihnachten ist für einen Priester also schon eine Zeit der Arbeit.

Gernot Wisser ist Provinzial der Gesellschaft Jesu in Österreich und damit Vorgesetzter der 90 heimischen Jesuiten. Er studierte Architektur in Wien und arbeitete als bautechnischer Sachverständiger. Später studierte er Theologie, wurde 1991 zum Priester geweiht und trat im Jahr darauf in den Jesuitenorden ein. Bis zu seiner Ernennung 2008 leitete er das Kardinal König Haus in Lainz in Wien. Wisser ist auch Rektor der Wiener Kirche St. Ruprecht und Moderator der Ordensprovinziale in Zentral- und Osteuropa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2011)

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