Über das Organisieren intelligenter Organisationen

Management im Kopf: Folge 45. Komplexität meistern. Über intelligente Organisationen, Amazon Go als Beispiel für typische Probleme, mögliche Auswege und eine Einladung zum March for Science.

Eine Orientierungshilfe für gute Aussichten. In ihrer Kolumne „Management im Kopf“ führt Maria Pruckner in die System Sciences als wichtigste Leitwissenschaft für das Problemlösen und Managen im 21. Jahrhundert ein.

Amazon probt gerade Amazon Go. Im ersten Robotersupermarkt ohne Warteschlangen an den Kassen steht die Ware manifest in manifesten Regalen in einem manifesten Shop. Alles andere läuft wie online, nur die Eingaben erfolgen durch diffiziles Tracking der Kundenbewegungen. In der bisherigen Testphase werden die Kunden von Mitarbeitern gespielt, die sich wie Kunden in Supermärkten verhalten. Das macht der Robotik Probleme. Sind mehr als 20 Leute im Shop, verliert sie den Überblick, liest man im Wall-Street-Journal. Nimmt jemand Ware aus dem Regal und stellt sie nicht exakt an dieselbe Stelle zurück, erkennt die Robotik nicht, dass das Produkt nicht gekauft wurde. Den unberechenbaren Kunden hatte man nicht genau genug bedacht. Man kann nun über Amazon lachen. Oder über das Organisieren intelligenter Organisationen nachdenken. Wie könnte die Lösung aussehen?

Lösung 1: Die Kunden in Amazon-Go-Shops müssen sich wie Roboter verhalten, damit die Robotik den Eindruck macht, sich wie intelligente Menschen zu verhalten. Die Kunden dürfen also nur tun, was die Robotik erkennt und verarbeiten kann. Beim online-shoppen machen wir das schon lange so. Die Frage ist, wozu dann Amazon Go?

Lösung 2: Die Robotik muss auf das nichttriviale Verhalten der Kunden adäquat reagieren können. Dafür braucht sie viel komplexere Modelle, muss sie viel schneller viel mehr tracken, rechnen und lernen können. Die Frage ist, warum Kunden in einem Shop und nicht online kaufen. Vielleicht wären menschliche Verkäufer doch angenehmer?

Lösung 3: Man gibt das Projekt auf und sucht nach besseren Strategien. Vielleicht kann man ja Ware aus Onlineshops künftig für die Kunden materialisieren, um ihnen einen realen Eindruck zu bieten und wieder entmaterialisieren, sollten sie nicht kaufen. Vielleicht kommt etwas noch Besseres, aber ganz anderes.

Die Analogie zur Betriebsorganisation

Amazons Probleme mit der Robotik sind dieselben wie mit der Aufbau- und Ablauforganisation jedes Betriebs. Es sind Probleme der Steuerung und Regulierung eines Unternehmens. Wissensdefizite schlagen auch bei ihrer Digitalisierung durch. Das muss man beim Organisieren intelligenter Organisationen bedenken.

Pass die Menschen an die Organisation an

Die Strategie von Lösung 1 ist, Menschen ein bestimmtes Verhalten aufzuzwingen, damit bestimmte Strukturen funktionieren. Für den Umgang mit Werkzeugen ist das sinnvoll. Wer einen PC wie einen Nagel benutzen würde oder einen Bleistift wie eine Schere, würde nicht viel zustande bringen. Dasselbe gilt auch für Denkwerkzeuge.

Chancen verhindern

Menschen eine Betriebsorganisation aufzwingen, die niemandem nützt, ist Unsinn. Wer ihre Freiheit zu stark beschneidet, ihre Kreativität und Kooperation zu sehr unterdrückt, ihr Lernen und ihre Intelligenz zu eng beschränkt, versteht zu wenig vom intelligenten Organisieren komplexer Systeme und verliert so viele Chancen.

Pass die Organisation an die Menschen an

Lösung 2 steht für die Strategie, Strukturen an die Natur des Menschen anzupassen. Hier geht es um die Kunst, durch die Art der Organisation Wirkungen zu erzielen, die eigendynamisch zu Rückwirkungen führen, die erwünscht sind. Darum geht es bei Selbstorganisation u.a. aus systemwissenschaftlicher Sicht.

Das Design von Wirkgefügen

Die Rückwirkungen von Wirkungen sind unvermeidlich. Entscheidend ist, dass es keine kontraproduktiven sind. Dasselbe gilt für alle Neben-, Wechsel-, Fern-, Spät- und Nachwirkungen. Sie im Auge zu haben, damit beginnt solide angewandte Systemwissenschaft. Den Überblick gewinnt man durch geeignete System-Modelle.

Ein klares Bild

Bevor sie entscheiden, müssen sich die meisten Menschen exakt vorstellen können, womit sie es zu tun haben. Besonders groß ist dieses Bedürfnis bei komplexen Angelegenheiten, weil sie mit unvermeidlicher Intransparenz daherkommen. Gelingen klare Vorstellungen nicht, ist die Verunsicherung entsprechend groß.

Die Vorstellungskraft stärken

Die Strategie von Lösung 3 ist, etwas Reales durch ein realitätsgetreues Modell zu ersetzen. Solche Modelle unterstützen die Vorstellungskraft des Menschen weit über seine Phantasie hinaus. Sie lenken sie in eine realistische Richtung, halten so von Irrtümern ab und helfen, sich geistig und emotional auf etwas einzulassen.

