Folge 1. Die neue Online-Kolumne auf karrierenews.diepresse.com stellt das Thema Komplexität in den Mittelpunkt. Diesmal mit Dietrich Dörner.
In unserer Kolumne „Management im Kopf“ stellt Maria Pruckner führende Forscher vor, deren Beiträge und Denkwerkzeuge für das Meistern von Komplexität sich in der Praxis der Wiener Beraterin und Entwicklerin seit über zwei Jahrzehnten verlässlich bewähren.
Kompetenzhypiene - Dietrich Dörner
„Komplexität erzeugt Unsicherheit. Unsicherheit erzeugt Angst. Vor dieser Angst wollen wir uns schützen. Darum blendet unser Gehirn alles Komplizierte, Undurchschaubare, Unberechenbare aus. Übrig bleibt ein Ausschnitt – das, was wir schon kennen. Weil dieser Ausschnitt aber mit dem Ganzen, das wir nicht sehen wollen, verknüpft ist, unterlaufen uns viele Fehler – der Misserfolg wird logisch programmiert.“ Diese pointierte Kurzfassung stammt vom Rheinischen Merkur und bezieht sich auf das wichtigste Standardwerk über den Umgang des Menschen mit komplexen Verhältnissen: Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen, erschienen 1989.
Der Autor dieses Buchs, Dietrich Dörner, erforscht die Reaktionen des Menschen auf komplexe Verhältnisse am längsten und genauesten. Er nutzte als erster Künstliche Intelligenz, um dem Denken und Entscheiden von Menschen in komplexen Situationen nachzugehen. Dafür wurden die bekannten Eigenschaften komplexer Systeme mit all ihren Wechsel-, Neben-, Rück- und Fernwirkungen in Computerspielen simuliert. In Dörners Experimenten hatten Führungskräfte, Fachleute und Studenten die Aufgabe, komplexe Situationen in Computersimulationen zu verbessern, zum Beispiel Entwicklungshilfe in der Dritten Welt zu leisten, eine Gemeinde mit Finanzproblemen zu sanieren oder einen Waldbrand zu löschen. Die aufrüttelnden Forschungsergebnisse finden sich seither in vielen Zitaten wissenschaftlicher Arbeiten und Fachartikeln, viel mehr aber noch sind sie im Alltag omnipräsent. Die Logik des Misslingens daher hier nur in zwei Sätzen: Es gibt für jedes Problem eine eindeutige Lösung, solange man ignoriert oder nicht weiß, womit man es bei komplexen Systemen zu tun hat. Wenn dann alles ganz anders kommt, als man dachte, ärgert man sich, findet aber gewiss eine Ursache, die dafür verantwortlich gemacht werden kann, und die wieder nichts mit eigenen Denkfehlern und den Eigenwirkungen komplexer Systeme zu tun hat.
Dietrich Dörner wird oft zu Veranstaltungen eingeladen, die das Thema Management von Komplexität behandeln. Seine Vorträge dazu leitet er bescheiden ein; oft mit Anekdoten, um vorsichtig darauf aufmerksam zu machen, dass man bei komplexen Situationen die richtige Entscheidung nie im Vorhinein kennen kann. An keiner Stelle erweisen sich Dörners Forschungsergebnisse treffender, als an dieser. Denn so manche Führungskraft im Publikum kann ab nun seinem Vortrag nicht mehr folgen, weil sie in folgende Überlegungen gerät: "Wenn ich nicht wissen kann, ob eine Entscheidung die richtige ist, wie soll ich mich denn dann überhaupt entscheiden…"? Wozu bin ich dann Chef/Chefin? Wie soll ich dann die Erwartungen an mich erfüllen? Wofür bezahlt man mich dann? Weshalb verstehe ich das nicht? Wieso soll ich die richtigen Entscheidungen nicht kennen können? Ich entscheide doch jeden Tag! Ein netter Professor das, dieser Dörner, aber er hat keine Ahnung von Management!“
Diese typische Reaktion hat eine sauber erforschte psychologische Diagnose: Kompetenz-Hygiene. Genaues darüber und über die tückische Realitätsverkennung durch die Selbstschutzmechanismen des Gehirns liest man am besten in den unten empfohlenen Büchern bei Dietrich Dörner selbst nach.
Weil das souveräne und nachhaltige Meistern von Komplexen mit vielen Fragen und Aspekten verbunden ist, die in dieser Kolumne Beitrag für Beitrag zur Sprache kommen, bitte ich alle Autoren und Autorinnen, die hier vorgestellt werden, um ihre wichtigste Leitfrage.
Lieber Herr Professor Dörner, wenn man eine komplexe Situation strategisch klug und nachhaltig meistern möchte, welche Frage würden Sie, aufgrund Ihrer Expertise, als erste stellen? Die Leitfrage, die Dietrich Dörner vorschlägt, lautet: Wie kann ich sicherstellen, dass ich mir kein falsches Bild von der Realität mache?
Eines der hervorstechendsten Charakteristika des neuen Denkens ist, dass die besten Fragen das Wichtigste sind. Wer sich mit der Frage von Dietrich Dörner sorgfältig auseinandersetzt, die verlässlichsten Erkenntnisse dazu findet und klug nutzt, der gerät schnurstracks auf den Erfolgsweg des 21. Jahrhunderts.
Liebe Leser und Leserinnen, wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?
Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.
Kurzporträt Prof. Dr. Dr. Dietrich Dörner
Der emeritierte Hochschullehrer für Theoretische Psychologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg untersuchte in legendären Experimenten mithilfe künstlicher Intelligenz den menschlichen Einfluss in komplexen Systemen, um psychologische Theorien menschlichen Fühlens, Denkens, Entscheidens und Handelns zu entwickeln. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler erhielt zuletzt 2016 das Ehrendoktorat der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
Bücher
Dietrich Dörner
Die Logik des Misslingens: strategisches Denken in komplexen Situationen.
Ersterscheinung bei Rowohlt, Reinbek 1989
Georg Kamp (Herausgeber)
Langfristiges Planen: Zur Bedeutung sozialer und kognitiver Ressourcen für nachhaltiges Handeln
Kapitel 6, Dietrich Dörner: Planen in komplexen Systemen
Springer, Berlin, 2016
Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche Denkwerkzeuge für angewandte Kybernetik zum Problemlösen, Managen und Führen. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens stattet und bildet sie interne und externe Experten aus, die sich in Unternehmen und Institutionen auf das professionelle Meistern komplexer Situationen konzentrieren.
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