Wie Ordnung entsteht

Management im Kopf: Folge 28. Komplexität meistern. Wissen und Information, die Basis für Ordnung.

In unserer Kolumne „Management im Kopf“ stellt Maria Pruckner versierte Wissenschaftler und anerkannte Experten vor, die über wertvolle Erfahrungen und verlässliches Wissen für den professionellen Umgang mit komplexen Problemen und Systemen verfügen. Aktuell verfasst sie zu den bisherigen Beiträgen und Leserbriefen Follow-ups.

Jeder hat seine eigene Vorstellung davon, wie etwas geordnet und organisiert sein soll. Ordnung ist immer die Ordnung von jemandem. Das ist in Ordnung, für jeden Single, der allein in seiner Wohnung lebt. Wo man nicht allein wohnt, werden verschiedene Vorstellungen bereits zum Konfliktpotenzial. Kontraproduktiv werden sie, wenn mehrere oder viele Personen gemeinsam Erfolge erzielen sollen. Die Voraussetzung dafür ist nicht nur eine gemeinsame, sondern auch eine zielführende Vorstellung für das Herstellen und Aufrechterhalten von Ordnung. Wie sie entstehen und verschwinden kann, darum geht es in den Systemwissenschaften. Deshalb habe ich sie hier in den letzten Monaten in den wichtigsten Zügen vorgestellt.

Angst vor neuen Ordnungen

Unter den hochkomplexen Bedingungen von heute ist das Herstellen und Aufrechterhalten einer allgemein verbindlichen, zum Ziel führenden Ordnung schwieriger denn je. Denn kaum wird in komplexen Systemen an einer Stelle etwas neu geordnet, entsteht an vielen anderen Stellen Unordnung. Das macht Angst vor Veränderung. Doch sobald sich die Ordnung in der Umgebung verändert, muss man die eigene mitverändern. Das ist in jeder Hinsicht die Voraussetzung für die Lebensfähigkeit in einer komplexen, dynamischen Welt. Das meint man mit Anpassungsfähigkeit. Sich so zu verhalten wie es alle anderen tun, ist damit also nicht gemeint. So entsteht Unordnung, nicht Lebensfähigkeit. Heinz von Foerster nannte das notwendige Anpassen gerne den „Tanz mit der Welt“, während Viktor Frankl empfahl: „Tu das, wovor du Angst hast.“

Wie kann Ordnung von selbst entstehen?

Manchmal passiert es aber zufällig, dass Ordnung von selbst entsteht und gleichzeitig die Intelligenz und Innovationkraft zunimmt. So gut wie jeder hat das schon erlebt. Weil ich nutzlose Anstrengungen nicht mag, hat mich das so fasziniert, dass ich die Erklärungen dafür suchte, in der Hoffnung, dieses Phänomen ließe sich gezielt herbeiführen. Die Rahmenbedingungen, unter denen Ordnung von selbst entstehen und zunehmen kann, fand ich bei Heinz von Foerster. Nach mühsamer Pionierarbeit kann ich Gutes berichten: Heute gelingt es meinen besten Schülern bereits nach etwa einem halben Jahr, die Selbstorganisation von Ordnung zuzulassen. Ja, zulassen. Denn sie ist in der Natur von komplexen Systemen bereits eingebaut, also auch in der des Menschen. Mit einem unpassenden Verständnis von Systemen verhindert man das eigendynamische Entstehen von Ordnung, weil man dann mit kontraproduktiven Ideen von Ordnung agiert.

Daran spalten sich die Geister

Wie Ordnung hergestellt und aufrechterhalten werden kann, daran spalten sich heute noch die Geister. Als Spaltbeil fungieren dabei vor allem die Vorstellungen von Systemen, aber auch kurzsichtige Gier und ebensolcher Geiz. Auf die eine Seite fallen die Fans von mittelalterlichem Gedankengut, unter ihnen Management-Exorzisten, Digitalisierungs-Evangelisten und Untergangspropheten. Auf die andere Seite fallen die Anhänger des professionellen Systemdenkens. Das sind schlicht und einfach die Leute, die trotz rasanter Entwicklungen in der Wissenschaft und Technik den Anschluss an die Gegenwart nicht verloren haben.

Ein heißer Tipp

Zum Alltag vieler Menschen, die geistig auf der Höhe ihrer Zeit sind, gehört das Verfolgen hervorragender Wissenschaftsmagazine und -dokus aus Fernsehen und Radio. Sie profitieren von den entscheidenden Fragen versierter Wissenschaftsjournalisten, dem O-Ton führender Köpfe und den sensationellen visuellen Darstellungen komplexer Vorgänge, wie sie nur große TV-Anstalten bieten können. Kostengünstiger und kontinuierlicher gibt es hochwertige Weiterbildung nicht. Sie steht jedem frei.

Wissen über Wissen

Wer Spitzenforschern häufig genug zuhört, weiß, wo man noch im Dunklen tappt und in welchen Fragen sie auf andere Experten verweisen. Und der verliert mit der Zeit wie von selbst den Anspruch, wie ein Vorzugsschüler auf alles eine Antwort haben zu müssen. Dem wird auch rasch klar, warum sich der wahre Bildungsstand vor allem am eigenen Wissen über sein Nichtwissen zeigt. Das bringt die nötige Entspanntheit für leichtes und schnelles Lernen mit sich.

