Ich kenne mich immer weniger aus…

Management im Kopf: Folge 52. Komplexität meistern. Warum es nicht egal ist, mit welchem Deutungsrahmen man das Thema „Komplexität“ im Management behandelt.

Eine Orientierungshilfe für gute Aussichten. In ihrer Kolumne „Management im Kopf“ führt Maria Pruckner in die System Sciences als wichtigste Leitwissenschaft für das Problemlösen und Managen im 21. Jahrhundert ein.

Mit dieser Nummer feiert "Management im Kopf" Jahrestag. Ein geeigneter Anlass für einen Beitrag, den sich viele Leser wünschen, die mir im vergangenen Jahr geschrieben haben, sie würden sich umso weniger auskennen, je mehr sie über den Umgang mit Komplexität im Management lesen. Zuerst möchte ich diesen Lesern gratulieren. Dass ihnen ihre Verwirrung bewusst ist, ist ein deutliches Indiz dafür, dass sie noch nicht in der Komplexitätsfalle stecken. Denn abgesehen davon, dass komplexe Verhältnisse an sich Verwirrung auslösen, kann ein gesunder Geist auf die herrschende Diskussion zu diesem Thema nur verwirrt reagieren.

Komplexität in der Alltagssprache

Der Begriff Komplexität stammt vom lateinischen complexus ab. Er bedeutet verflochten, verwoben. Nun kann man etwa an Drähte denken, die zweckmäßig geordnet zu stabilen Maschendrahtzäunen verwoben sind, an völlig chaotische Kabelsalate oder an Organismen und Organisationen, in denen alles mit allem wechselwirkt.

Komplexität als Fachbegriff

In den Systemwissenschaften meint man mit Komplexität die speziellen Eigenschaften komplexer Systeme, die für das Vermeiden und Lösen von Problemen entscheidend sind. Hier zeigt der Begriff an, was für nachhaltig erfolgreiche Lösungen im Wirkgefüge komplexer Systeme systematisch berücksichtigt werden muss.

Fehlinterpretationen

Ignoriert man nun diesen systemwissenschaftlichen Kontext, aus dem die Diskussion über Komplexität im Management ursprünglich hervorkommt, entsteht rasch der Eindruck, Komplexität wäre eine Sache für sich, die sich irgendwo befindet, irgendwo irgendwelche Probleme macht und die man daher irgendwie beseitigen muss.

Meinungsvielfalt

Management ist auf der ganzen Welt Meinungssache. Es ist leider keine Fachdisziplin, die zum Anwenden klar definierter fachlicher Standards verpflichtet. Das erlaubt, dass auch sorgfältigst entwickelte wissenschaftliche Ansätze rasch in beliebige Meinungen abgewandelt und damit bis zur Unkenntlichkeit verfälscht werden.

Wie die Komplexität ins Management kam

Ursprünglich kam der Begriff Komplexität mit Stafford Beer und Hans Ulrich aus folgender Überlegung ins Management: Alles, was Management erforderlich macht, ist von Natur aus komplex. Um komplexe Probleme und Systeme in den Griff zu bekommen, braucht es daher verlässliche systemwissenschaftliche Grundlagen.

Systembezug - Bezugssystem

Konsequente Anwender der Systemwissenschaften im Management betrachten Organisationen als komplexe Systeme. Sie zielen auf deren zweckmäßige Organisation ab und nutzen dafür die naturgegebene höhere Ordnung, die in den besonderen Eigenschaften komplexer Systeme steckt, für höhere menschliche Lösungen.

Einfach – aber extrem komplex

Was man sich darunter vorstellen kann, wird in der modernen Technologie viel deutlicher als man es im Management beobachten kann. Hinter toll funktionierenden Robotern etwa, die höchst einfach zu bedienen sind, steckt enorme Komplexität – höchst präzise anhand systemwissenschaftlicher Erkenntnisse organisiert.

Die Lehre höherer Ordnung

Dank der Systemwissenschaften kann man heute wissen, dass in komplexen Systemen unüberwindbare Prinzipien höherer Ordnungen stecken, die man nicht verändern, aber intelligent nutzen kann. Hält man sich an diese Prinzipien, verschwinden Probleme. Ignoriert man sie, entstehen hingegen Probleme.

Legitimität für „Komplexität“

In unserer Gesellschaft herrscht sinnvollerweise Meinungsfreiheit. Man darf verschiedenste Meinungen über Komplexität haben und verbreiten. Es wird aber auch niemand dazu gezwungen, jede Meinung als bare Münze zu nehmen. Es hilft in Sachen komplexer Systeme aber auch reichlich wenig, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Wissen über komplexe Systeme

Das heutige Wissen über komplexe Systeme basiert auf jahrzehntelanger Forschung einer internationalen Wissenschaftsexzellenz, in einem dafür geeigneten Rahmen, mit einem Vermögen an Geld. Keinem Einzelnen stehen solche Rahmenbedingungen zur Verfügung, in denen er noch bessere Erkenntnisse gewinnen könnte.

