Dahinter kommen, gut gegen Angst

Management im Kopf: Folge 23. Komplexität meistern. Diesmal mit Wolfgang Hofkirchner, Systemtheoretiker und Informationswissenschafter an der TU Wien.

In unserer Kolumne „Management im Kopf“ stellt Maria Pruckner versierte Wissenschaftler und anerkannte Experten vor, die über wertvolle Erfahrungen und verlässliches Wissen für den professionellen Umgang mit komplexen Problemen und Systemen verfügen.

Der Teufel steckt im Detail, weiß der Volksmund. Bei Komplexem gilt das in doppelter Hinsicht. Einerseits können winzigste Faktoren – etwa Viren – enorm kritische Auswirkungen auslösen. Andererseits verführt Komplexes dazu, sich in unwesentlichen Details zu verlieren. Für solide Lagebeurteilungen geht es daher um die Frage: Was tut ein Detail im Ganzen und was macht das Ganze mit den Details? Wie gut diese Frage gelöst wird, hängt von der Qualität der Modelle ab, die man von Systemen hat.

Warum zu viel Angst herrscht

Fehlen solide System-Modelle, herrscht primär Angst, das ist die typische Reaktion auf Komplexes. Angst bezieht sich nie auf etwas Konkretes, sie ist eine Reaktion auf Ungewisses. Wie gut Angst überspielt wird – Stichwort Kompetenz-Hygiene – spielt dabei nicht die größte Rolle. Entscheidend ist, dass sie das zielführende Denken und Handeln verhindert. Wer mit professionellen System-Modellen arbeitet, verliert diese Angst. In kritischen Situationen bleibt dann nur noch die Furcht – der Respekt vor schädlichen Potenzialen, die man erkannt hat. Auf jeden Fall werden aber auch die Chancen deutlich und damit, ob was getan werden kann oder ob es zu spät ist.

Wie Angst eingeprügelt wird

Schlagwörter, nehmen wir die gängigsten der letzten zwei Jahrzehnte – „Informationszeitalter“, „Komplexität“, „Globalisierung“ und „Wissensgesellschaft“ – ersetzen geeignete System-Modelle nicht. Sie sind Andeutungen, machen jedem bewusst, dass ihm relevante Information fehlt. Sie verhelfen zu keiner Erkenntnis, sie machen Angst. Jeder erlebt, dass unter komplexen Umständen nichts schwieriger ist, als relevante Information zu gewinnen, über ausreichend Wissen zu verfügen, zu verstehen, welche Rolle man in der Welt spielen kann und welche Folgen globale Entwicklungen für einen selbst haben.

Für den heutigen Beitrag habe ich daher Wolfgang Hofkirchner um Orientierung gebeten. Der Präsident des Bertalanffy Center for the Study of Systems Science ist akademisch in der Politikwissenschaft und Psychologie zuhause. Der Professor forscht und lehrt am Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung an der Technischen Universität Wien und konzentriert sich auf die Interfaces zwischen Wissenschaft, Technik und Gesellschaft.

Zuviel Macht und gleichzeitig zu wenig

Wolfgang Hofkirchner: Das sogenannte „Informationszeitalter“ ist im Grunde ein Zeitalter der sogenannten „globalen Probleme“ und damit eine noch nie dagewesene Herausforderung der Menschheitsgeschichte. Geologen überlegen, ob man die neue Epoche als „Anthropozän“ definieren sollte – als einen Abschnitt in der Entwicklung unseres Planeten, in der wir Menschen irreversibel zu einer geologischen Kraft geworden sind. Eine Kraft, die die Oberfläche der Erde in einem Ausmaß zu verändern vermag, für das es bisher geologischer Zeiträume bedurft hat. Diese Kraft haben wir allerdings schneller entfaltet als unsere Fähigkeit, mit ihr bewusst umzugehen – zum Wohle aller Mitglieder der menschlichen Gesellschaft und der Natur. In dieser Sicht erscheint Information in einem neuen Licht.

Information – eine Qualitätsfrage

Es ergibt keinen Sinn, über Information zu sprechen, ohne auf die globalen Probleme zu rekurrieren. Information ist das, was gebraucht wird, um den globalen Problemen zu begegnen, und zwar in einer ganz bestimmten Qualität. Diesen Zusammenhang stellt das systemische Denken und Handeln her, von dem in dieser Kolumne die Rede ist.

Globale Probleme sind komplexe Probleme, also nicht nur komplizierte. Es sind Probleme, in denen sich verschiedene Mechanismen so zu einer neuen und eigenständigen Gesamtheit verbinden, dass der Eingriff in einzelne Mechanismen keine Lösung bringt. Das Entstehen von höheren Ebenen, die ein Eigenleben gewinnen und die auf die niedrigeren Ebenen zurückwirken, nenne ich „Komplexität“.

