Management im Kopf: Wie das Vereinfachen funktioniert

Folge 9. Die Online-Kolumne stellt das Thema Komplexität in den Mittelpunkt. Diesmal über Warren McCulloch, das Genie der Digitalen Ära.

In unserer Kolumne „Management im Kopf“ stellt Maria Pruckner führende Forscher vor, deren Beiträge und Denkwerkzeuge für das Meistern von Komplexität sich in der Praxis der Wiener Beraterin und Entwicklerin seit über zwei Jahrzehnten verlässlich bewähren.

Wie das Vereinfachen funktioniert

Titus Feuerfuchs, der Barbiergeselle in Nestroys Talismann, erklärt seine Bildung mit folgenden Worten: „…Eine Art Mille-fleurs-Bildung. Ich besitze einen Anflug von Geographie, einen Schimmer von Geschichte, eine Ahndung von Philosophie, einen Schein von Jurisprudenz, einen Anstrich von Chirurgie und einen Vorgeschmack auf Medizin…“ Ein bisschen was von Allem zu wissen, hat im Management lange gereicht; für die Komplexitätsgrade heutiger Systeme reicht das nicht mehr.

Je komplexer eine Angelegenheit, umso mehr verschiedene Fähigkeiten braucht es, um sie zu bewältigen. Stark vereinfacht, bedeutet das Ashbys Gesetz. Anwenderfreundliche Lösungen glänzen durch einfache, intuitive Bedienbarkeit. Ein Beispiel, in dem Ashbys Gesetz professionell umgesetzt ist, ist das Smartphone. Sind genug gute APPs geladen, bietet es eine Vielzahl an Steuerungs- und Regulierungsmöglichkeiten. Die notwendig komplexen Systeme dafür arbeiten, für den Anwender unsichtbar, im Hintergrund.

Sind Lösungen zwar komplex, bekommen Nutzer das aber nicht mit und funktionieren sie tadellos, ist das ein Merkmal gut organisierter Komplexität. Ähnlich ist das mit Warren Sturgis McCulloch. Ihn kennt außerhalb des Expertenkreises kaum jemand, obwohl er das Fundament für die Kybernetik, Neuroinformatik, Artificial Intelligence und das Management im digitalen Zeitalter geschaffen hat. Sein Leben und Werk war von einer einzigen Frage geprägt: Was ist eine Zahl, dass ein Mensch sie kennen kann, und was ein Mensch, dass er eine Zahl kennen kann?

McCulloch Interesse galt also dem Komplexen hinter scheinbar einfachem Selbstverständlichem. Folgende Stichworte umreißen sein Werk nur grob: Embodiment, Heterarchie, Zirkularität und Informative Geschlossenheit. Im Management tauchen sie wie einzelne Blumen einer Mille-fleurs-Bildung auf. Zirkularität und Informative Geschlossenheit werden aber hier zu winzigen Gänse- und Leberblümchen gemacht, obwohl sie im Management größte Bedeutung haben. Heterarchie und Embodiment bläht man hingegen zu Hortensien und Pfingstrosen auf. Das erklärt, weshalb die Komplexität im Management noch immer nicht gemeistert ist.

Ein winziger Umriss McCullochs wichtigster Forschungsergebnisse: Neuronen als wesentliche Einheiten in Nervensystemen. Geistige Vorgänge beruhen auf körperlichen, so organisiert, dass sie wie Rechenvorgänge funktionieren. Steuerungs- und Regulierung in Organismen gehen nicht nur zentral vom Gehirn, sondern auch von peripheren Nervenimpulsen aus. Es kommt daher auf Regelkreise an, in denen zielführende Unterscheidungen, Erkenntnisse und Entscheidungen gewonnen werden. Was daher nicht als geschlossener Informationskreislauf organisiert ist, ist nicht effektiv organisiert.

Selbstorganisierende Teams etwa werden heute gerne als Lösung aller Probleme hingestellt. Das ist ein perfektes Beispiel für kontraproduktive Vereinfachung. Mit den verlässlichen Einsichten von Warren McCulloch hat das nichts mehr zu tun. Organisation ist nicht die Frage von Hierarchie oder nicht, sie ist die Frage, wie das Relevante rasch genug erkannt und getan werden kann. Dazu muss das Konzept der Heterarchie zusätzlich zu dem der Hierarchie eingebunden werden, und zwar durch die Organisation verlässlicher Regelkreise, in der Hierarchie und Heterarchie als erfolgreiche produktive Einheit operieren.

Wer McCullochs Arbeiten kennt und verstanden hat, weiß, dass jede Firma und Institution, abhängig von ihren Spezifika, eine andere Lösung braucht, um sich erfolgreich zu organisieren und entwickeln. Ein bisschen was von Allem zu wissen, reicht dafür nicht. Auch dass man die jeweilige Lösung niemals im Vorhinein kennen kann, erklärt sich durch McCullochs Werk. Warum also Rezepte anpreisen, für Probleme, die man noch gar nicht kennt?

Kurzbiografie Warren McCulloch

www.cyberneticans.com

Geboren 1898 in New Jersey, gestorben 1969 in Massachusetts. Studium der Philosophie, Psychologie und Medizin. McCulloch wandte sich der Neurophysiologie, Neurologie und Psychiatrie zu, lehrte zuerst an der University of Illinois, folgte dann aber einem Ruf ans MIT Research Laboratory of Electronics, der von Norbert Wiener ausging. Durch seine Arbeiten über Neuronale Netze, die Funktionsweise des Gehirns und künstliche Neuronen wurde er, als einer der Gründungsväter der Neuroinformatik, Organisator und Designer der Macy-Konferenzen, in deren Rahmen die Kybernetik entstand. 1957 wurde McCulloch in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Er war Gründungsmitglied der American Society for Cybernetics und deren erster Präsident. Mehr…

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche Denkwerkzeuge für angewandte Kybernetik zum Problemlösen, Managen und Führen. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens stattet und bildet sie interne und externe Experten aus, die sich in Unternehmen und Institutionen auf das professionelle Meistern komplexer Situationen konzentrieren.

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