Crashkurs Arbeitsrecht: Whistleblowing

Folge 53. Die Buchhalterin Maria B. entdeckt zufällig, dass einer der Geschäftsführer des Unternehmens eine private Rechnung als „dienstlich begründet“ und als Barauslage geltend gemacht hat. Maria B. ist unsicher. Soll sie den Vorfall den übrigen Geschäftsführern melden?

Arbeitnehmer sind grundsätzlich nicht verpflichtet, Pflichtverletzungen ihrer Arbeitskollegen oder Vorgesetzten zu melden. Aus der allgemeinen Treuepflicht ergibt sich jedoch die Verpflichtung des Arbeitnehmers, abhängig von dessen konkreter Position und Tätigkeitsbereich, den Arbeitgeber bei Kenntnis über bestimmte Vorgänge im Unternehmen, wie etwa strafbare Handlungen (z.B. Betrug, Korruption, Untreue oder Diebstahl), Störungen des Betriebsablaufs oder der Gefahr von drohenden oder bereits eingetretenen Schäden (z.B. Gefahren für die Gesundheit und das Leben am Arbeitsplatz) zu informieren („Informations- und Anzeigepflicht“). Diese Verpflichtung des Arbeitnehmers steht dabei in engem Zusammenhang mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, Missstände im Unternehmen zu bekämpfen, wenn er davon Kenntnis erlangt.

Arbeitnehmer können jedoch auch in internen Unternehmensrichtlinien („Code of Conduct“) ausdrücklich dazu verpflichtet werden, von ihnen beobachtete Missstände im Unternehmen entweder an ihre Vorgesetzten oder an eine zentrale Stelle im Unternehmen zu melden. Derartige Unternehmensrichtlinien verfolgen zumeist das Ziel, unternehmensinterne Missstände oder strafrechtlich relevante Vorgänge, wie Korruption, Datenmissbrauch, Verstöße gegen Verhaltenskodizes oder Gefahren im oder für das Unternehmen aufzudecken, von denen ein Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz oder in Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis erfahren hat.

Hotline für den anonymen Tipp

Zu diesem Zweck können Unternehmen auch Systeme zur anonymen Informationsweitergabe einrichten („Whistleblowing-Hotlines“). Durch das Einrichten solcher Systeme soll schweren Missständen und Gesetzesverstößen durch Kollegen und Vorgesetzten vorgebeugt werden oder eine Möglichkeit geschaffen werden, derartige Verstöße aufzudecken. In aller Regel sind Whistleblowing-Hotlines im Arbeitsverhältnis Teil des internen Kontroll- bzw. Compliancesystems eines Unternehmens.

Das Besondere an diesen Systemen ist, dass sie „automationsunterstützt personenbezogene“ Daten verarbeiten und die Systeme daher datenschutzrechtlichen Anforderungen entsprechen müssen. Die Einrichtung automationsunterstützter Whistleblowing-Hotlines in Unternehmen ist deshalb nur nach vorheriger Genehmigung der Datenschutzbehörde zulässig. Diese wird grundsätzlich nur dann erteilt, wenn ein berechtigtes Interesse des Unternehmens, z.B. zur Durchsetzung einschlägiger Grundsätze der Unternehmensführung, vorliegt. Ein berechtigtes Interesse wird dann als gegeben erachtet, wenn die Meldungen ausschließlich mutmaßlich schwere Verstöße leitender Mitarbeiter bzw. Führungskräfte („Entscheidungsträger“) oder Personen mit ähnlichem Verantwortungsbereich betreffen.

In ihrer üblichen Ausgestaltung handelt es sich bei der Whistleblowing-Hotline aufgrund der gegenseitigen Überwachung um eine Kontrollmaßnahme, die die Menschenwürde berührt. In diesem Fall bedarf die Einführung einer Whistleblowing-Hotline daher zusätzlich entweder, wenn es im Unternehmen einen Betriebsrat gibt, des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung, oder in Unternehmen ohne Betriebsrat der ausdrücklichen Zustimmung aller Arbeitnehmer.

Fazit

Maria B. ist als einfache Buchhalterin nicht verpflichtet, den Vorfall, den sie nur zufällig wahrgenommen hat, zu melden. Wenn sie den Vorfall dennoch meldet, handelt sie jedoch ebenfalls rechtmäßig.

Monika Sturm ist Rechtsanwältin bei der Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH (fwp) mit Spezialisierung im Bereich Arbeitsrecht.

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