Crashkurs Arbeitsrecht: Verfall von Ansprüchen aus dem Dienstverhältnis

Folge 28. Das Dienstverhältnis von Hans H. wurde beendet. Er stellt fest, dass er noch Anspruch auf Überstundenentgelt aus dem letzten Monat hat. Sechs Wochen nach Beendigung des Dienstverhältnisses fordert er seinen Arbeitgeber schriftlich zur Zahlung dieser Überstunden auf.

Der Dienstgeber verweigert jedoch die Auszahlung unter Berufung auf folgende „Verfallsklausel“ in Hans‘ Dienstvertrag: „Sämtliche Ansprüche des Dienstnehmers sind bei sonstigem Verfall innerhalb eines Monats ab Fälligkeit schriftlich geltend zu machen.“ Laut Dienstgeber hätte Hans seinen Anspruch somit spätestens einen Monat nach Beendigung geltend machen müssen. Nun sei der Anspruch verfallen und könne nicht mehr eingefordert werden.

Muss Hans H. diese Verfallsbestimmung gegen sich gelten lassen? Grundsätzlich verjähren Ansprüche aus einem Dienstverhältnis nach allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen innerhalb von drei Jahren, d.h. sie können nach Ablauf von drei Jahren ab Fälligkeit nicht mehr gerichtlich durchgesetzt werden.

Die gesetzliche Verjährungsfrist kann durch Vereinbarung (z.B. im Dienstvertrag) verkürzt werden. Das Arbeitsrecht kennt darüber hinaus aber auch Verfallsfristen, die bedeutend kürzer sind als die dreijährige Verjährungsfrist.

Die rechtlichen Unterschiede zwischen Verjährungs- und Verfallsfristen sind in ihren praktischen Auswirkungen eher gering. Sie liegen unter anderem darin, dass bei Verjährungsfristen lediglich das Recht auf die Durchsetzung einer Forderung untergeht, während Verfallsfristen auch die Forderung selbst (nicht nur das Klagerecht) untergehen lassen.

Zahlt der Dienstgeber demnach beispielsweise irrtümlich eine bereits verfallende Forderung, kann er diese sogar zurückfordern, weil er rechtlich nichts mehr schuldet (im Falle der Verjährung nicht, weil er eine immer noch bestehende Forderung erfüllt hat).

Verfallsfristen

Verfallsfristen finden sich vereinzelt im Gesetz und häufig in Kollektivverträgen. Sie können aber auch im Dienstvertrag individuell vereinbart werden.

So sieht etwa § 34 AngG vor, dass Ersatzansprüche des Dienstgebers wegen ungerechtfertigtem vorzeitigem Austritt des Dienstnehmers oder vom Dienstnehmer verschuldeter Entlassung, Ansprüche des Dienstnehmers wegen ungerechtfertigter Entlassung oder vom Dienstgeber verschuldetem vorzeitigem Austritt, sowie Ansprüche wegen einer frist- oder terminwidrigen Kündigung des Dienstverhältnisses „bei sonstigem Ausschluss“ innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend zu machen sind.

Klagt beispielsweise ein ungerechtfertigt entlassener Dienstnehmer seinen Anspruch auf Kündigungsentschädigung nicht innerhalb von sechs Monaten ab Beendigung des Dienstverhältnisses ein, ist der Anspruch erloschen. Ansprüche auf Überstundenentgelt sind von dieser gesetzlichen Regelung aber grundsätzlich nicht erfasst.

Was Kollektivverträge regeln

Auch viele Kollektivverträge sehen Verfallsbestimmungen vor. Zum Beispiel enthält der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreich die Regel, dass Ansprüche des Arbeitsgebers sowie des Dienstnehmers „bei sonstigem Verfall“ innerhalb von 6 Monaten nach Fälligkeit schriftlich dem Grunde nach geltend zu machen sind. Werden sie rechtzeitig schriftlich geltend gemacht, bleibt die gesetzliche Verjährungsfrist gewahrt, d.h. es bleiben dem Berechtigten drei Jahre ab Fälligkeit, um seine Ansprüche einzuklagen. Diese allgemeine Regel gilt für sämtliche Ansprüche, soweit der Kollektivvertrag im Einzelnen nichts anderes vorsieht. So sieht der Handels-KV insbesondere für Forderungen des Dienstnehmers auf Grund der geleisteten Arbeitszeit (z.B. Überstundenentgelt) speziellere Regeln über den Verfall vor.

Verfallsfristen und verkürzte Verjährungsfristen können grundsätzlich auch im Dienstvertrag vereinbart werden. Einzelvertragliche Regelungen sind jedoch unwirksam, soweit sie Ansprüche betreffen, die bereits durch einseitig zwingende gesetzliche Verfallsfristen oder kollektivvertragliche Verfallsfristen geregelt sind, und diese Verfallsfristen zum Nachteil des Dienstnehmers verkürzen sollen. Ein Verfall der von § 34 AngG erfassten Beendigungsansprüche vor Ablauf von sechs Monaten kann also zum Nachteil des Dienstnehmers nicht vereinbart werden.

Sittenwidrigkeit

Schließlich dürfen kollektivvertraglich oder einzelvertraglich geregelte Verfallsfristen nicht sittenwidrig sein. Sittenwidrigkeit ist dann anzunehmen, wenn die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschwert wird. Ob dies der Fall ist, hängt jeweils von der Länge der vereinbarten Verfallsfrist und der Art der erfassten Ansprüche ab (je aufwendiger die Ermittlung eines Anspruchs ist, umso mehr Zeit zur Geltendmachung soll tendenziell bleiben).

Aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes lassen sich folgende Richtwerte ableiten: Verfallsfristen von drei oder mehr Monaten werden tendenziell als zulässig angesehen. In einem Fall wurde auch bereits eine Verfallsfrist von lediglich zwei Monaten für die Geltendmachung von Überstundenentgelt für ausreichend lang befunden. Verfallsfristen von lediglich sechs Wochen oder weniger (z.B. ein Monat) sind hingegen in den meisten Fällen unwirksam.

Im konkreten Fall kann Hans H. daher mit guten Erfolgsaussichten argumentieren, dass die vereinbarte Verfallsfrist von lediglich einem Monat wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist. Ist auf sein Dienstverhältnis ein Kollektivvertrag anwendbar, der eine Verfallsbestimmung enthält, die auch auf Ansprüche auf Überstundenentgelt anzuwenden ist, müsste er diese jedoch zusätzlich beachten. Andernfalls gilt für ihn nur die gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren für die gerichtliche Geltendmachung seines Anspruchs.

Dienstnehmern wie auch Dienstgebern ist vor diesem Hintergrund jedenfalls zu empfehlen, sich stets rasch um die Geltendmachung allfälliger Ansprüche aus einem Dienstverhältnis zu kümmern und die jeweils zu beachtenden Fristen abzuklären. Dabei ist auch im Detail zu prüfen, ob für die Wahrung des Anspruches lediglich die schriftliche Geltendmachung gegenüber der anderen Partei innerhalb der Verfallsfrist ausreichend ist, oder ob (wie bei § 34 AngG) die gerichtliche Geltendmachung erforderlich ist. Sonst droht der Verlust auch von bereits sicher geglaubten Ansprüchen.

(c) Franz Helmreich Fotograf

Axel Guttmann ist Rechtsanwalt bei Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in Wien und auf den Bereich Arbeitsrecht spezialisiert.

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