Besser als Horoskope…

Management im Kopf: Folge 31. Komplexität meistern. Wie die beste Zukunft entsteht.

In unserer Kolumne „Management im Kopf“ stellt Maria Pruckner versierte Wissenschaftler und anerkannte Experten vor, die über wertvolle Erfahrungen und verlässliches Wissen für den professionellen Umgang mit komplexen Problemen und Systemen verfügen. Aktuell verfasst sie zu den bisherigen Beiträgen und Leserbriefen Follow-ups.

Diese Woche kennt man als Übergang vom vergangenen Jahr auf das neue, eine Zeit der Rück- und Vorschau, und der Jahreshoroskope. In dieser Kolumne ging es vergangenes Jahr um das Kennenlernen der Systemwissenschaften, die wichtigste Grundlage für den erfolgreichen Umgang mit Komplexem, als wichtigste Aufgabe unserer Zeit. Auch in den Systemwissenschaften geht darum, wie die Zukunft entsteht. Allerdings nicht aufgrund der Sterne, sondern durch Vorstellungen und Möglichkeiten. Hier geht es immer und überall um Übergänge,  die auf harten naturbedingten Fakten basieren. Ein Rück- und Ausblick als Zusammenfassung.

Die Wirkkraft von Übergängen

Auch glatte  Straßen gehören in diese Jahreszeit. Sie sind eine gute Metapher für das Meistern von Komplexem. Ob man rutscht, stürzt oder gut vorankommt, hängt vor allem davon ab, wie gut der Weg gestreut ist, wie griffig die Schuhsohlen sind und wie geschickt die eigene Balance. Das sichere Vorankommen, Schlittern und Stürzen stecken in den Übergängen zwischen Sohlen und Weg, einem Schritt und dem nächsten. Durch Übergänge werden Systeme zu Systemen, das Komplexe zu Komplexem und das systemwissenschaftliche Denken zum systemwissenschaftlichen Denken.

Der etablierte Blick auf die Welt

Eine erste Welterfahrung, die ein jeder macht, entspricht im Grunde einer Kinderzeichnung: Das ist unser Haus, es ist schön und gemütlich. Das sind Mama und Papa, sie sind sehr lieb. Das ist ein Smartphone, es ist besser und teurer als andere. Mein Chef ist schuld an unserem Dilemma, er ist ein knausriger, engstirniger Kerl. So sieht das typische Denkmuster auf der sogenannten Sachebene aus. Hier geht es nur um Begriffe für Wesen und Dinge und um ihre Eigenschaften. Wenn sie solche Fragen bei Prüfungen tadellos beantworten können, bekommen Schüler dafür gute Noten.

Vom Sachdenken zum Reparaturdenken

Wenn es um Erfolge außerhalb von Schulprüfungen geht, geht es immer um komplexe Angelegenheiten. Dann ist es kontraproduktiv, wenn man auf der Sachebene stecken bleibt. Denn dann wird man jedes Problem auf der Sachebene lösen wollen, in dem man versucht, die Eigenschaften von jemand oder etwas zu verändern bzw. andere Begriffe für sie zu verwenden. Dann muss zum Beispiel Herr Müller rasch Stress-Resilienz entwickeln, ein Automodell geringere Abgaswerte produzieren, Komplexes einfacher, ein Problem Herausforderung genannt oder die Sprache gegendert werden.

Nicht alles lässt sich verändern

Dieses Reparaturdenken klappt leider nur bei trivialen Problemen, etwa einfachen technischen. Denn Wesen und Dinge haben viele Eigenschaften, die sich nicht verändern lassen. Stress-Resilienz zum Beispiel ergibt sich aus bestimmten biografischen Rahmenbedingungen insbesondere in der Kindheit. Sie zu entwickeln ist regelrechte Glückssache, man kann sie nicht wie ein Bier bestellen. Vieles muss von Natur aus komplex sein, damit es funktioniert. Würde man es vereinfachen, würde man es zerstören. Das wäre etwa der Fall, wenn man die Lunge präventiv entfernt, weil sie statistisch am stärksten für Krebs anfällig ist.

Die großen Schwierigkeiten liegen in Beziehungen

Schwierige Probleme liegen immer auf der Beziehungsebene. Hier geht es zuerst um die Frage: Wen oder was denkt ein Mensch, dass er vor sich hat und woher kommt es, dass er bei allen Möglichkeiten, die es gäbe, ausgerechnet dies und nichts anderes wahrnimmt, denkt, tut? Das Komplexe beginnt mit dem, woraus jemand oder etwas seine Eigenschaften und Fähigkeiten schöpft, mit seiner Selbstbezüglichkeit. Sie prägt die Beziehung zu jemand oder etwas, sowie das Wahrnehmen, Erkennen und Beurteilen dessen. Deshalb hat zum Beispiel ein Unternehmensberater, der zwecks Kostensenkung eingesetzt ist, zu Entlassungen eine völlig andere Beziehung als betroffene Mitarbeiter; ein Krebskranker zu seinem Tumor eine völlig andere als sein Onkologe, er nimmt seinen Tumor auch vollkommen anders wahr als dieser.

