Crashkurs Arbeitsrecht: Recht auf Beschäftigung

Folge 34. Manfred V. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer inländischen Universität. Als er gekündigt wird, stellt ihn sein Arbeitgeber vom Dienst frei. Manfred V. ficht die Kündigung bei Gericht an und will weiter an der Universität arbeiten.

Die Hauptpflichten aus einem Arbeitsvertrag sind einerseits die Zahlung des Gehalts auf Arbeitgeberseite und andererseits die Zurverfügungstellung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat das Recht, vom Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu verlangen. Kann aber der Arbeitnehmer seinerseits verlangen, beschäftigt zu werden?

Grundsätzlich gilt, dass ein Gläubiger nicht dazu verpflichtet ist, die ihm geschuldete Leistung anzunehmen. Er kann sich durch die Verweigerung der Annahme der Leistung natürlich nicht seinen Verpflichtungen entziehen. Der Gläubiger gerät in Annahmeverzug. Dessen widrige Folgen gehen zu Lasten des Gläubigers. So ist es im Grundsatz auch beim Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist vom Dienst freistellt. Er muss dem leistungsbereiten Arbeitnehmer das Gehalt weiterbezahlen. Der Arbeitnehmer hat aber keinen Anspruch, beschäftigt zu werden.

Diese Situation ist in einzelnen Fällen aus der Sicht des Arbeitnehmers objektiv gesehen unbefriedigend. Es sind Fälle denkbar, in denen ein Arbeitnehmer ein schützenswertes Interesse an der tatsächlichen Ausübung der vereinbarten Tätigkeit hat. Zu denken ist an eine Berufsausbildung, die nur abgeschlossen werden kann, wenn der Arbeitnehmer praktisch verwendet wird. Ähnlich ist die Lage, wenn der Arbeitnehmer ohne tatsächliche Berufsausübung die Genehmigungen dazu verliert oder wenn die Ausübung der Tätigkeit notwendig ist, um bestimmte Fertigkeiten zu behalten. In diesen Fällen kann der Arbeitgeber ausnahmsweise verpflichtet sein, den Arbeitnehmer auch tatsächlich zu beschäftigen.

Lehrlinge, Piloten und Chirurgen...

So haben etwa Lehrlinge nicht nur das Recht auf tatsächliche Verwendung im Lehrbetrieb, sondern auf eine ausbildungsdienliche Tätigkeit. Ähnliches gilt auch für andere Arbeitsverhältnisse, die der fachlichen Ausbildung des Arbeitnehmers dienen. Dementsprechend muss Rechtsanwaltsanwärtern eine umfassende und sorgfältige Ausbildung zukommen und Turnusärzte sind auf eine selbstständige Tätigkeit als Arzt vorzubereiten.

Auch Piloten von Verkehrsflugzeugen haben Anspruch auf Beschäftigung zumindest in dem Ausmaß, das erforderlich ist, um eine Fluglizenz zu erlangen und später zu behalten. Die Anzahl der notwendigen Flugstunden stellt allerdings auch die Grenze des Rechts auf Beschäftigung dar, da darüber hinaus kein schützenswertes Interesse des Piloten besteht.

Bei Chirurgen wird das Recht auf Beschäftigung damit begründet, dass ein Brachliegen ihrer Fähigkeiten zwangsläufig zu einem Qualifikationsverlust und zur Minderung des chirurgisch-handwerklichen Niveaus führt. Chirurgen sind auf die Infrastruktur einer Krankenanstalt angewiesen und können Operationen nicht ohne Weiteres woanders, etwa in einer Privatpraxis durchführen.

...Berufsfußballer

Aufmerksamkeit erregte 2007 der Fall eines Berufsfußballers, dem der Oberste Gerichtshof das Recht zubilligte, am Training der Kampfmannschaft seines Vereins teilzunehmen. Das war erforderlich, damit der Berufsfußballer seine Fähigkeiten und somit auch seinen Marktwert auf höchst möglichem Niveau halten konnte. Nur aus besonderen Gründen kann (für einen beschränkten Zeitraum) davon abgegangen und bei Berufsfußballern ein Individualtraining oder Trainingseinheiten in kleineren Gruppen angeordnet werden. Gründe dafür wären zum Beispiel fehlende Fitness oder ein disziplinäres Fehlverhalten. Das Recht auf Beschäftigung als Berufsfußballer umfasst jedoch nicht die Teilnahme an Wettkämpfen.

Im Fall des Manfred V. kommt es also darauf an, ob er einer Dienstfreistellung einen ähnlich gewichtigen Grund entgegensetzen kann, der ein schützenswertes Recht an der Ausübung der Tätigkeit begründet. Wenn allerdings nicht anzunehmen ist, dass Manfred V.s Fähigkeiten zur Ausübung der Tätigkeit beeinträchtigt werden oder er eine Berufsberechtigung verliert, wird er sich, wie die meisten Arbeitnehmer, damit abfinden müssen, dass er dienstfrei gestellt ist.

(c) Felicitas Matern

Kurt Wratzfeld ist Partner bei der Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH (fwp) mit Spezialisierung in den Bereichen Arbeitsrecht, Prozessführung, Betriebspensionsrecht und allgemeines Zivilrecht. Er ist Autor zahlreicher Publikationen.

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