Folge 29. Nicht jede Herabwürdigung im alltäglichen Leben ist rechtlich gesehen "Diskriminierung". Der Rechtsbegriff ist teils weiter, teils enger gefasst als es im Alltag der Fall ist.
Diskriminierung bedeutet ganz allgemein die Herabwürdigung oder Benachteiligung einzelner oder ganzer Gruppen wegen eines Merkmals, das nach Wertvorstellungen oder auch Vorurteilen den oder die Diskriminierten absondert. Der Abbau von Diskriminierung ist Gegenstand politischer und weltanschaulicher Diskussionen. Dies soll hier jedoch nicht das Thema sein.
Hier geht es um den Rechtsbegriff „Diskriminierung“, der teils enger und teils weiter ist, als die Alltagssprache nahelegt. Der Schutz vor Diskriminierung basiert auf Rechtsakten der Europäischen Union und ist in verschiedenen Gesetzen geregelt, was auch damit zu tun hat, dass sowohl der Bundes- als auch die Landesgesetzgeber angesprochen sind.
Nicht jedes Merkmal, das Anlass für eine herabwürdigend empfundene Behandlung sein kann, ist vom Diskriminierungsschutz umfasst. Während zB das Geschlecht, die Religion oder das Alter Merkmale sind, bei denen der gesetzliche Schutz vor Diskriminierung eingreift, sind andere Merkmale, die dazu führen können, dass eine Person eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere, nicht vom Diskriminierungsschutz umfasst. So sind zB Fettleibigkeit, entstellende Narben oder Tätowierungen kein derartiges Merkmal.
Anwendungsbereiche
Der Diskriminierungsschutz gilt nicht für alle Lebensbereiche. Die Arbeitswelt ist der umfassendste und wohl auch wichtigste Anwendungsbereich. In einzelnen Lebensbereichen, wie der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen (einschließlich Wohnraum), sind nur bestimmte Gruppen vor Diskriminierung geschützt; andere nicht. So können sich Eltern, denen eine Wohnung wegen ihrer Kinder nicht vermietet wurde, wegen der Diskriminierung beschweren, ein gleichgeschlechtliches Paar kann sich hingegen nicht auf ein Verbot der Diskriminierung berufen. Insoweit wird der Schutz vor Diskriminierung enger gezogen, als umgangssprachlich zu erwarten gewesen wäre.
Der Diskriminierungsschutz verpflichtet zur Gleichbehandlung, schützt vor (sexueller) Belästigung und vor Benachteiligung als Reaktion auf eine Beschwerde. Auch mittelbare Diskriminierung, als eine nur scheinbar sachlich begründete Benachteiligung, ist verboten. Selbst Personen, die auf Grund ihres Naheverhältnisses zu einer vor Diskriminierung geschützten Person zB wegen dessen Weltanschauung oder ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert werden, können sich auf den Diskriminierungsschutz berufen. Insoweit ist der Anwendungsbereich des Diskriminierungsschutzes also weiter, als die umgangssprachliche Verwendung des Wortes vermuten lässt.
Darüber hinaus lässt das Gesetz positive Diskriminierung zu. Damit sind Maßnahmen gemeint, die zwar diskriminierend sind, aber in der sozialen Wirklichkeit bestehende Ungleichheiten beseitigen und verringern sollen.
Anlaufstellen
Zum Schutz vor Diskriminierung sind zusätzlich Beschwerdestellen eingerichtet worden, die für den Betroffenen kostengünstig klären sollen, ob eine Diskriminierung vorliegt ehe es zu einem Gerichtsverfahren kommt. Für Gleichbehandlungsfragen wurde die Gleichbehandlungsanwaltschaft, die beratend und schlichtend tätig ist, sowie die für die Klärung eines Streits zuständige Gleichbehandlungskommission eingerichtet. Für Diskriminierungsvorwürfe aufgrund von Behinderungen in der Arbeitswelt ist die Schlichtungsstelle beim Bundessozialamt zuständig. Für den Betroffenen besonders günstig ist, dass er eine Diskriminierung nicht im strengen Sinn beweisen muss, sondern es zunächst ausreicht, diese glaubhaft zu machen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Gegen herabwürdigende Behandlung oder Benachteiligungen aufgrund von Merkmalen, die keinen Diskriminierungsschutz genießen, kann sich der Betroffene wehren, wenn diese rechtswidrig sind; nur die Vorteile des Diskriminierungsschutzes stehen ihm nicht zur Verfügung.
Ob eine weitere Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes wünschenswert ist, ist eine Frage des Standpunkts. Zu bedenken ist jedenfalls, dass jede Ausdehnung zugleich zu einer Einschränkung der Privatautonomie führt und in Grundrechte, also durch Verfassungsgesetz gewährleistete subjektive Rechte eingreifen kann.
Kurt Wratzfeld ist Partner bei der Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH (fwp) mit Spezialisierung in den Bereichen Arbeitsrecht, Prozessführung, Betriebspensionsrecht und allgemeines Zivilrecht. Er ist Autor zahlreicher Publikationen
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