Management im Kopf: Du sollst nicht diskutieren

Folge 2. Die neue Online-Kolumne stellt das Thema Komplexität in den Mittelpunkt. Diesmal über Heinz von Foerster.

In unserer Kolumne „Management im Kopf“ stellt Maria Pruckner führende Forscher vor, deren Beiträge und Denkwerkzeuge für das Meistern von Komplexität sich in der Praxis der Wiener Beraterin und Entwicklerin seit über zwei Jahrzehnten verlässlich bewähren.

Du sollst nicht diskutieren - Heinz von Foerster

Komplexe Angelegenheiten sind vieldeutig, ungewiss, permanenten Veränderungen unterworfen und sie bieten nur höchst unklare Aussichten in die Zukunft. Das ist die Quelle unzähliger fruchtloser und konfliktreicher Diskussionen, die nichts zu einer Lösung, gar Wertsteigerung beitragen. Sie sorgen nur für den Anstieg von Problemen und Kosten. Denn was in Diskussionen zu komplexen Themen zur Sprache und ins Bild kommt, ist primär Treibstoff für verschiedenste Phantasien, weil Gehirne nur phantasieren können.

Dass kein Mensch die Wirklichkeit so erkennen kann wie sie tatsächlich ist, ist längst keine Philosophie mehr. Höchst belastbare neurowissenschaftliche Nachweise werden seit Jahrzehnten allgemein verständlich publiziert. Man muss sie nur noch zur Kenntnis nehmen, verstehen und entsprechende Konsequenzen ziehen.

Als Beispiel für eine solche Konsequenz eine kurze Geschichte über Heinz von Foerster, meinem engsten Lehrer. Wenn man mit ihm einen komplexen Sachverhalt klären wollte, durfte man die beiden Worte „ist“ und „wirklich“  nicht verwenden. Denn der Einsatz beider Begriffe steht dafür, die Verantwortung für die eigene Wahrnehmung nicht dem eigenen Gehirn zuzuschreiben, sondern seiner Umgebung. Damit blendet man die Möglichkeit aus, sich zu täuschen oder Fehler zu machen.

Das verstärkt das Problem der Kompetenz-Hygiene, das letzte Woche hier vorgestellt wurde. Werden die bestens erforschten Hirn- und Beobachterprobleme im Umgang mit Komplexität ignoriert, gehen ein wahres Vermögen, die wertvollsten Ressourcen und Innovationspotenziale verloren. Nach vielen Jahren hartnäckiger ungelöster Krisen kann dies gar nicht oft genug gesagt werden.

Man muss seiner Wahrnehmung nicht misstrauen. Aber man darf ihr nicht blind vertrauen, man muss sie prüfen. Das gilt auch für die Eindrücke anderer, und es gilt ununterbrochen. Mein eigenes Denken wurde vom präzisen Beobachten, Diagnostizieren, großen Vorbehalt gegenüber Prognosen und dem strengen Evaluieren in Kliniken geprägt. Hier beobachtet und urteilt man auf der Basis von validem Wissen, belastbarer Befunde und Fakten. Diese Strategie ist für alle Fachberufe selbstverständlich. Dieselben Anforderungen muss man auch an alle Management- und Führungsaufgaben stellen, nicht nur an jene, die der Managerhaftung unterliegen.

In Kliniken ist höchst dynamische Komplexität seit jeher Alltag. Es hat gute Gründe, weshalb über die Probleme von Patienten nicht diskutiert, sondern laufend untersucht und evaluiert wird. Weil valides Wissen und belastbare Fakten die einzigen hilfreichen Relevanzfilter sind, die in komplexen Situationen zu Klarheit führen können, darf niemand am Krankenbett arbeiten, der die wissenschaftlichen Grundlagen und Methoden nicht beherrscht oder nicht einsetzt. Die Verantwortung für die Wahrnehmung und Beurteilung von Situationen ist eindeutig festgelegt.

Gesundheitsberufe üben ihre Arbeit eigenverantwortlich aus. Jeder muss seine eigenen Beobachtungen und Urteile umgehend im Krankenakt dokumentieren und persönlich verantworten. Das Vertuschen von Fehleinschätzungen und Fehlern ist dadurch nahezu unmöglich. Wer es dennoch versucht, macht sich strafbar. Das mag aufwändig erscheinen, weit aufwändiger ist es, dies nicht zu tun. Das mag streng klingen, erhöht aber die Sicherheit aller und macht eine konstruktive Zusammenarbeit überhaupt erst möglich.

Kliniken leiden heute vor allem unter einer zu stark ökonomisierten Gesundheitspolitik. An einem Mangel an Professionalität leiden sie nicht. Wo ausschließlich mit validem Wissen und nach den Prinzipien solider Forschung gearbeitet wird, reduziert sich der Anlass für Diskussionen drastisch, und es werden beeindruckend mehr und wertvollere Informationen für belastbare Entscheidungen gewonnen, selbst wenn es um schwierige und schwerwiegende geht. Das verlässlichste Wissen hierfür stammt aus der systemwissenschaftlichen Primärliteratur, wie sie unter vielen anderen Heinz von Foerster miterschaffen hat.

Heinz, welche Frage würdest Du aufgrund Deiner Expertise als erste stellen, wenn man eine komplexe Situation strategisch klug und nachhaltig meistern möchte? Könnte ich die Leitfrage dieser Kolumne noch an ihn richten, hätte er vermutlich folgende Frage vorgeschlagen:  Weiß ich, was ich nicht weiß? Und wie kann ich herausfinden, ob auch stimmt, was ich beobachte, weiß und denke?

Wer mehr über das Lernen, Wissen und Entscheiden unter dem Gesichtspunkt der Komplexität mit ihren vielen Unbestimmbarkeiten, Unentscheidbarkeiten und Unwissbarkeiten wissen möchte, findet Informationen unten Literaturempfehlungen.

Kurzbiografie Prof. Dr. Heinz von Foerster

Der Professor für Biophysik wurde 1911 in Wien geboren, er lebte und forschte ab 1949 bis zu seinem Tod 2002 in den USA. Heute wird er zu den bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts gezählt. Heinz von Foerster war Mitbegründer der Kybernetik, Herausgeber der Tagungsbände über deren Entwicklung sowie Gründer und langjähriger Direktor des Biological Computer Laboratory, BCL, in Illinois. Viele legendäre Entwicklungen am BCL haben die Basis heutiger Digitalisierung und Automatisierung gelegt. Die Brillanz des Technik- und Kybernetik-Pioniers zeigte sich besonders in seiner Differenzierung und Rückkoppelung zwischen einer Kybernetik Erster und Zweiter Ordnung. Damit hat er nicht nur im Management, sondern auch auf vielen anderen Gebieten maßgeblich dazu beigetragen, dass mithilfe der Kybernetik nicht nur technische, sondern auch menschliche, soziale und ökonomische Probleme genau genug untersucht, verstanden, nachhaltig gelöst und vermieden werden können.

Filmausschnitte mit Heinz von Foerster


Literaturempfehlung

Heinz von Foerster
Heinz von FoersterQuelle unbekannt

Heinz von Foerster, KybernEthik, Verlag Merve  (Hier findet sich ein Kapitel über Lethologie!)

Heinz von Foerster, Bernhard Pörksen, Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, Carl-Auer Verlag GmbH


Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche Denkwerkzeuge für angewandte Kybernetik zum Problemlösen, Managen und Führen. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens stattet und bildet sie interne und externe Experten aus, die sich in Unternehmen und Institutionen auf das professionelle Meistern komplexer Situationen konzentrieren.

Mehr unter www.mariapruckner.com

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?
Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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