Keine Ursache!

Management im Kopf: Folge 59. Komplexität meistern – Selbstführung. Warum die Ursachensuche den erfolgreichen Umgang mit hoher Komplexität verhindert.

Wer Komplexes meistern will, muss bei der Selbstführung beginnen. Aktuell bringt Maria Pruckner in ihrer Kolumne "Management im Kopf" dazu Anregungen auf der Basis verlässlicher Erkenntnisse aus den Systemwissenschaften.

Wie halten Sie es bei komplexen Angelegenheiten mit der Ursachensuche? Ich frage das, weil sie die Quelle vieler Probleme ist. Bei komplexen Verhältnissen gibt es nicht den oder das, dem bzw. das man die Schuld geben kann. Die Hauptwirkkraft komplexer Systeme ist nie eine Ursache, sondern Emergenz. Es wirken immer alle und alles zusammen. Dazu leisten alle und alles ihre Beiträge, indem sie etwas tun oder nicht tun, mitteilen oder nicht mitteilen, usw. Diese Impulse können winzig sein, aber enorme Auswirkungen haben, oder gigantische Kraftakte, die völlig wirkungslos bleiben – ob ganz in der Nähe oder weiter weg. Ein paar weitere Anregungen zur Selbstreflexion und Selbstführung.

Warum, warum, warum?

Warum segnet jedes Tier, jede Pflanze irgendwann das Zeitliche? Warum muss jeder Mensch sterben? Warum lebe ich überhaupt? Warum gibt es die Welt? Wenn Kinder bei allem nach dem Warum fragen, dann wollen sie wissen, wie die Dinge, Lebewesen, Welt und das Leben funktionieren. Sie suchen mit ihrem WARUM nach Erklärungen. Die Ursachensuche, die ich hier anspreche, bezieht sich hingegen auf bestimmte Auslöser bestimmter Wirkungen. Die Erklärungen für die Zustände, Ereignisse und Wirkungen in einer komplexen Welt finden Sie in den validen Theorien der Systemwissenschaften, die in dieser Kolumne vorgestellt wurden. Es ist sinnvoll, nach passenden Erklärungsmodellen zu suchen, anstatt nach Ursachen, denen man die Schuld geben kann.

Warum ist mein Chef mein Chef?

Könnten Sie die wahre Ursache nennen, weshalb Ihr Chef Ihr Chef ist oder Ihre Chefin Ihre Chefin? Kommt jemand mit seiner Führungskraft nicht klar, werden hierfür gerne ursächliche Vermutungen oder Behauptungen angestellt. Selbstverständlich hat dies irgendwann irgendwer so entschieden. Die Ursache dafür kennen aber auch die Entscheider nicht. Sie haben zwar Erklärungen dafür, sich mit deren Ursachen auseinanderzusetzen, führt aber nur in Spekulationen. Die sichere Antwort gibt es dafür nicht. Sinnvoller ist es, die Ursache dafür, wer einem vorgesetzt ist, in der eigenen Zukunft zu suchen: Der Chef/die Chefin ist Ihnen vorgesetzt, weil Sie an dem Arbeitsplatz arbeiten, an dem Sie arbeiten. Sie selbst haben sich Ihre Führungskraft ausgesucht und Sie können sich wieder von ihr trennen. Sie müssen nur den Job wechseln.

Warum ist mein Chef so blöd?

Sicher gibt es nicht nur hervorragende Vorgesetzte, aber auch nicht nur hervorragende Mitarbeiter. Vorgesetze fällen auch Entscheidungen, die so manchem unverständlich sind. Wenn man sie nicht versteht, bedeutet das aber noch lange nicht, dass die Führungskräfte dumm sind. Oft basieren Entscheidungen, die man nicht nachvollziehen kann, auf wichtigen Überlegungen professioneller Unternehmensführung. Vorgesetzte müssen nicht - und dürfen oft auch gar nicht - alles begründen, was sie entscheiden. Das ist kein Grund für haltlose Spekulationen oder das Verbreiten von Gerüchten bis hin zu Verschwörungstheorien. Vorgesetzte entscheiden wie sie entscheiden und haben das auch zu verantworten. Suchen Sie nicht nach Ursachen, bloß weil es so gut tut, einen Grund nennen zu können. Fragen Sie sich stattdessen, was besser davon wird, wenn Sie das Betriebsklima mit haltlosen Meinungen vergiften.

