Crashkurs Arbeitsrecht: Sexuelle Belästigung - Arbeitgeber in der Pflicht

Folge 57. Karl P. betreibt eine kleine Werbeagentur. Ihm fällt auf, dass die junge Mitarbeiterin Lea M. ihren Kleidungsstil ändert. Karl P. denkt sich zunächst nichts dabei. Als er zufällig hört, wie ein älterer Arbeitnehmer Lea M. „Puppi“ nennt, ist er verunsichert: Muss er aktiv werden?

Nach dem Gleichbehandlungsgesetz liegt eine sexuelle Belästigung dann vor, wenn vom Arbeitgeber, einem Kollegen oder einem Dritten ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten gesetzt wird, welches die Würde einer Person beeinträchtigt oder dies bezweckt. Dieses Verhalten muss für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig sein und eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für die betroffene Person schaffen oder dies zumindest bezwecken. Sexuelle Belästigung ist es auch dann, wenn die betroffene Person ein derartiges Verhalten zurückweist oder duldet und dies dann zur Grundlage einer Entscheidung in der Arbeitswelt gemacht wird.

Dasselbe gilt, wenn gegen eine Person aufgrund ihres Naheverhältnisses zu einer Person wegen deren Geschlechts ein entsprechendes Verhalten gesetzt wird. Das inkriminierte Verhalten muss entweder ausdrücklich sexuelle Sachverhalte ansprechen oder auf das Geschlecht der betroffenen Person abzielen.

Die Erscheinungsformen sind vielfältig und reichen vom Erzählen freizügiger Witze, über Körperberührungen, bis hin zum Versprechen beruflicher Vorteile bei „sexueller Willigkeit“ beziehungsweise der Androhung beruflicher Nachteile bei sexueller Verweigerung. Für die Erfüllung des Tatbestands ist das subjektive Empfinden des Erlebten als sexuelle Belästigung ausschlaggebend, wobei das Verhalten aber objektiv geeignet sein muss, die Würde einer Person zu verletzen.

Arbeitgeber hat Fürsorgepflicht

Ein Arbeitsverhältnis beinhaltet neben dem Austausch von Arbeitsleistung gegen Entgelt auch eine Vielzahl weiterer Verpflichtungen. Eine dieser weiteren Verpflichtungen ist die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern. Demnach hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistungen so zu regeln, dass das Leben und die Gesundheit der Arbeitnehmer, soweit es nach der Natur der Arbeitsleistung möglich ist, geschützt werden.

Für besonders schutzbedürftige Arbeitnehmergruppen (Kinder und Jugendliche, werdende und stillende Mütter, Behinderte) gibt es über die allgemeine Fürsorgepflicht hinausgehende Anforderungen. Der Schutzbereich der Fürsorgepflicht umfasst im Wesentlichen die Persönlichkeit der Arbeitnehmer. Demzufolge sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Persönlichkeitsrechte ihrer Arbeitnehmer zu wahren.

Die sexuelle Belästigung stellt eine besonders gravierende Verletzung der Persönlichkeitsrechte und eine Diskriminierung dar. Die betroffene Person hat Anspruch auf Herstellung eines diskriminierungsfreien Zustandes. Der Arbeitgeber ist daher verpflichtet, angemessene Abhilfemaßnahmen zu setzen. Diese Verpflichtung besteht nicht erst bei Kenntnis der sexuellen Belästigung, sondern bereits dann, wenn er davon Kenntnis hätte haben müssen. Das ist dann der Fall, wenn die betroffene Person die sexuelle Belästigung einer der Arbeitgeberseite zuzurechnenden Person gemeldet oder eine solche Meldung veranlasst hat oder der Arbeitgeber konkreten Anzeichen einer sexuellen Belästigung nicht nachgegangen ist.

Prävention durch „Null-Toleranz-Regel“

Die Wahl der konkreten Abhilfemaßnahmen obliegt dem Arbeitgeber. Als mögliche Abhilfemaßnahmen kommen unter anderem die räumliche Trennung des Täters vom Opfer oder der Ausspruch einer Verwarnung, Kündigung oder Entlassung in Betracht. Präventiv können Arbeitgeber beispielsweise durch die Aufnahme von entsprechenden „Null-Toleranz-Klauseln“ bereits in die Arbeitsverträge ihrer Arbeitnehmer, durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen oder durch die Festlegung entsprechender interner Unternehmensrichtlinien („Code of Conduct“) zur Vermeidung sexueller Belästigungen im Unternehmen beitragen.

Kommt der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht im Zusammenhang mit einer sexuellen Belästigung nicht nach, hat die betroffene Person nicht nur gegen den Täter, sondern auch gegen den Arbeitgeber Anspruch auf Schadenersatz, der auch immaterielle Schäden für die Verletzung ihrer persönlichen Würde umfasst. Der Schadenersatzanspruch ist binnen drei Jahren, beginnend ab dem Zeitpunkt des Übergriffs, geltend zu machen. Darüber hinaus kann die Unterlassung angemessener Abhilfemaßnahmen durch den Arbeitgeber einen Austrittsgrund darstellen, der den Arbeitnehmer zur fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter voller Wahrung aller Ansprüche auf Abfertigung und Kündigungsentschädigung berechtigt.

Fazit

Im konkreten Fall darf Karl P. die Anzeichen einer möglichen sexuellen Belästigung nicht ignorieren. Karl P. ist im Rahmen seiner Fürsorgepflicht dazu verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären. Sollte sich herausstellen, dass Lea M. sexuell belästigt wird, hat Karl P. durch entsprechende Abhilfemaßnehmen Lea M. vor weiteren Belästigungen zu schützen.

Mehr zum Thema: #metoo: Damit der Arbeitsplatz nicht zu Hollywood wird.

Monika Sturm ist Rechtsanwältin bei der Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH (fwp) mit Spezialisierung im Bereich Arbeitsrecht.

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