Management im Kopf (4): Du sollst denken lassen

Folge 4. Die neue Online-Kolumne stellt das Thema Komplexität in den Mittelpunkt. Diesmal mit Giselher Guttmann.

In unserer Kolumne „Management im Kopf“ stellt Maria Pruckner führende Forscher vor, deren Beiträge und Denkwerkzeuge für das Meistern von Komplexität sich in der Praxis der Wiener Beraterin und Entwicklerin seit über zwei Jahrzehnten verlässlich bewähren.

Du sollst denken lassen - Giselher Guttmann

Wenn die neue Zeit gut werden soll, brauchen wir neue Denkweisen und Denkwerkzeuge, die der hochdynamischen Komplexität dieser Ära gerecht werden. Darin sind sich die Experten einig. Durchsetzen werden sie sich, sobald die biologisch bedingte Blindheit des Menschen für Komplexes überall bewusst ist, wo man Management braucht. Was kann man tun, um einen Weg zu beschreiten, der so erfolgreich ist wie der von Robert Trappl mit dem OFAI, der letzte Woche hier vorgestellt wurde? Das fragt man am besten seinen Doktorvater Giselher Guttmann, den Begründer der Neuropsychologie. In diesem Fach legt man größten Wert auf harte Fakten. Unter anderem liefern G´uttmanns Forschungsergebnisse die verlässlichsten Einsichten in die Lern- und Leistungsfähigkeit des Menschen.

Giselher Guttmann schlägt folgende Leitfrage für seinen Beitrag vor: Was kann man tun, um aus seinen gewohnten Denkbahnen auszubrechen und neue Einsichten zu gewinnen? Die verlässlichste Strategie ist verblüffend einfach und ökonomisch, will aber genau verstanden werden: Man sollte einfach nicht denken. „Was man zwar einmal gelernt, erfahren oder beobachtet, bislang aber nur selten genutzt hat, ist im Gehirn nur in sehr zart aufgebauten Neuronen und Synapsen verankert“, erklärt Guttmann. „Solange man angestrengt nachdenkt, diskutiert oder argumentiert, wird dieses unbewusste Wissen von allem überlagert, was einem gerade durch den Kopf geht. Erst wenn das Gehirn zur Ruhe kommt, wird dieses schlummernde Potenzial aktiv. So entstehen dann neue Ideen.“

Wir denken nicht, wir lassen denken, lautet Guttmanns Maxime. Wo zielsichere Erkenntnisse gefragt sind, sucht man also am besten die Kontemplation. Dafür kann, muss man aber gar nicht meditieren. Es reicht, sich etwa zehn bis zwanzig Minuten einer einfachen Beschäftigung zu widmen. Für solche Denkpausen kann man zum Beispiel - mit aller Hingabe! - Hemden bügeln, Rasen mähen oder Bücher ordnen. Auch das aktiviert das ungenutzte Potenzial im Kopf und damit erst die volle Intelligenz. Die Befriedigung, Ordnung geschaffen und mit der körperlichen Bewegung etwas für seine Gesundheit getan zu haben, sind nur vorteilhafte Nebenwirkungen.

Erfolgreiche Künstler und Wissenschaftler nutzen diese Strategie mit aller Selbstverständlichkeit. Überall anderswo wird es dort die Norm sein, wo man einsieht, dass sich die besten Rahmenbedingungen für produktive Kopf- und Körperarbeit in jeder Hinsicht wie Tag und Nacht voneinander unterscheiden. Vielfach herrschen heute noch Strukturen und Prozesse aus der Zeit der Dampfmaschine. Von Fabrikarbeitern wollte man nicht, dass sie denken, sondern rasch und vorschriftsmäßig einfache Handgriffe ausführen. Wie wäre es, darüber einmal nicht nachzudenken, sondern ein paar Fenster zu putzen…?

Giselher Guttmann hat das Privileg des engen Dialogs mit vielen Begründern von Systemwissenschaften. Seine höchst erfolgreiche Forschungsarbeit stützt er seit jeher auf deren Grundlagen. Seinen Studenten legt er ans Herz, sich weniger auf das Ansammeln von Wissen als auf Gesetzmäßigkeiten und valide Modelle zu konzentrieren: „Schauen wir nur einmal, wie man im Internet Wissen Link für Link wie einzelne Puzzleteilchen zusammensuchen kann. Hat man kein eindeutiges Bild von dem, was sicher hilft und funktioniert, ist das, als würde man ein Puzzle bauen, von dem man nicht weiß, welches Bild entstehen soll. Das Nutzen von Gesetzmäßigkeiten ist wie die eindeutige Vorlage für ein Puzzle. Mit ihrer Hilfe weiß man, was durch das Anwenden von Wissen herauskommen kann.“

Weil genau das bislang auf viel zu wenig Glauben stößt, frage ich sicherheitshalber nach: „Eine klares Bild von gesetzmäßigen Vorgängen und Wirkweisen ist also wichtiger, als alles andere, was man wissen kann?“ „Ja, das ist eigentlich erst Bildung. Die klare Vorstellung von dem, was passen kann und was nicht. Das Wort Bildung kommt ja schließlich von Bild…“

Kurzbiografie Giselher Guttmann

(c) Sigmund Freud Privatuniversität Wien

Guttmann ist 1934 in Wien geboren. Ab 1955 Studium der Psychologie, Zoologie und Philosophie an der Universität Wien. Sein großes Interesse gilt bald der Hirnforschung, Psychologie wird sein Hauptfach. Mit der von ihm aufgebauten Neuropsychologie initiiert er eine völlig neue Blickrichtung in seinem Fach. Promotion im Jahr 1963, Habilitation 1968. Als Extraordinarius, Ordinarius, Dekan, Gründungsrektor und Gründungsdekan prägt er seit damals die Forschung und Lehre einer Reihe von Universitäts- und Forschungsinstituten. Die praktische Anwendbarkeit valider Forschungsergebnisse für Psychologen, Pädagogen, Psychotherapeuten, Führungskräfte, usw., ist seit jeher sein größtes Anliegen. Als Berater ist er für viele Regierungen und regierungsnahe Einrichtungen tätig. An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist Guttmann seit 1983 Korrespondierendes und seit 1992 Wirkliches Mitglied.

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche Denkwerkzeuge für angewandte Kybernetik zum Problemlösen, Managen und Führen. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens stattet und bildet sie interne und externe Experten aus, die sich in Unternehmen und Institutionen auf das professionelle Meistern komplexer Situationen konzentrieren.

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Sie wird darauf eingehen.

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