Crashkurs Arbeitsrecht: Sportunfälle in der Freizeit und Entgeltfortzahlung

Folge 33. Hans C. ist Angestellter eines Steuerberaters. In seiner Freizeit fährt er im Winter Schi. Nach einem Schitag verbringt er ein paar Stunden in einer Aprés-ski Hütte. Bei der Abfahrt ins Tal stürzt er und ist zwei Monate arbeitsunfähig. Sein Arbeitgeber fragt sich, ob er das Entgelt fortzahlen muss.

Erkrankt ein Angestellter nach Dienstantritt und ist er deshalb arbeitsunfähig, behält er während des Krankenstandes für einen bestimmten Zeitraum den Anspruch auf das Entgelt. Gleiches gilt, wenn die Arbeitsunfähigkeit Folge eines Unglückfalls ist. Voraussetzung ist allerdings, dass der Angestellte die Verhinderung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt hat. Wie lange der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, hängt vor allem davon ab, wie lange das Arbeitsverhältnis bereits gedauert hat. Zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses muss der Arbeitgeber das Entgelt bis zu sechs Wochen lang fortzahlen. Dieser Zeitraum steigt mit der Dauer des Arbeitsverhältnisses schrittweise auf zwölf Wochen an, der nach 25 Dienstjahren zusteht. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger, als der jeweilige Zeitraum der Entgeltfortzahlung, hat der erkrankte Angestellte außerdem noch vier weitere Wochen Anspruch auf das halbe Entgelt.

Ob der Angestellte in der Freizeit verunglückt, oder bei der Arbeit, ist für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung dem Grunde nach unerheblich. Daher ist das Entgelt auch dann fortzuzahlen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einen Sportunfall zurückzuführen ist. Kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nur, wenn der Unfall vom Angestellten zumindest grob fahrlässig herbeigeführt worden ist. Grobe Fahrlässigkeit ist ein Grad des Verschuldens, der zwischen der leichten Fahrlässigkeit und dem Vorsatz angesiedelt ist. Gemeint ist damit eine auffallende Sorglosigkeit, wobei sich diese auf die Pflicht des Arbeitnehmers bezieht, seine Arbeitsfähigkeit möglichst nicht zu beeinträchtigen. Ein Verschulden dieses Grades kann dem Angestellten zum Vorwurf gemacht werden, wenn er die Dienstverhinderung durch sein ungewöhnlich leichtfertiges oder mutwilliges Verhalten herbeigeführt hat oder, wenn er sich mutwillig Gefahren aussetzt, die erheblich über das bei einer normalen und vernünftigen Lebensweise Übliche hinausgehen.

An eine in diesem Sinn grob fahrlässige Sportausübung ist zu denken, wenn der Sport an sich sehr häufig zu Verletzungen führt, die den Ausübenden arbeitsunfähig machen, wenn der Sport ein Ausmaß an Training oder Kenntnissen voraussetzt und der Sporttreibende sich dennoch darauf einlässt, obwohl er über diese Fertigkeiten nicht verfügt und schließlich, wenn zu einer an sich wenig gefährlichen Sportausübung gefahrenerhöhende Umstände hinzukommen.

Grundsätzlich kann jede sportliche Tätigkeit zu einer Verletzung führen. Das Eingehen dieses gewöhnlichen Verletzungsrisikos ist weder rechtswidrig noch vorwerfbar. Ein Überknöcheln beim Tennis, ein Ausrutscher beim Wandern oder ein Sturz vom Fahrrad sind schnell passiert. Auch die Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen ist nicht zu beanstanden, selbst wenn es dabei zu Fouls kommen kann, die einen Krankenstand zur Folge haben.

Die Rechtsprechung ist bei Sportverletzungen im Sinne der Arbeitnehmer eher großzügig: Demnach ist beispielsweise weder das Fußballspiel noch die Ausübung von Kampfsporten, bei dem es relativ häufig zu Verletzungen kommt, an sich grob fahrlässig. Auch die sportliche Betätigung bei sogenannten Risikosportarten wie Skifahren, Sportklettern oder Fallschirmspringen ist nicht schlechthin als grob fahrlässig einzustufen. Selbst ein Drachenflieger-Neuling, der keinen Flugunterricht genommen hatte und sich auch sonst mit dem Sport offenbar kaum auskannte, handelte nach dem Urteil eines Landesgerichts nicht fahrlässig, weil der Arbeitnehmer zur Ausübung des Sports körperlich und geistig geeignet war und das Drachenfliegen nicht gefährlicher ist, als das Klettern in Fels und Eis, das Skifahren oder das Fußballspielen.

Das Einlassen auf (gefährliche) Sportarten ist daher, auch wenn der Sporttreibende nicht über die notwendigen Fertigkeiten verfügt, offenbar nur in extremen Ausnahmefällen grob fahrlässig. Für die Richtigkeit dieses Zugangs spricht, dass jeder, der eine Sportart erlernt, zunächst nicht die gleiche Geschicklichkeit aufweisen wird, wie der erfahrene Sportler.

Eine größere Strenge ist auf die geforderte Sorgfalt anzuwenden, wenn gefahrenerhöhende Umstände hinzutreten. Gerade im Bereich des Skisports regeln die öffentlich zugänglichen FIS-Regeln und der Pisten-Ordnungs-Entwurf (POE), wie man sich auf der Piste richtig verhält. Dabei handelt es sich um eine Zusammenfassung des allgemein vorausgesetzten Sorgfaltsmaßstabes der Pistenbenützung, wobei der Oberste Gerichtshof in der Vergangenheit immer wieder Bezug auf diese Regelungen bei der Lösung haftungsrechtlicher Fragen nahm. Diese Regelungen beinhalten Verhaltensregeln, die von jedem Schifahrer auch ohne deren Kenntnis von dem konkreten Regelwerk vorausgesetzt wird. Beispielsweise hat ein überholender Schifahrer einen ausreichenden Mindestsicherheitsabstand gegenüber einem anderen Schifahrer einzuhalten.

Im Fall von Hans C. wird es also darauf ankommen, ob er seine Arbeitsunfähigkeit grob fahrlässig herbeigeführt hat, in dem er etwa gegen Pistenregeln verstoßen hat. Wenn dann noch Alkohol im Spiel war, könnte sich der Arbeitgeber von Hans C. die Fortzahlung des Entgelts während des Krankenstandes ersparen.

Kurt Wratzfeld ist Partner bei der Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH (fwp) mit Spezialisierung in den Bereichen Arbeitsrecht, Prozessführung, Betriebspensionsrecht und allgemeines Zivilrecht. Er ist Autor zahlreicher Publikationen.

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