Wo sind die Millionen?

Management im Kopf: Folge 19. Komplexität meistern. Die Sache mit der Hydra und die Frage, warum nie von Problemen die Rede ist.

In unserer Kolumne „Management im Kopf“ stellt Maria Pruckner führende Forscher vor, deren Beiträge und Denkwerkzeuge für das Meistern von Komplexität sich in der Praxis der Wiener Beraterin und Entwicklerin seit über zwei Jahrzehnten verlässlich bewähren.

„Jetzt haben wir gerade erst eine Million nachgeschossen, die schon wieder fast verbraten ist! Und herausgekommen ist noch immer nichts...!“ Das war vor einem Jahr. Seither ist man gewachsen. Von drei auf acht Investoren, die zusammen mit ihren Millionen ein Startup finanzieren. Die Anteile sind geschrumpft. Und herausgekommen ist: noch immer nichts…

Die Sache mit Hydra…

Das Schwarze Loch, das hier als saugkräftiger Abfluss für die Millionen dient, durch den nichts mehr zurückkommt, entsteht, wenn man das notwendige Management und die erforderliche Organisation für die Entwicklung und den Vertrieb rein wissensbasierter, wenn auch digital gesteuerter Lösungen unterschätzt.

Wer immer sich je im Digitalisierungsgeschäft geübt hat - und sei es nur im Programmieren einer einzigen coolen, praktischen APP, die sicher jeder haben möchte - weiß aus eigener Erfahrung: Hier konfrontiert man sich mit Umständen, die wie die Hydra, die vielköpfige Schlange, daherkommen. Zwei Köpfe wachsen sofort an der Stelle nach, wo man ihr einen ihrer vielen Schädel abgeschlagen hat.

Sag mir, wo die Millionen sind…

Komplexe Systeme haben ihre eigene Natur und ihre eigenen Gesetze; sie lassen sich keine anderen Spielregeln aufzwingen. Viele Manager, die es gewohnt sind, ihr eigenes Spiel zu spielen, vertragen das nicht. Das harmloseste, was komplexe Systeme dann antworten, ist: Du kannst mich mal. Im weniger harmlosen Fall tauchen mit jedem Problem, das man zu lösen meint, zwanzig andere auf, die man dann auch zu lösen meint, und das verschlingt dann Millionen. Als Ergebnis kommen nur noch mehr Probleme heraus.

Die einfachen Probleme sind schon alle gelöst, die Märkte diesbezüglich gesättigt. Das große Erfolgspotenzial von heute und morgen liegt nur noch in der Gegend all jener komplexen Probleme, die noch nie jemand nachhaltig gelöst hat. Ob man sie in den Griff bekommt, hängt weniger von den monetären als von den geistigen Ressourcen ab, die man zur Verfügung hat.

Löse Probleme, die tatsächlich welche sind…

Die Zukunft gehört also den Problemlösern, all denen, die nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Probleme anderer nachhaltig aus der Welt schaffen können. Nun ist es aber im Management unserer Gegend verpönt, das Wort „Problem“ auch nur in den Mund zu nehmen. Hierzulande gibt es keine Probleme, nur Herausforderungen.

Kennen Sie Don Quijote? Diesen Typen, der so viele schlechte Ritterromane gelesen hat – quasi die Schundhefte des späten Mittelalters, dass ihm sein Realitätssinn abhandenkommt und er meint, selbst ein heldenhafter Ritter zu sein? Auf einem dürren Gaul kämpft er mit heroischem Tatendrang und gezücktem Schwert gegen Windmühlen, die er für Riesen hält und gegen Hammelherden, die er als feindliches Militär identifiziert.

„Wir haben keine Probleme!“?

Die Sache mit Dulcinea lassen wir jetzt. Die Geschichte vom Verwirrten aus La Mancha ist auch ohne sie tragisch genug. Schauen wir besser nach, weshalb Miguel de Cervantes diese Story überhaupt erfunden hat: Er wollte sich über die Schundromane seiner Zeit lustig machen, und zeigen, wie sehr deren Lektüre den Verstand vernebeln kann.

Dem Lateinischen und Griechischen nach bedeutet „Problem“ das Vorgelegte, die gestellte Aufgabe oder das zu Klärende. Frage ich Manager, weshalb sie dieses Wort nicht zulassen, bekomme ich meist zur Antwort, es klänge zu negativ, ziehe mental hinunter. Ach so? Das Wort? Oder vielleicht doch das Denken?

Ashbys Gesetz

Die heldenhaften Ritter aus dem Mittelalter, das waren bis knapp über die jüngste Jahrtausendwende die Management-Gurus vor den Hochaltären der Ökonomie. Sie sind naturgemäß so gut wie verschwunden, abgelöst von den Don Quijotes unserer Zeit. Denn dem Komplexen von heute, dieser vielköpfigen Hydra, nähert man sich am besten mit einem vielköpfigen Expertenteam, in dem diszipliniert und bestens organisiert zusammengearbeitet wird. So erfüllt man Ashbys Gesetz.

Wer sich in die Figur des Don Quijote verirrt hat, braucht sich einfach nur von echten Experten führen zu lassen. Und sich nicht davor fürchten, dass er dabei von seinem hohen Ross stürzen könnte, es ist ohnehin nur imaginär. Es wird mir daher das größte Vergnügen sein, hier ab nächster Woche einen neuen Zyklus zu beginnen: den Gedankenaustausch mit vielen Wissenschaftlern und Experten, die wertvolle Impulse für das Meistern all jener Probleme geben können, die mit der Komplexität in der Digitalen Ära unweigerlich daher kommen. Und zwar auch dann, wenn man es „ganz anders“ sieht.

Maria Pruckner
Maria PrucknerMaria Pruckner

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche Denkwerkzeuge für angewandte Kybernetik zum Problemlösen, Managen und Führen. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens stattet und bildet sie interne und externe Experten aus, die sich in Unternehmen und Institutionen auf das professionelle Meistern komplexer Situationen konzentrieren.

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?
Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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