Raus aus der Hüpfburg

Management im Kopf: Folge 35. Über schlecht entwickelte Organisationen und die Pfade echter Innovation.

Eine Orientierungshilfe für gute Aussichten. In ihrer Kolumne „Management im Kopf“ führt Maria Pruckner in die System Sciences als wichtigste Leitwissenschaft für das Problemlösen und Managen im 21. Jahrhundert ein.

Es gibt im Leben wie in Betrieben so gut wie nichts, das nicht komplex ist, nichts, was sich nicht ständig verändert. Selbst Pflanzen gehören zu den komplexen Systemen, auch wenn sie immer an derselben Stelle stehen. Sie seien, sagten angeblich die Indianer, Tiere ohne Beine. Nur was man zerlegen und wieder zusammenbauen kann, ohne es dabei zu zerstören, hat die Funktionsmuster von einfachen Systemen, Scheren oder Kuckucksuhren zum Beispiel.

Hüpfburgen

Das universelle Funktionsmuster komplexer Systeme stellt man sich als Anfänger am besten wie das einer Hüpfburg vor. Ein Betriebsgebäude etwa ist die Hüpfburg. In ihr befindet sich die entsprechende Besetzung, Einrichtung und Ausstattung. Alle menschlichen und technischen Aktionen sind mehr oder weniger heftige Bewegungen. Verändert sich an einer Stelle etwas, verändert dies immer das Ganze. Und zwar so, wie es die Eigendynamik gerade erlaubt. Ständig alles in die nötige Balance zu bringen, das nennt man Arbeit.

So ein Blödsinn?

So ein Blödsinn, wird nun mancher denken, bei uns steht nichts auf wackeligem Boden. Nein, natürlich nicht, wenn man in seinem Betrieb alle immateriellen Steuerungs- und Regulierungsvorgänge unter den Menschen und in der Technik außer Acht lässt. Gerade auf sie aber kommt es an, wenn man in komplexen Umgebungen hohe Wertschöpfung statt Erschöpfung erzielen möchte. Genau gesagt, auf speziell organisierte und koordinierte Bewegungsabläufe, auf die Steuerung und Regulierung in einer instabilen Umgebung.

Wenn die Luft ausgeht

Bleiben wir beim Bild der Hüpfburg. Stellen Sie sich vor, jedes Mal, wenn ein Steuerungs- oder Regulierungsvorgang scheitert, geht aus der Hüpfburg ein bisschen Luft raus. Irgendwann ist so viel Luft draußen, dass die Menschen immer öfter zu immer größeren Gruppen zusammenkullern und immer mühsamer auseinanderkommen. Im Arbeitsalltag kennen wir das als viele endlose Meetings mit vielen Leuten und wenig brauchbaren Ergebnissen.

Unpassende Vorstellungen

Zustände und Ereignisse wie in solchen Hüpfburgen entstehen, wenn man von komplexen Systemen ein unpassendes Verständnis hat. Dann ist einem die naturgegebene, notwendige Instabilität und Eigendynamik komplexer Systeme nicht bewusst oder man ignoriert sie. Für unliebsame Störungen und Probleme reicht es schon, wenn auch nur eine Person eine unpassende Vorstellung hat oder ein nötiges Gerät nicht wie erforderlich funktioniert.

Vielredner

Ein typisches Merkmal von Menschen mit unpassenden Vorstellungen von komplexen Systemen ist, dass sie gerne und viel reden. Sie hören anderen nur wenig zu, lernen und erfahren daher kaum etwas von anderen. Über Komplexes lässt sich wahrlich viel reden. Aber was immer man sagt, sagt mehr über die eigene Innenwelt als über die Umgebung, in der man erfolgreiche Lösungen zustande bringen sollte. Dieses viele Reden kommt primär von zu wenig Wissen und sekundär vom Stress, der durch Wissens- und Informationsmangel entsteht.

Beobachter

Menschen, die sich mit der Natur von komplexen Systemen an sich und mit bestimmten von ihnen gut auskennen, reden im Gegensatz dazu sehr wenig. Sie arbeiten mit System-Modellen, die das Funktionieren eines Systems auf einen Blick zeigen. Sie stellen viele Fragen, mit denen sie nach Wirkmustern im System suchen, hören genau zu und beobachten genau. In der Regel sind das sensible, gleichzeitig aber gelassene Menschen, die rasch viel lernen und nichts ohne Evaluierung machen, weil sie wissen, wie leicht sie sich täuschen können.

Sensibel oder empfindlich?

Profis, die wissen, was sie mit einem komplexen System vor sich haben, reagieren auf vollkommen andere Dinge sensibel als Leute mit unpassenden Vorstellungen. Von Verzögerungen zum Beispiel bekommen Profis graue Haare, weil sich Probleme in komplexen Systemen bis zur Unlösbarkeit selbst verschärfen, wenn man nicht sofort das Passende tut. Dilletanten hingegen agieren nach ihrem Terminkalender, weil ihnen die Sensibilität für die Wirkkräfte und Eigendynamik komplexer Systeme fehlt. Sie reagieren eher empfindlich als sensibel, zum Beispiel auf Kritik.

