Folge 55. Mario M. ist von seinem Arbeitgeber gekündigt worden. Er nimmt während der Kündigungsfrist Postensuchtage in Anspruch. Als der Vorgesetzte erfährt, dass Mario M. bereits einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat, meint er, dass Mario M. kein Anspruch auf Postensuchtage mehr zustehe.
Arbeitnehmer haben bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber in jeder Woche der Kündigungsfrist Anspruch auf Freistellung im Ausmaß von mindestens einem Fünftel der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ohne Schmälerung des Entgelts („Postensuchtage“). Bei einer 40-Stunden-Woche hat der Arbeitnehmer demnach Anspruch auf Freistellung von acht Stunden pro Woche.
Zweck der Postensuchtage ist, dem Arbeitnehmer die Gelegenheit zu verschaffen, sich bereits während der Kündigungsfrist um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen. Darüber hinaus soll dem Arbeitnehmer die Möglichkeit geboten werden, sonstige notwendige Vorkehrungen anlässlich des Arbeitsplatzwechsels zu treffen. Kein Anspruch auf Postensuchtage besteht dementsprechend mangels Arbeitsplatzwechsel bei einer Kündigung im Zusammenhang mit einer Pensionierung.
Der Anspruch auf bezahlte Freizeit während der Kündigungsfrist entsteht nicht bereits aufgrund des Gesetzes mit Zugang der Kündigung, sondern erst mit dem Verlangen des Arbeitnehmers. Das Verlangen, das im Vorhinein gestellt werden muss, ist an keine besondere Form gebunden. Solange der Arbeitnehmer keinen Postensuchtag verlangt, steht er ihm auch nicht zu. Er hat dafür, dass er keinen Postensuchtag in Anspruch genommen hat, nachträglich keinen Entschädigungsanspruch.
Die wöchentliche Postensuchzeit kann auf einmal oder auch stundenweise verbraucht werden. Der Anspruch auf die Postensuchzeit kann hingegen nicht gehortet und für mehrere Wochen zusammengefasst verlangt werden. Bei einer Kündigungsfrist von acht Wochen kann beispielsweise keine Freistellung von acht Tagen am Stück verlangt werden (ausgehend von einer Fünftagearbeitswoche).
Postensuchtage stehen nur für die Dauer der jeweiligen Mindestkündigungszeit zu, nicht aber während der gesamten tatsächlichen Zeit zwischen dem Zugang der Kündigung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Eine vorzeitige Kündigung verlängert den Anspruchszeitraum nicht. Für Zeiträume innerhalb der Kündigungsfrist, in denen der Arbeitnehmer Erholungsurlaub konsumiert, sind keine Postensuchtage (und kein Geldersatz) zu gewähren.
Wann besteht Anspruch?
Das Gesetz sieht keinen Anspruch auf Postensuchtage vor, wenn ein Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet wird oder wenn ein befristetes Arbeitsverhältnis durch Ablauf der Frist endet. Die Rechtsprechung hat zur früheren Rechtslage einen analogen Anspruch auf Postensuchtage bei befristeten Arbeitsverhältnissen bejaht, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens drei Monate gedauert hat.
Strittig ist, ob der Zeitpunkt der Inanspruchnahme zu vereinbaren ist oder vom Arbeitnehmer einseitig festgelegt werden kann und ihn nur eine Meldepflicht trifft. Da im Gesetz nur davon die Rede ist, dass der Arbeitnehmer den Postensuchtag verlangen muss, scheint eine Zustimmung des Arbeitgebers nicht erforderlich. Allerdings sind auch im Zusammenhang mit der Festsetzung der Postensuchzeit sowohl die Interessen des Arbeitgebers, als auch die des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.
Das bedeutet, dass bei einer Kollision dieser Interessen hinsichtlich der zeitlichen Lagerung des Freistellungsanspruchs eine Interessenabwägung stattzufinden hat. Zwingende betriebliche Gründe können somit ausnahmsweise der Inanspruchnahme von Freizeit zur Postensuche entgegenstehen. Berücksichtigt der Arbeitnehmer das betriebliche Interesse nicht angemessen, riskiert er eine berechtigte Entlassung. Es ist daher für den Arbeitnehmer ratsam, nur im Notfall vom einseitigen Antrittsrecht Gebrauch zu machen.
Freie Zeit auch ohne Postensuche
Trotz der Bezeichnung „Postensuchtag“ besteht keine Zweckbindung des Freistellungsanspruchs. Der Arbeitnehmer muss daher nicht nachweisen, wie er die Zeit, für die er freigestellt wird, verwendet. Der bezahlte Freistellungsanspruch steht ihm auch dann zu, wenn er bereits einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat. Es stellt somit keinen Entlassungsgrund dar, wenn der Arbeitnehmer die Postensuchtage zu einem anderen Zweck als zur Postensuche nutzt.
Verweigert der Arbeitgeber trotz Verlangens des Arbeitnehmers die Gewährung der Freistellung während der Kündigungsfrist, gebührt dem Arbeitnehmer eine Entschädigung des Freistellungsanspruchs als Vorteilsausgleichung in Geld. Die Höhe des Ersatzanspruchs richtet sich nach dem konkreten Entgelt für die Zeiten, in denen der Arbeitnehmer bezahlte Freistellung hätte verbrauchen können.
Fazit
Im Ausgangsfall kann der Arbeitgeber Mario M. die Inanspruchnahme von Postensuchtagen daher nicht mit der Begründung verwehren, dass Mario M. bereits einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat.
Kurt Wratzfeld ist Partner bei der Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH (fwp) mit Spezialisierung in den Bereichen Arbeitsrecht, Prozessführung, Betriebspensionsrecht und allgemeines Zivilrecht. Er ist Autor zahlreicher Publikationen.