Kontraproduktive Eitelkeiten

Wer glaubt, alles zu wissen und zu verstehen, der gefährdet sich und andere. Wem noch immer peinlich ist, etwas nicht zu wissen oder zu verstehen, der macht sich das Leben unnötig schwer. Mit Alexander van der Bellen ließ gerade ein Uni-Professor in einem langen Wahlkampf unzählige Male folgende Worte fallen: „…wenn ich mich nicht irre…“ Das verunsichert die, die vom Staatsoberhaupt sichere Sicherheiten wollen und beruhigt die, die auf der Höhe der Zeit leben. Für das Meistern von Komplexem muss man primär einsehen, warum man unmöglich alles wissen und verstehen kann. Erst dann wird man die systemwissenschaftlichen Errungenschaften als wertvolle Hilfe betrachten, weil erst dann interessant wird, wie man Situationen trotz fehlendem Wissen und nicht erreichbaren Informationen zutreffend beurteilen und wie man erfolgreiche Entscheidungen treffen kann.

Die Treiber und das Maß für Ordnung

Wissen und Information – das Nutzen vorhandener und das Gewinnen neuer Erkenntnisse – prägen das Verhalten und die Zustände von komplexen Systemen. Deshalb beziehen sich die Überlegungen in den Systemwissenschaften auf die Wirk- und Ordnungskraft dieser beiden Phänomene. Das in Systemen vorhandene Wissen und die wirksamen Informationen haben sich als das verlässlichste Maß für die vorhandene und mögliche Ordnung erwiesen. Das macht die Aus- und Vorhersagekraft solider kybernetischer Untersuchungsergebnisse verlässlicher als betriebswirtschaftliche Zahlen. Die soft facts prägen die Zukunft, nicht die hard facts.

Die Kunst der Interpretation

Heute erhofft man sich viel von den großen Datenmengen, die zur Verfügung stehen. Doch Signale und Daten werden erst durch ihre Interpretation zu Wissen und Information. Bildung ist der Wandler, der Signale und Daten zu Wissen bzw. Information verwandelt. Bildung ist im Gehirn das, was im Computer die Software ist, ohne Software sind Daten nutzlos. Man braucht die nötige Bildung, um Daten sinnvoll entschlüsseln zu können. Wer von etwas zu wenig versteht, kann selbst aus den besten Quellen nichts Schlaues oder Wertvolles schöpfen. Wissen und Information gibt es also nur in Gehirnen. In sie sollte man daher das meiste investieren.

Use it or lose it

„Man sieht nur, was man weiß. Eigentlich: Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht“, schrieb Goethe 1819 in einem Brief. Bevor man dazulernen kann, muss also schon etwas gelernt haben. Lernen ist die Voraussetzung für lernen. Nun ist es mit dem Gehirn hilfreicher Weise ganz anders als zum Beispiel mit einem Auto. Das Gehirn wird schlechter, wenn man es zu wenig strapaziert und besser, wenn man es benutzt. Jeder ist frei darin, sich anzustrengen, um wertvolles Wissen zu erlernen. So entsteht zuerst Ordnung im Kopf und dann in der Umgebung. Der Organismus baut jede Zelle ab, die nicht strapaziert wird, auch im Gehirn. Mit jeder abgestorbenen Hirnzelle gehen Fähigkeiten verloren. Dümmer wird man also ganz von selbst, darum muss man sich nicht kümmern. Und nichts entsteht leichter von selbst als Chaos.

Wo die bessere Zukunft bereits programmiert ist

Wissen und Information sind die wertvollsten Ressourcen der Wirtschaft und Gesellschaft. Erfolg hängt davon ab, wie man mit Wissen und Information umgeht, das heißt, mit sich selbst und mit anderen Menschen, mit den Informations- und Wissensträgern in unseren Systemen über unsere Systeme. So gut wie alle wünschen sich eine bessere, eine gute Zukunft. So gut wie alle verhalten sich, wie sie sich verhalten, weil sie sich davon eine bessere Zukunft erwarten. Darin darf man so gut wie sicher sein. Die Zukunft wartet nur darauf, endlich besser werden zu dürfen. Wo immer genug Menschen einsehen, dass Ordnung nicht durch das Durchsetzen eigener Vorstellungen entsteht, sondern durch das Zulassen jener Ordnung, welche die Natur selbst in das winzigste System dieser Welt eingebaut hat, ist eine bessere Zukunft bereits programmiert. Man darf sich also beruhigen. Man darf eine bessere Zukunft zulassen. Man darf das Beste aus sich und anderen hervorholen, denn ist es bereits eingebaut…

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche kybernetische Denkwerkzeuge für den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens in Wien stattet und bildet sie interne und externe Experten aus, die sich in Unternehmen und Institutionen auf das professionelle Meistern komplexer Situationen konzentrieren.

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?

Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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