Raus aus der Hüpfburg

Wie kommt man nun raus aus einer solchen Hüpfburg? Wie schafft man Verhältnisse, in denen sich alle und alles zweck- und zielgerichtet bewegen können? Als erstes hilft die Vorstellung, dass seit der letzten Epochenwende nichts mehr ist wie es war. Man muss sein Denken und Verhalten an die neue Zeit und neuen Umgebungen anpassen. Mit der nötigen Adaptivität oder Anpassungsfähigkeit komplexer Systeme meint man also nicht, sich so wie die anderen zu verhalten, sondern so, wie es eine Situation gerade verlangt.

Verhaltensvielfalt

Sich so verhalten zu können, wie es eine Situation gerade verlangt, verlangt eine hohe Vielfalt unterschiedlicher Verhaltensweisen. Fähigkeiten und Verhaltensweisen an sich sind weder gut noch schlecht. Sie sind nur entweder passend oder ungeeignet für eine bestimmte Situation. Um zu erkennen, was jeweils ungeeignet ist oder funktionieren müsste, muss man die Funktions- und Wirkmuster der jeweiligen Person, Situation oder Sache im System verstanden haben. Dabei hilft das bislang bewährte Wissen aus den Systemwissenschaften.

Wie ungut!

Man kann ungut finden, dass man ausgerechnet in eine Zeit hineingeraten ist, in der nichts mehr so läuft, wie man denkt und glaubt. Man kann es ignorieren, sich dagegen wehren, darüber aufregen. Wer sich nicht anpassen möchte, braucht nur sämtlichen Geräten den Strom zu nehmen, sich von sämtlichen Menschen und Einrichtungen zu trennen, von denen er abhängig ist, irgendwo als Eremit von Ackerbau und Viehzucht leben und dort erst recht erfahren, dass er mitten in der Natur, ohne die Hilfe anderer, noch abhängiger von der Komplexität und Eigendynamik der Natur ist.

Wie gut!

Wie gut, dass mit den Systemwissenschaften längst das nötige Wissen sowie nachhaltig wirksame Strategien, Werkzeuge und Methoden zur Verfügung stehen, um in der enorm komplex-dynamischen Welt von heute aus Betrieben intelligente Organisationen zu machen, in denen das Nötige flott und ohne großen Aufwand entsteht, anstatt Hüpfburgen, die auf die Dauer jeden fertig machen. Es gibt da eigentlich nur noch ein einziges Problem: Veraltetes Wissen und ungeeignetes Denken.

Die Quellen der meisten Innovationen

Woher kommt das Innovative, das die anderen noch nicht erfunden haben? Das, was die Welt so verändert wie der Computer, das Internet oder Smartphone? Diese Frage muss heute jeder Unternehmer und jede Führungskraft aus dem FF beantworten können, und jeder darüber hinaus, der vorne mit dabei sein möchte. Der Ursprung von großen Innovationen liegt so gut wie immer in der Forschung, viel seltener im eigenen Ideenreichtum.

Grundlagen

Fast alle weltumwälzenden Innovationen entspringen der Grundlagenforschung. Dort sucht man zum Beispiel nach bislang noch nicht erkannten Zusammenhängen und Funktionsweisen universeller Art. Dort entstehen ein völlig neues Verständnis von etwas Elementarem und völlig neue Wege, Probleme zu lösen. In diesen Bereich fallen die Systemwissenschaften und ihre Begründer, etwa Norbert Wiener oder Heinz von Foerster.

Translationale Forschung

In diesem Rahmen werden die Erkenntnisse der Grundlagenforschung für konkrete Anwendungsgebiete mit entsprechenden Zwecken und Zielen weiterentwickelt. In diesen Bereich fallen zum Beispiel die Arbeiten von Stafford Beer, Hans Ulrich und Markus Schwaninger für die Unternehmensführung.

Angewandte Forschung

Hier werden wissenschaftliche Erkenntnisse der Translationsphase für wirtschaftliche und soziale Zwecke nutzbar gemacht. In dieser Kolumne vorgestellt wurden zum Beispiel die psychotherapeutischen Methoden von Viktor Frankl und Paul Watzawick sowie die Robotik und Artificial Intelligence mit Gerfried Zeichen und Robert Trappl.

Innovationen

Nachhaltige Innovationen, das heißt völlig neuartige Entwicklungen und Systeme, die sich erfolgreich auf dem Markt bewähren, weil sie in bereits vorhandenen Systemen etwas verbessern, erleichtern, verschönern, entstehen vor allem aus validen Forschungsergbnissen; aus Entwicklungsprozessen, in denen viele Probleme bereits erkannt und gelöst und unerwünschte Begleitwirkungen gekonnt verhindert wurden, die nur durch Unwissen entstehen. Auch für Betriebe, die noch Hüpfburgen sind, sind die Aussichten gut, sie in intelligente Systeme zu verwandeln. Wo man mit menschlicher oder künstlicher Intelligenz weiterkommt, ist dabei die Frage. Um es mit Hans Matthöfer, einem deutschen Politiker und Gewerkschafter, zu sagen: „Künstliche Intelligenz ist besser als natürliche Dummheit.“

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche kybernetische System-Modelle und Denkwerkzeuge für den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens in Wien stattet und bildet sie Führungskräfte sowie interne und externe Experten aus, die in Unternehmen und Institutionen komplexe Situationen professionell meistern müssen.

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?
Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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