Folge 12. Hans S. legt sein Portemonnaie in eine Lade seines Rollcontainers, die er nicht versperrt. Dann verlässt er das Arbeitszimmer. Als er zurückkommt, ist das Portemonnaie verschwunden. Haftet der Arbeitgeber?
Ein Arbeitsverhältnis besteht vor allem im Austausch von Arbeit gegen Entgelt. Damit sind die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis aber nicht erschöpft. Zusätzlich sind sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber verpflichtet, wechselseitig bestimmte Interessen der jeweils anderen Seite zu wahren.
Diese Interessenwahrungspflicht wird auf Seiten des Arbeitnehmers auch als Treuepflicht und auf Seiten des Arbeitgebers als Fürsorgepflicht bezeichnet.
Der zur persönlichen Arbeitsleistung verpflichtete Arbeitnehmer ist wegen seiner persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit besonders schutzbedürftig. Dabei geht es nicht nur um den Schutz einzelner Rechtsgüter wie Gesundheit und Leben, sondern allgemein um die Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers. Es bestehen zahlreiche Vorschriften, die die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers konkretisieren.
Soweit keine gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Normen bestehen, richtet sich die Reichweite der Fürsorgepflicht nach der Verkehrsauffassung. Kollidieren schutzwürdige Interessen des Arbeitnehmers mit jenen des Arbeitgebers, ist im Rahmen einer Interessenabwägung zu entscheiden, welches Interesse Vorrang hat.
Fürsorgepflicht verletzt?
Wird die Fürsorgepflicht verletzt, kann der Arbeitnehmer in gravierenden Fällen, z.B. bei einer akuten Gesundheitsgefährdung, seine Arbeitsleistung verweigern. Ist ihm darüber hinaus die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar geworden, kann der Arbeitnehmer vorzeitig austreten.
In aller Regel wird der Arbeitnehmer aber (zunächst), auch im eigenen Interesse, gelindere Mittel anwenden und den Arbeitgeber um Abhilfe ersuchen: Der Arbeitgeber soll in die Lage versetzt werden, seiner Fürsorgepflicht nachzukommen und die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers möglichst geschützt sind.
Hat der Arbeitnehmer einen Schaden erlitten, weil der Arbeitgeber die Fürsorgepflicht schuldhaft verletzt hat, kann der Arbeitgeber schadenersatzpflichtig sein.
Die Fürsorgepflicht erstreckt sich grundsätzlich auch auf vermögensrechtliche Interessen des Arbeitnehmers.
Alltags- oder Wertgegenstand?
Das Eigentum des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber allerdings nur insoweit vor Diebstahl oder Beschädigung schützen, als er damit rechnen muss, dass der Arbeitnehmer eigene Sachen einbringt. Dabei kann es sich um Werkzeug handeln, um (Über-) Bekleidung, den Ehering oder ein Portemonnaie mit üblichem Inhalt. Nimmt ein Arbeitnehmer hingegen Wertgegenstände mit zur Arbeit, die er später in einem Bankschließfach deponieren wollte, haftet der Arbeitgeber nicht.
Nur wenn die Verletzung der Fürsorgepflicht Ursache des Schadens ist, haftet der Arbeitgeber. Wird einem nachlässigen Arbeitnehmer in der Kantine die Geldtasche gestohlen, die er unbeaufsichtigt auf einem Tisch liegen hat lassen, kann sich der Arbeitnehmer nicht beim Arbeitgeber schadlos halten.
Für den Ausgangsfall ist von Bedeutung, dass das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) vorsieht, dass jedem Arbeitnehmer ein versperrbarer Kleiderkasten oder eine sonstige versperrbare Einrichtung zur Aufbewahrung der Privatkleidung und Arbeitskleidung sowie sonstiger Gegenstände, die üblicherweise zur Arbeitsstätte mitgenommen werden, zur Verfügung zu stellen ist. Damit entspricht der Arbeitgeber grundsätzlich der Pflicht, das Eigentum der Arbeitnehmer vor Diebstahl zu schützen. Hans S. muss für den Verlust seines Portemonnaies daher allein aufkommen.
Kurt Wratzfeld ist Partner bei der Kanzlei Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH (fwp) mit Spezialisierung in den Bereichen Arbeitsrecht, Prozessführung, Betriebspensionsrecht und allgemeines Zivilrecht. Er ist Autor zahlreicher Publikationen.
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