Warum ist mein Job so sinnlos?

Nicht jeder Job ist der Traumberuf, nicht jede Aufgabe ein Hobby. Besonders wenn man geistig arbeitet, wird oft lange oder gar nichts von den eigenen Ergebnissen oder Erfolgen sichtbar. Das kann zermürben. Wer wissen muss, wofür er selbst die Ursache war, dem kann die eigene Arbeit bald sinnlos erscheinen. Das ist trotzdem kein guter Grund, nach den Ursachen zu suchen, die von einem selbst gekommen sind. Das macht nur kirre. Besser ist es, sich schon lange bevor man eine erste Führungsposition einnimmt, in Sachen solider Unternehmensführung schlau zu machen. Der Wert der eigenen Beiträge wird rasch klar, wenn man verstanden hat, wovon der Erfolg eines Unternehmens tatsächlich abhängt. Nur der professionelle Blick auf diese Fragen verleiht heute noch sicheren Boden unter den Füßen.

Warum ist meine Arbeit so mühsam?

In vielen Unternehmen und Institutionen läuft es schon lange nicht mehr rund. Das Arbeiten ist für viele so anstrengend geworden, dass sie kaum noch Kraft für ein gelungenes Privatleben haben. Bezahlt wird man für Arbeit in der Regel, weil sie mühsam ist. Qual sollte sie aber keine sein. Ist sie es, hilft auch hier die Suche nach Ursachen nicht weiter. Besser ist die Frage: Wie müssen wir unsere Arbeit organisieren, damit sie rasch, effektiv und effizient läuft? Ja, dieses Problem können Sie nicht alleine lösen. Sie können sich auch nicht darauf verlassen, dass Sie anderswo bessere Arbeit finden. Hindert Sie das daran, sich laufend mit optimaler Organisation auseinanderzusetzen? Die tatsächliche Organisation eines Betriebs kommt nicht von oben. Sie kommt von jedem Einzelnen. Fangen Sie damit an, sie mit Ihren eigenen Beiträgen zu verbessern.

Warum gehen mir Kollegen auf die Nerven?

Es gibt nur ein soziales Umfeld, das man sich nicht aussuchen kann: die Verwandtschaft. Ansonsten haben Sie die Wahl, mit wem Sie sich umgeben. Mit Ihrem Job haben Sie sich auch Ihre Kollegen ausgesucht. Wenn der eine oder andere nervt oder alle nerven, hilft auch hier die Frage nach dem WARUM nicht. Schon gar nicht, wenn Sie die Ursache bei Ihren Kollegen sehen. Besser ist es, sich um die eigenen Nerven zu kümmern - damit hauszuhalten, worüber man sich aufregt und worüber nicht. Ich selbst komme aus einem Beruf, in dem es zum Berufseid gehört, allen Menschen ohne Ansehen der Person nach den gleichen professionellen Maßstäben zu Diensten zu sein. Das hilft ungeheuer, einen kreativen und konstruktiven Umgang mit schwierigen Menschen zu entwickeln. Systemwissenschaftliche Prinzipien, wie sie hier vorgestellt werden, helfen dabei besonders gut.

Warum muss ich mir alles gefallen lassen?

Manchmal hat man es mit Menschen zu tun, die sich einem selbst gegenüber eindeutig zu viel herausnehmen, und denen man, weil sie in der besseren Position sind, keine Grenzen setzen kann. Sagen Sie sich dann, dass Sie sich von dieser Person alles gefallen lassen müssen, setzen Sie eine kontraproduktive Ursache in Ihren Kopf, die es gar nicht gibt. Man kann in Situationen geraten, in denen man in der Tat zu viel schlucken muss. Aber auch dann ist es besser, ein Ziel statt einer Ursache vor Augen zu haben. Das Ziel, weshalb man viel mehr hinnimmt als zumutbar ist, ist schlicht und ergreifend, Eskalationen oder noch Schlimmeres zu vermeiden. Das Ziel ist eine Ursache, die in der Zukunft liegt. Die Zukunft vor Augen zu haben, ist besser als mit der Vergangenheit zu kämpfen. Die Vergangenheit lässt sich nicht verändern, die Zukunft schon.