Mehr Komplexität verlangt mehr Intelligenz

Lösungen müssen der gegebenen Komplexität gerecht werden, siehe William Ross Ashby. Systeme können andere Systeme nur dann steuern und regulieren, wenn sie mindestens den gleichen Komplexitätsgrad der Systeme aufweisen, die gesteuert und reguliert werden müssen. Das Immunsystem muss zum Beispiel mindestens so viele verschiedene Antworten bereithalten, wie verschiedene Keime den Organismus befallen können.

Das gilt auch fürs Zeitalter der globalen Probleme: Die entstehende Weltgesellschaft braucht mindestens einen Grad der Problemlösungsfähigkeit, der dem Grad der Herausforderung durch die von der Menschheit selbst erzeugten Probleme entspricht. Im Moment ist die Fähigkeit zur Lösung der globalen Probleme noch unterkomplex. Aber wir können diese Problemlösungsfähigkeit steigern! Wie? Durch Lernen, durch das Erzeugen neuer Information, das Schaffen von Wissen.

Zu kurz gegriffen

So wie der Begriff von der „Informationsgesellschaft“ zu kurz greift, wenn er diese nur als Gesellschaft definiert, in der IT verbreitet ist, so greift auch der Begriff von der „Wissensgesellschaft“ zu kurz, wenn er nur auf die ökonomische Seite abzielt und Wissen als etwas begreift, mit dem Geld zu machen ist.

Gerade am Wissen wird sinnfällig, dass es sich dabei um ein Gemeingut handelt, an dem alle teilhaben können, ohne dass deshalb mit anderen rivalisiert werden muss. Rivalität entsteht ja erst durch die künstliche Verknappung dieses Gutes.

Eine weise Gesellschaft…

Wissen ist eine Form der sozialen Information, bei der der Gegenstandsbezug im Vordergrund steht. Worum es aber geht, ist der Praxisbezug der sozialen Information. Wenn es um die Relevanz für die Praxis geht, ist der Begriff „Weisheit“ angebracht.

Es ist kein Zufall, dass sogar die EU (vor jetzt schon fast zwei Dekaden) in einem Bericht zur Lage der Informationsgesellschaft die Vision einer „weisen Gesellschaft“ entwickelt hat. Einer Gesellschaft, die der sozialen, ökologischen und technischen Probleme eingedenk ist und die gesamte IT dafür einsetzt, diese Probleme zu meistern.

Weisheit ist nicht nur die zweckmäßige Anwendung von Wissen. Für weise Entscheidungen müssen auch die Zwecke gerechtfertigt sein, die verfolgt werden.

Dahinter kommen

Maria Pruckners Beitrag über „Probleme im Management“ pflichte ich bei. Ich habe kein Problem mit „Problemen“, im Gegenteil. Die Etymologie lehrt uns, dass ein Problem etwas ist, das vor uns, auf unserem Weg liegt und ihn verstellt. Das ist eine fundamentale Einsicht. Hier haben wir nämlich den Ausgangspunkt des menschlichen Erkennens.

Solange wir nicht irgendwo „anecken“, wird Erkenntnis eigentlich nicht gebraucht. Treffen wir aber auf ein Hindernis für die Verwirklichung unserer Ziele, brauchen wir eine „Methode“. Dieser Begriff kommt vom griechischen „meta“ und bedeutet „hinter“. Methoden dienen dazu, hinter das Problem zu gelangen, um unseren Weg fortsetzen zu können.

„Methode“ hat dabei einen doppelte Bedeutung: Einmal ist sie Methode der Erkenntnis, mit der wir unser Denken auf eine Metaebene heben können, von der aus wir das Problem „be-greifen“ können. Sie ist aber auch eine praktische Methode, mit der wir das Problem in der Tat „an-greifen“ können. Die Praxis beruht dabei auf der Erkenntnis. Der systemische Ansatz umgreift beide.

Kurzbiografie

Wolfgang Hofkirchner
Wolfgang HofkirchnerWolfgang Hofkirchner

Wolfgang Hofkirchner ist 1953 in Wien geboren. Studium der Politikwissenschaft und Psychologie an der Universität Salzburg. Nach dem Doktorat wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für sozio-ökonomische Entwicklungsforschung (und Technikfolgenabschätzung) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seit 1991 am Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung der TU Wien. Habilitation im Fach Technology Assessment. 2004–2010 Univ.Prof. für Internet and Society an der Universität Salzburg. Mehrere Auslandsaufenthalte. Gründung des Bertalanffy Center for the Study of Systems Science, Gründung des ICTs-and-Society Network. Gründung der International Society for Information Studies. 2012 Übernahme des Chairs der European Meetings on Cybernetics and Systems Research von Robert Trappl. Mitglied der International Academy for Systems and Cybernetic Sciences. Forschungsgebiete: komplexe Systeme, Information, Informationsgesellschaft. Über 200 Publikationen. Mehr…

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche kybernetische Denkwerkzeuge für den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens in Wien stattet und bildet sie interne und externe Experten aus, die sich in Unternehmen und Institutionen auf das professionelle Meistern komplexer Situationen konzentrieren.

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?

Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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