System-Modelle

System-Modelle helfen, tatsächlich wirksame Zusammenhänge zu erkennen, statt solchen, die man einfach nur glaubt oder denkt. Glauben und denken kann man alles. Es klappt bloß nicht alles, was man glaubt und denkt. Es gibt daher keine professionell angewandte Systemwissenschaft ohne professionelle System-Modelle.

Vom Scheitern durch Unwissen

51 Prozent aller Insolvenzen gehen auf Managementfehler und fachliches Unwissen zurück, zeigt eine Untersuchung des Kreditschutzverbandes aus dem Jahr 2015. Wer beim Wirtschaften und Arbeiten auf relevantes Wissen als entscheidenden Rohstoff verzichtet, baut ohne Mörtel ein Haus aus Ziegeln. Es wird nie stabil genug werden.  

Beziehungswissen, Systemwissen

Beziehungen und Systeme weisen unterschiedliche Zustände auf. Manchmal ist hohe Dynamik, Agilität oder Stabilität gut, dann aber wieder nicht. Jedes System verlangt nach Balance, jeder Zustand andere Impulse. Verlässliches Wissen darüber ist quasi das Klebemittel, um fruchtbare Beziehungen zu gestalten und erhalten.

Wie dynamisch soll es denn sein?

Ein heiß gelaufener Computer etwa rechnet nicht besser, wenn man noch schneller in noch mehr Programmen gleichzeitig operiert. Auch Unternehmen können „heiß laufen“. Das Steigern der Dynamik wäre dann kontraproduktiv. Es braucht in jeder Hinsicht auch Phasen der Ruhe, Erholung, des Lernens und Nachdenkens.

Dynamiken modulieren

Hinter nachhaltigen Erfolgen steckt die Fähigkeit von Menschen und ganzen Organisationen, ihre Betriebsmodi so rasch verändern zu können, wie es gerade nötig ist. Hier geht es um die Fähigkeit, Dynamiken jeweils so zu modulieren, wie es für ein dauerhaft erfolgreiches Interagieren mit der jeweiligen Umgebung hilft.

Wirksamer denken statt fleißiger arbeiten

In komplexen, sich stetig wandelnden Umgebungen geht es nie darum, viel zu tun. Es geht darum, das Passende zu tun. Für das intelligente Modulieren von Systemdynamiken muss man sich vom traditionellen Bild des fleißigen Arbeitens also trennen und sich stattdessen mit wirksamen Denkweisen vertraut machen.

Nie hausgemacht

Wirksame Denkweisen für den erfolgreichen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik kommen praktisch nie aus dem Hausverstand. Sie sind niemandem angeboren und decken sich nicht mit der eigenen Intuition. Sie kommen aus der Wissenschaft. Sie verunsichern anfangs, verwirren oft und machen manchmal Angst.  

Wahrnehmungsverzerrung und Denkfehler

Was die Wissenschaft der breiten Bevölkerung u.a. voraus hat, ist das Bewusstsein für Denkfehler und Wahrnehmungsverzerrungen. Mögliche Fehler werden daher als Regel und nicht als Ausnahme betrachtet. Wissenschaftliche Methoden dienen der nötigen Fehlerintelligenz, um den Tatsachen auf die Spur zu kommen.

Selbstprüfung

Um wissenschaftlich zu denken, darf man von seinem eigenen Denken nicht ohne weiteres überzeugt sein. Man muss sich ständig selbst kritisch, ja oft sogar feindlich gegenüberstehen und immer wieder prüfen, ob man irrt. Führungskräfte, die sich in allen(!) Situationen und Umgebungen bewähren, machen genau das.

Persönlichkeitsentwicklung

Für mich war das Erlernen wissenschaftlicher Denkweisen und Methoden, insbesondere der systemwissenschaftlichen, im reinsten Sinne des Wortes Persönlichkeitsentwicklung. Es war und ist die Arbeit am Umgang mit der eigenen Phantasie, dem eigenen Ego, Glauben, Bewusstsein, Dasein und mit der Welt.

Von Irrtümern ausgehen, um Irrtümer abzubauen

Es liegt in der Natur der Wissenschaft, dass auch sie nicht alles weiß, wissen kann und nicht alles stimmt und funktioniert, was sie hervorbringt. In der Wissenschaft selbst weiß man das. Deshalb steht hier an erster Stelle WIE man denkt und WIE man Ergebnisse prüft und nicht WAS man denkt. Mehr dazu aktuell in Scobel auf 3sat.

Wissenschaft sucht Freunde

Das Bewusstsein über wissenschaftliche Strategien, Fakten zu finden, ging in der Gesellschaft durch die vom Bologna Prozess ausgelöste Verschulung an den Universitäten schon viel zu weit verloren. Der Zweck der Wissenschaft ist, der Gesellschaft bei der Klärung und Lösung komplexer Probleme zu dienen. Wissenschaftler aller Welt laden Sie dazu ein, im Rahmen des March for Science am 22. April darauf aufmerksam zu machen. Aktuell halten weltweit rund 430 Universitätsstädte diesen March ab. Auch in Wien können Sie die Gelegenheit nutzen, um mit Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen. Hier können Sie dieses Engagement unterstützen. Sehen wir uns dort? Schreiben Sie mir, wenn Sie mich dort treffen möchten.

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche kybernetische System-Modelle und Denkwerkzeuge für den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens in Wien stattet und bildet sie Führungskräfte sowie interne und externe Experten aus, die in Unternehmen und Institutionen komplexe Situationen professionell meistern müssen.

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?
Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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