Das hält man ja im Kopf nicht aus!

Management im Kopf: Folge 25. Komplexität meistern. So helfen Sie sich selbst.

In unserer Kolumne „Management im Kopf“ stellt Maria Pruckner versierte Wissenschaftler und anerkannte Experten vor, die über wertvolle Erfahrungen und verlässliches Wissen für den professionellen Umgang mit komplexen Problemen und Systemen verfügen. Aktuell verfasst sie zu den bisherigen Beiträgen und Leserbriefen Follow-ups.

Vor etwa 15 Jahren, als noch viele Systemwissenschaftler in großen Managementkonferenzen vortrugen, teilte ich in einer Pause einen Aschenbecher mit einem lustigen Herrn. Zwei Zigaretten lang sprachen wir nichts miteinander, der eben gehörte Vortrag musste verdaut werden. Seine Augen kullerten unruhig hin und her, auf und ab, als würde er in seinem Kopf etwas suchen. Zwischendurch schmunzelte er, dann riss er wieder erschrocken seine Augen auf, plötzlich wurde sein Blick ganz starr. Eine gefühlte Minute fixierte er meine Augen, aber ich glaube, er hat mich gar nicht gesehen. Dann rief er aus: „Also, was der (…) gerade vorgetragen hat! Da braucht man ja Kokain, wenn man das im Kopf aushalten will!“

Die Phantasie spielt nicht mit

So ist es vielen ergangen, die irgendwann anfingen, sich mit Originalliteratur aus den Systemwissenschaften zu beschäftigen. Das ist ein bekanntes Problem. So ergeht es auch so manchem Leser, so mancher Leserin, mit so manchem Beitrag der letzten 24 Wochen hier in dieser Kolumne.

Dass man ungeschult Komplexes im Kopf nur schwer aushält, liegt in der Natur der Sache. Dass sich die Systemwissenschaften nicht so einfach verstehen lassen wie ein Kochbuch ebenfalls. Es ist die Phantasie, die nicht mitspielt. Man braucht eine klare Vorstellung davon, worum es eigentlich geht.

Große Unterschiede

Stellen Sie sich vor, Sie sind unterwegs nach New York und zwar zu Fuß. Eine ganz schön weite Strecke läuft über Land. Es ist anstrengend, weil es bergauf und bergab geht, manchmal regnet und dann wieder die Sonne brennt. Aber sonst gibt es kein Problem. Irgendwann stehen Sie am Meer.

Um nach New York zu kommen, hilft Ihnen die Fähigkeit, zu gehen, nun nichts mehr. Nun müssen Sie schwimmen. Ob Sie New York erreichen, wenn Sie selbst schwimmen, ist jedoch ziemlich unsicher. Das Meer ist deutlich stärker und größer als Sie.  

Sie können aber auch ein Schiff nehmen oder ein Flugzeug. Das ist ziemlich sicher und recht bequem. Sie können sich ausruhen, bis Sie in New York angekommen sind. Welche Wahl werden Sie treffen?

Alte und neue Epoche

Der Unterschied zwischen dem Land und Meer steht in unserem Fall für den Unterschied zwischen der alten und neuen Epoche. Vor dem neuen Zeitalter herrschten ziemlich stabile und ganz gut vorhersehbare Bedingungen. Heute bewegen wir uns in einer Instabilität, die mit einem unruhigen Ozean vergleichbar ist.

Alte und neue Denkschule

Der Unterschied zwischen Gehen und Schwimmen sind in unserem Fall unterschiedliche Methoden, um Ziele zu erreichen. In unserem Fall liegen sie zwischen der veralteten mechanistisch orientierten Denkschule, in der zum Beispiel noch das Ursache-Wirkungsprinzip galt und der aktuellen des Systemdenkens, in der man erkannt hat, das sich Ursache und Wirkung in komplexen Systemen nicht voneinander unterscheiden lassen. Man muss also vergessen, was man bisher geglaubt hat und glauben, was man bisher gar noch nie gedacht hat.

Alte und neue Werkzeuge

Der Unterschied zwischen der Fortbewegung mit eigener Körperkraft und der mit einem Schiff oder Flugzeug ist in unserem Fall der Unterschied zwischen einem spontanen Denken ohne und mit adäquaten Werkzeugen. So wie man wissen muss, dass es Schiffe und Flugzeuge gibt, sollte man hilfreiche Systemwerkzeuge zum Problemlösen und Managen kennen und von unwirksamen unterscheiden können.

Ein Paradigmenwechsel ist unbequem

Das Wechseln vom Gehen zum Schwimmen bzw. Fliegen steht dabei für einen notwendigen Paradigmenwechsel. Wenn bisher eingesetzte Methoden und Werkzeuge nicht mehr zum Ziel führen, weil sich die Bedingungen in der Umgebung zu stark verändert haben, muss man andere einsetzen als bisher. Damit sind Umstellungsschwierigkeiten verbunden.