Zirkuläre Kausalität – das A & O

Was tut das eine mit dem anderen und was das andere mit dem einen? Das ist die zweite wichtige Beziehungsfrage. Sie sucht nach den Wechselwirkungen, die aus selbstbezüglichen Relationen entstehen. Ein einfaches Beispiel: Der Motor von Hannes Auto springt nicht an, weil der Tank leer ist. Er erkennt das nicht, hat es sehr eilig, ärgert sich und startet minutenlang immer wieder, bis er endlich sieht, dass kein Sprit im Tank ist. Er füllt Treibstoff nach, startet erneut. Nun aber ist leider die Batterie leer, als Rückwirkung des häufigen Startens. Das Problem liegt hier im Übergang - in der Rückkoppelung und Wechselwirkung zwischen Auto und Hannes. Hier spricht man von zirkulärer Kausalität.

Hard facts are soft problems, soft facts are hard problems

Hannes dachte, er hätte ein funktionstüchtiges Auto vor sich, das war seine Beziehung zu seinem Auto. Dass es nicht so war, ärgerte ihn, auch das gehört nun zu seiner Beziehung. Er machte mehr vom selben, immer wieder starten, anstatt etwas anderes zu tun, nämlich auf die Tankanzeige schauen. Hätte er den leeren Tank rechtzeitig erkannt, hätte er die Batterie nicht entleert. Die Beziehung prägt das Interesse und die Aufmerksamkeit für bestimmte Dinge, und das entscheidet darüber, was man wahrnimmt und was man gar nicht mitbekommt. Sachfragen wie ein leerer Tank sind einfach zu lösen. Wie ist etwas für Hannes und was glaubt er diesbezüglich? – das sind Beziehungsfragen und sie sind schwierig. „Hard facts are soft problems, soft facts are hard problems“, so brachte Heinz von Foerster das auf den Punkt.

Die Wissenschaft für hartnäckige Probleme

Bis hierher also das Denken an sich. Nun zum systemwissenschaftlichen Denken: Es widmet sich jenen hartnäckigen Problemen, die aus den Wirkkräften durch Selbstbezüglichkeit, Beziehungen, Rückkoppelungen, Wechselwirkungen, kurz aus zirkulärer Kausalität entstehen. Als besseres Wort für Beziehung wird hier gerne der Begriff Relation verwendet. Er kommt vom lateinischen Wort relatio, das bedeutet so viel wie zurücktragen. Es spielt besser auf die bereits erwähnten Rückkoppelungen und –wirkungen an, auf die zirkuläre Kausalität.

Faktische und konstruierte Beziehungen

Beim Anwenden der systemwissenschaftlichen Grundlagen unterscheidet man zwischen konstruierten und realen Relationen. Um reale Beziehungen geht es, wenn Einheiten de facto aufeinander einwirken. Um konstruierte Beziehungen geht es, wenn man nur vermutet oder denkt, dass bestimmte Einheiten zusammenwirken. Hier handelt es sich bestenfalls um bewusste Hypothesen, um einen eventuellen Zusammenhang zu erforschen, im ungünstigen und viel häufigeren Fall um Irrtümer.

Soll-Werte für Übergänge

Das Suchen, Identifizieren und Beurteilen realer und konstruierter Beziehungen geschieht anhand verlässlicher Charakteristika und Gesetzmäßigkeiten, die einerseits sämtliche Arten von Beziehungen und Systemen gemeinsam haben und andererseits nur bestimmte. Hier kennen wir verlässliche Soll-Werte für höchste Effektivität und Wirtschaftlichkeit sowie die typischen Folgen, wenn sie nicht erzielt werden. Sie alle beziehen sich aus den genannten Gründen auf Übergänge, auf die Quellen des Gelingens und Misslingens. Nun gibt es in komplexen Systemen unfassbar viele Übergänge. Welche davon volle Aufmerksamkeit erfordern, auch das zeigen systemwissenschaftliche Grundlagen auf und zwar auf abstrakter Ebene. Als Anwender erforscht man auf dieser Basis Fall für Fall, unter der Integration von Fach- und Insiderwissen, konkrete Wirkgefüge. Profis entwickeln dafür sogenannte System-Modelle. Das sind Denkwerkzeuge, die den notwendigen Überblick über entscheidende Übergänge geben sowie die erforderlichen Hinweise, an welchen Übergängen die Leistungsfähigkeit von Systemen schlechter oder besser werden kann. So wird es einfach, eine Lage mit ihren Möglichkeiten zu erkennen und sämtliche Chancen zu nutzen.

Wie die Zukunft wird…

Hand aufs Herz. Können Sie die Jahreshoroskope ignorieren, die man nun täglich in den Medien findet? Bei allem Sachverstand, lesen Sie nicht, wie Ihre Sterne stehen? Das Ungewisse am Komplexen, an der Zukunft nervt. Zeitungen wissen, weshalb sie Horoskope liefern. Stellen Sie sich vor, kybernetische System-Modelle haben denselben Zweck wie Horoskope. Sie erfüllen ihn bloß auf wissenschaftlich fundierter, pragmatischer Basis, mit bewährten Designvorlagen für die besten Lösungen. Hand aufs Hirn. Können Sie das ignorieren?

In diesem Sinne wünschen Ihnen die Systemwissenschaften und ich das Allerbeste für das Neue Jahr.

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche kybernetische System-Modelle und Denkwerkzeuge für den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens in Wien stattet und bildet sie Führungskräfte sowie interne und externe Experten aus, die in Unternehmen und Institutionen komplexe Situationen professionell meistern müssen.

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?
Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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