Crashkurs Arbeitsrecht: Kündigung wegen Betriebsübergang

Folge 7. Das Unternehmen soll verkauft werden. Anna B. wird wie ihre Kolleginnen gekündigt. Dabei hieß es, die Firma werde weitergeführt. Kann Anna B. sich gegen die Kündigung wehren?

Das Unternehmen, in dem Anna B. beschäftigt ist, soll zur Gänze an einen Konkurrenten verkauft werden. Anna B. wird so wie ihre Kolleginnen unmittelbar vor der Übertragung des Unternehmens gekündigt. Sie ist darüber verwundert, denn das Unternehmen soll vom neuen Inhaber offensichtlich uneingeschränkt weitergeführt werden. Über Nachfrage erklärt man ihr, der neue Eigentümer wolle die Belegschaft zu „günstigeren Konditionen“ einstellen. Kann Anna B. sich gegen die Kündigung zur Wehr setzen?

Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob ein „Betriebsübergang“ vorliegt. Denn nach dem Gesetz tritt im Falle eines Betriebsübergangs der neue Inhaber als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in bestehende Arbeitsverhältnisse ein. Eine Kündigung allein auf Grund eines bevorstehenden oder bereits erfolgten Betriebsübergangs ist nichtig.

Von einem Betriebsübergang ist in diesem Zusammenhang dann zu sprechen, wenn ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen neuen Inhaber übergeht. Bereitet der Übergang eines ganzen Unternehmens auf einen neuen Eigentümer häufig keine Auslegungsschwierigkeiten, so ist die Frage, wann ein Betrieb oder Betriebsteil vorliegt, in der Praxis oft schwierig zu beantworten.

Dabei soll entscheidend sein, ob eine „wirtschaftliche Einheit“ übergeht, die ihre Identität bewahrt. Dies ist auf Grundlage diverser Merkmale zu beurteilen, etwa danach, ob Betriebsmittel, Kunden oder Teile der Belegschaft auf den neuen Inhaber übergehen, aber auch, ob nach dem Übergang die gleiche Tätigkeit ausgeübt und der gleiche Zweck verfolgt wird. Erforderlich ist eine wertende Gesamtbetrachtung, bei der es nicht auf einzelne Elemente allein ankommen soll. Nicht entscheidend ist auch, aus welchem Rechtsgrund der Betrieb(steil) übergeht, ob er also beispielsweise verkauft oder verpachtet wird.

Ein gewisser Auslegungsspielraum liegt demnach auf der Hand. Bereits die Übernahme einer EDV-Abteilung, die Übertragung selbständig ausgeführter Reinigungsarbeiten oder die Auslagerung eines Kantinenservice auf einen neuen Betreiber können im Einzelfall einen Betriebsübergang darstellen.

Keine "vorsorglichen" Kündigungen

Liegt ein Betriebsübergang vor, dann gehen sämtliche Arbeitsverhältnisse auf Grund des Gesetzes unverändert auf den neuen Inhaber über. Es bedarf dafür keiner Einigung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dieser automatische Übergang der Arbeitsverhältnisse darf nicht dadurch vereitelt werden, dass der ehemalige oder der neue Arbeitgeber die Arbeitnehmer wegen des Betriebsübergangs kündigen.

Insbesondere „vorsorgliche Rationalisierungskündigungen“ des bisherigen Arbeitgebers, die dem neuen Arbeitgeber eine bereits reduzierte Belegschaft verschaffen sollen, sind unzulässig. Die zeitliche Nähe einer Kündigung zu einem bevorstehenden oder bereits erfolgen Betriebsübergang ist dabei stets gewichtiges Indiz dafür, dass die Kündigung nur wegen des Betriebsübergangs erfolgte.

Wann doch gekündigt werden darf

Kündigungen in zeitlicher Nähe zu einem Betriebsübergang können aber gerechtfertigt sein, wenn dafür sachliche Gründe vorliegen. Diese Gründe können wirtschaftlicher, technischer oder organisatorischer Natur sein, etwa weil der neue Inhaber auf Grund interner Umstrukturierungsmaßnahmen tatsächlich weniger Mitarbeiter benötigt.

Aber auch das Verhalten des Arbeitnehmers kann die Kündigung im Einzelfall rechtfertigen. Die Kontrollfrage lautet dabei in der Regel: Wäre die Kündigung auch dann erfolgt, wenn man sich den Betriebsübergang wegdenkt? Kann man die Frage bejahen, so ist die Kündigung meist zulässig, sonst nicht.

Im konkreten Fall hat Anna B. somit gute Chancen, ihre Kündigung mit Erfolg gerichtlich zu bekämpfen. Es liegt ein Betriebsübergang vor, denn es wurde das gesamte Unternehmen verkauft, das weitgehend unverändert weitergeführt werden soll. Nur die Mitarbeiter wurden offenbar nicht übernommen. Die Arbeitsplätze sind jedoch nicht entfallen, der neue Eigentümer möchte seine Mitarbeiter offenbar nur zu neuen Konditionen einstellen. Sachliche Gründe für die Kündigung sind nicht ersichtlich. Der Käufer des Unternehmens müsste Anna B. somit zu den bestehenden Konditionen weiterbeschäftigen.

(c) Franz Helmreich Fotograf

Axel Guttmann ist Rechtsanwalt bei Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in Wien und im Bereich Arbeitsrecht spezialisiert.

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