Das Gewohnte fällt leicht, weil es gut trainiert ist, klappt aber nicht mehr. Das Ungewohnte fällt schwer, weil es nicht gut trainiert ist, klappt aber gut. Bequem ist weder das Eine noch das Andere. Das ist für jeden Paradigmenwechsel typisch. Es hilft, sich für jene Unbequemlichkeiten zu entscheiden, von denen man sich längerfristig mehr Erfolg versprechen darf.

Die Wahl des besten Werkzeugs

In unserem Beispiel wird kein vernünftiger Mensch zögern, ein geeignetes Werkzeug zu verwenden und das Meer mit dem Schiff oder Flugzeug überqueren. Je nach Zeit und Budget, Angeboten der Verkehrslinien und ob man Schiffuntergänge eher fürchtet als Flugzeugabstürze, wird man das eine oder andere wählen. Ist ja auch einfach, so gut wie jeder hat Erfahrung mit Schiffs- oder Flugreisen.

Der Priesterstab des Moses

Wenn aber, wie im konkreten Fall des notwendigen Paradigmenwechsels, jegliche Erfahrung mit neuen Methoden und Werkzeugen fehlt, ist es schnell vorbei mit der Vernunft. Da müsste man jetzt vertrauen. Und dann vertraut man lieber dem Vertrauten. Dann lassen sich viele eher einreden, dass sie einen Ozean zu Fuß durchqueren können, wenn sie bei Anbietern buchen, die den Priesterstab des Moses besitzen, mit dem man das Meer teilen und für einen Fußweg trockenlegen kann. Diese Bibelgeschichte hat man schließlich oft genug gehört.

Das schaffe ich allein

Etwas Klügere lassen sich auf ein Training für Extremschwimmer ein. Das kostet allerdings viel Kraft und Zeit. Wenn man sie hat, kein Problem. Wenn die Lösungen schon gestern auf dem Tisch liegen sollten und heute noch immer nicht da sind, kann das aber ziemlich ungemütlich werden. Denn es gilt die Maxime: Früher handeln geht vor schneller handeln.

Das kaufe ich mir

Noch Klügere werden versuchen, ein gutes Schiff oder ein Flugzeug zu besitzen, sich aber vielleicht einbilden, von heute auf morgen versierte Kapitäne oder Piloten werden zu können. Im Schiff- und Flugverkehr ist der Besitz von Schiffen oder Flugzeugen zwar nicht verboten, steuern darf man sie aber nur, wenn man eine entsprechende Ausbildung absolviert und die Erlaubnis dafür bekommen hat. Im Management sind wir leider noch nicht so weit. Sagen wir es so: Auch das beste Werkzeug kann ziemlich gefährlich werden, wenn man nicht damit umgehen gelernt hat.

Die Kollaboration mit Experten

Die Klügsten arbeiten mit erwiesenen Experten, bis sie so viel von ihnen gelernt haben, dass sie gefahrlos allein weiterreisen können. Sie lassen solche Experten nicht für sich arbeiten, sie arbeiten mit und lernen dadurch von ihnen. Sie reisen also auf dem Schiff auf der Brücke bzw. im Flugzeug im Cockpit. Die erfolgreichsten Experten setzen auf systematisches Voneinanderlernen. Sie selbst kennen und beherrschen das Schiff bzw. Flugzeug, ihre Auftraggeber kennen das Ziel, die Umgebung und ihre Bedingungen. Zusammen schaffen sie auch die schwierigeren Herausforderungen.

Die Wahl liegt nur bei Ihnen

Sind Sie noch immer zu Fuß unterwegs? Hat Sie der Ozean erwischt? Treiben Sie erschöpft im Meer? Klammern Sie sich an jeden Halm? Hoffen Sie, dass endlich ein Schiff vorbeikommt oder ein Hubschrauber, der Sie entdeckt und rettet? Haben Sie daran gedacht, um Hilfe zu rufen? Haben Sie damit aufgehört, zu gehen und angefangen zu schwimmen? Kennen Sie die Richtung, in die Sie müssen? Kämpfen Sie mit Haien? Versuchen Sie, Haie zu fressen?

Man muss es nicht gleich mit dem O-Ton der Systemwissenschaften versuchen. Manchmal helfen schon einfache Metaphern oder Analogien, die ihren Aussagen entsprechen, um sich seiner tatsächlichen Situation und Möglichkeiten gewahr zu werden…

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche kybernetische Denkwerkzeuge für den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens in Wien stattet und bildet sie interne und externe Experten aus, die sich in Unternehmen und Institutionen auf das professionelle Meistern komplexer Situationen konzentrieren.

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?

Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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