Warum ist die Welt so schlecht?

Ältere können sich noch erinnern, viele Jüngere können es sich gar nicht vorstellen, dass hinter uns Zeiten liegen, in denen das Leben, Arbeiten, Benehmen und Verhalten der meisten Menschen angenehmer war. Die Stimmung ist düster geworden, wir leben längst wie in einem Kriegszustand. Damit meine ich nicht nur die neuen Kriegsformen durch Terror, sondern vor allem den Krieg gegen die Natur komplexer Systeme. Den Krieg gegen sich selbst. Den Krieg gegen den Umstand, dass eine global digital vernetzte Welt nun einmal anders tickt als eine Welt, in der es nur Telefonkabel, Radio- und TV-Antennen mit öffentlich-rechtlichen Sendern gab. In der Vergangenheit wurde ein globales, gigantisch komplexes System geschaffen. Die Frage nach dem Warum hilft nicht weiter. Besser ist die Frage: Wie gehe ich mit hochdynamischer Komplexität konstruktiv um?

Welche Probleme habe ich heute gelöst?

Selbstverständlich kann man sich für ein besseres Leben halbtot arbeiten. Besser wird es davon nicht. Die Wirklichkeit wird so wie man über sie denkt und spricht. Warum verändere ich mein Denken nicht? - wäre wieder die Ursachen-Frage. Dafür kann man so viele Erklärungen in der Hirnforschung finden, wie man suchen will. Aber auch vom Hirn wird man die eindeutigen Ursachen für dies oder das nicht finden. Dazu ist es an sich viel zu komplex und die Menschen und ihre Situationen viel zu verschieden. Auch hier hilft das Prinzip, in Designs zu denken, weit mehr: Ich verändere mein Denken so, dass ich Probleme nicht nur besprechen sondern tatsächlich lösen kann. So beginnt man, ergebnisorientiert zu denken. So beginnt man, sich weiterzuentwickeln. Daran erinnert wirksam ein Plakat über dem Bett mit der Frage: Welche Probleme habe ich heute gelöst?

Warum gilt das Ursache-Wirkungsmodell für Komplexes nicht?

Warum gilt das Ursache-Wirkungsmodell für Komplexes nicht? Auch dafür gibt es keine Ursache, aber eine ganz einfache Erklärung: Weil es nicht hilft. Es ist nicht verboten. Es hilft bloß nicht. Es schafft Probleme anstatt sie zu lösen. Man lernt einen Computer nicht bedienen, wenn man dafür die Gebrauchsanleitung eines Kaugummiautomaten studiert. Man lernt schwerkranke Menschen nicht heilen, wenn man die Lehre zum KFZ-Mechaniker macht. Man kann komplexe Probleme nicht lösen, wenn man dem Ursache-Wirkungsmodell folgt. Aber es gibt ein uraltes Prinzip aus der hohen Strategiekunst, mit dem man sich das Suchen nach Ursachen nachhaltig erfolgreich abgewöhnen kann: Das ist die Frage nach Zwecken und Zielen. Der Zweck ist der Nutzen von etwas. Das Ziel sind die Mittel, die man braucht, um den Nutzen zu verwirklichen. Das Ziel ist das, was man gewinnen muss, um einen Zweck zu erfüllen. Denken Sie darüber nach. Fragen Sie danach.

Maria Pruckner entwickelt seit 1992 verlässliche kybernetische System-Modelle und Denkwerkzeuge für den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik. Als Beraterin, Trainerin und Coach auf diesem Gebiet gehört sie weltweit zu den am längsten dienenden Problemlösern in der Praxis. Sie arbeitet stark vernetzt mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im Rahmen ihres Unternehmens in Wien stattet und bildet sie Führungskräfte sowie interne und externe Experten aus, die in Unternehmen und Institutionen komplexe Situationen professionell meistern müssen.

Wie geht es Ihnen mit dem Meistern von Komplexität?
Schreiben Sie Ihre wichtigste Frage an Maria Pruckner.
Sie wird darauf eingehen.

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