Der Nutzen der systemwissenschaftlichen Sichtweise

Bezieht man sich mit Komplexität auf die spezielle Natur komplexer Systeme, und zwar in derselben Konsequenz, mit der sich etwa Physiker auf die Eigenschaften von Energie und Materie beziehen, macht man sehr rasch die Erfahrung, dass komplexe Systeme von Natur aus faszinierend einfach und ökonomisch ticken.

Wie das Funktionieren funktioniert

Während Fachwissenschaften wie die Physik, Biologie oder Rechtswissenschaften erklären, wie etwas Bestimmtes funktioniert, erklären die Systemwissenschaften, wie das Funktionieren an sich funktioniert, was also hinter allem Funktionieren steckt und beim Funktionieren von allen und allem vor sich geht.

Gesetzmäßigkeiten

Die „Diamantengrube“, aus denen die Systemwissenschaften schürfen, ist – ähnlich wie die der Quantenphysik – eine bis heute nicht identifizierte Quelle. Das heißt, wir kennen zwar die naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten des Funktionierens, aber wir wissen (noch) nicht, weshalb sie so funktionieren. Das ist aber auch gar nicht nötig.

Die Kernphänomene des Gelingens und Misslingens

Wir wissen auch, wovon das Funktionieren, Gelingen oder Misslingen von etwas abhängt: von den Phänomenen Information, Kommunikation, Steuerung und Regulierung. Erfolgsentscheidend ist allerdings auch hier, dass man konsequent im systemwissenschaftlichen Deutungsrahmen mit den jeweiligen Begriffen arbeitet.

Ein grundlegendes Wirkungsprinzip für alle und alles

Alles, was mit dem Entstehen, der Manifestation oder Verwirklichung von etwas zu tun hat, lässt sich auf dieselben Wirkungsweisen von Information, Kommunikation, Steuerung und Regulierung zurückführen. Und zwar bei Systemen jeder Art in der lebendigen Natur, der Technik und ihren Mischformen in Unternehmen.

Nicht dümmer als die Natur

Problemlösen und Managen wird ziemlich konfliktarm, einfach und erfolgreich, wenn man diese Wirkprinzipien richtig versteht und nutzt. So einfach und erfolgreich, wie sich das Anwenden der Physik in der Technik und im Alltag erweist. Es ist ein Arbeiten mit der Natur der Dinge, als Alternative zu beliebigen Meinungen über sie.

Was kann das System?

Die Komplexität eines Systems ergibt sich im Kontext der Systemwissenschaften daraus, was ein System alles kann. Erst wenn es aufgrund seiner Bau- und Funktionsweise mehr verschiedene Ereignisse und Zustände hervorbringen kann, als man zählen oder errechnen kann, spricht man von einem komplexen System.

Systemwissen allein genügt nicht

Die Wirkmöglichkeiten der verschiedensten Elemente in Systemen, die über das Können des Ganzen entscheiden, kann man jedoch nicht mit den relevanten systemwissenschaftlichen Erkenntnissen allein korrekt beurteilen. Man braucht auch das Wissen über die jeweiligen Elemente aus den entsprechenden Fachgebieten.

Selbststeuerung und Selbstregulierung

Komplexe Systeme steuern und regulieren sich selbst, deshalb leben zum Beispiel gesunde Menschen „von selbst“. Der Antrieb komplexer Systeme ist intrinsischer und nicht extrinsischer Natur. Nicht der Input prägt den Output, sondern die Kommunikationsstruktur und Signalverarbeitung – kurz die Lernfähigkeit des Systems.

Das Unbekannte zwischen In- und Output

Aufgrund der intrinsischen Steuerung und Regulierung bleibt bei komplexen Systemen verborgen, was zwischen Input und Output vor sich geht. Man muss es sich vorstellen. Der verwendete Deutungsrahmen spielt nun dabei die erfolgsentscheidende Rolle, was dabei herauskommt: zielführende Erkenntnisse oder Humbug.

Das Bekannte zwischen In- und Output

Im Rahmen der Systemwissenschaften wurden und werden die Vorgänge zwischen Input und Output so weit erhellt, dass man komplexe Probleme und Aufgaben auf höchst logische, klare, einfache, ökonomische und nachhaltige erfolgreiche Weise deuten und lösen kann.

Vorhersagbarkeit

Die als valide bewerteten Theorien der Systemwissenschaften erlauben Vorstellungen von den Vorgängen zwischen Input und Output, die den Tatsachen entsprechen. Sie erlauben daher auch Vorhersagen mit höchster Wahrscheinlichkeit, was gelingen kann bzw. wird und was nicht. Man erspart sich viele kostspielige Versuche.

Was not-wendig ist

Nötig ist dafür nur, den systemwissenschaftlichen Deutungsrahmen korrekt zu erlernen und konsequent anzuwenden. Wofür beliebigste Komplexitäts-Deutereien gut sind, überlasse ich Ihnen selbst, zu beurteilen. Im ersten Beitrag dieser Kolumne finden Sie Ausführlicheres über typische Missverständnisse und echte Chancen.

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche kybernetische System-Modelle und Denkwerkzeuge für den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens in Wien stattet und bildet sie Führungskräfte sowie interne und externe Experten aus, die in Unternehmen und Institutionen komplexe Situationen professionell meistern müssen.

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?
Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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