Mut zur Faulheit - Ein Antifalten-Programm

Management im Kopf: Folge 70. InForMent. Komplexität und Führung: Wie Führungskräfte einen klaren Kopf bekommen und bewahren.

Unternehmen und Institutionen sind hochkomplexe Systeme. Kann man sie überhaupt führen? Und wenn ja, wie? Aktuell bringt Maria Pruckner in ihrer Kolumne MANAGEMENT IM KOPF dazu Anregungenauf der Basis ihrer langjährigen Erfahrung mit der praktischen Anwendung verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften.

Vergangene Woche fand das Philosophicum Lech 2017 statt. Thema des Jahres: Mut zur Faulheit. Es ging um ziemlich viel Denkbares zwischen Arbeit und Nichtstun. Das auf höchstem Niveau, in aller Dichte, von der griechischen Antike bis zu den potenziellen Zukünften, von Vertretern unterschiedlichster Fakultäten, durchaus kontrovers und komplex abgehandelt und diskutiert. Das erste Ergebnis dieser fruchtbaren Auseinandersetzung: Ich war zu faul, einen Beitrag für diese Kolumne zu schreiben. Daher diesmal schnell aus dem Ärmel geschüttelt und mit einem Augenzwinkern verfasst, ein praktisches Beispiel für eine grobe Systemstudie, die auf ein faltenfreies Denken hinausläuft.

Eine Systemstudie über glatte Stirnen

Pure Faulheit steckt selbstverständlich auch hinter meiner Begeisterung, valide Systemwissenschaften für das Problemlösen, Managen und Führen anzuwenden. Ich war und bin zu faul, mich mit weniger klaren und verlässlichen Theorien in der Praxis zu plagen. Das prägt einen natürlich mit den Jahren. Man entwickelt zum Beispiel deutlich weniger Stirnfalten als viele Altersgenoss(inn)en. Das brachte mir vorletzte Woche, an einer Veranstaltung für weibliche Führungskräfte, einen schweren Verdacht ein. Eine Dame erklärte mir, es sehe ziemlich eindeutig danach aus, dass ich meine Stirne mit Botox glätten lassen würde. Sie glaube mir nicht, dass dies nicht so sei. Ein schöner praktischer Vorfall für eine grobe Systemstudie über faltenfreie Stirnen, wie sie in dieser Rubrik gerade noch unterzubringen ist.

Gesichter - plaudernde Systeme

Es ist unter dem Einfluss von massivem Marketing für Botox natürlich schwierig, bei faltenfreien Gesichtern nicht gleich an eines der gefährlichsten Nervengifte der Welt zu denken. Für eine schnelle Systemuntersuchung kann man aber auch beim hochanständigen Mediziner, dem Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer ansetzen: „Mit 20 hat jeder das Gesicht, das Gott ihm gegeben hat, mit 40 das Gesicht, das ihm das Leben gegeben hat, und mit 60 das Gesicht, das er verdient.“ Dahinter steckt das kybernetische Gesetz der Zirkularität: Jeder Wirkung folgt eine Rückwirkung. Dass Systeme viel über sich selbst verraten, habe ich hier ja schon vor kurzem erwähnt. Die Aktivitäten der Gesichtsmuskel zeichnen früher oder später Falten ins Gesicht, die viel über Menschen erzählen.

Man betrachte die Systemgeschichte

Komplexe Systeme entwickeln sich abhängig von ihrer Geschichte. Ein Blick zurück auf meine eigene: Über den Botulismus (eine Lebensmittelvergiftung durch das „bo-toxische“ Nervengift, die ohne rechtzeitige Behandlung tödlich verlauft), habe ich bereits mit 16 in meiner Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege gelernt. Ziemlich eindrücklich ist mir davon u.a. bis heute in Erinnerung, dass man sich Botulinumtoxine keinesfalls zuführen sollte und schon gar nicht freiwillig. Hinzu kommt meine mehrjährige Tätigkeit an einer international renommierten Universitätsklinik für Dermatologie. Dort gewöhnt man sich auch den Glauben an Kosmetika schnell ab.

Was passiert bei Fehlern im System?

Die Qualität komplexer Systeme lässt sich schnell erhellen, wenn man das vorhandene Fehlerpotenzial und Verhalten bei Fehlern untersucht. Unter anderem blicke ich auch auf viel Praxis mit Reanimationen zurück. Gelangt Botox unglücklicherweise in die Blutbahn, führt es rasch zu Atemlähmung und Herzstillstand, wird nicht sofort eine künstliche Beatmung eingeleitet und das Gegengift verabreicht. Dem Entstehen und Bewältigen von Fehlern in medizinischen Einrichtungen habe ich viele Jahre meines Berufslebens gewidmet. Niemals würde ich daher davon ausgehen, dass beim kosmetischen Einsatz von Botox niemals eine zu hohe Dosis in die Blutbahn geraten könnte. Ich würde es niemals darauf ankommen lassen, von  Ärzten, die sich dem kosmetischen Einsatz von Botox widmen, reanimiert zu werden, weil ich davon ausgehe, dass diese zu wenig Gelegenheit haben, sich oft genug in ihren Reanimationskünsten zu üben.

Von der Ruhe im Gesicht

An sich verlangen die Arbeit mit Patienten sowie alle medizinische Tätigkeiten permanent ausreichend hohe Konzentration. Dies unter dem Ausblenden eigener Stimmungen und Befindlichkeiten, also unter ziemlich ausgeprägter Selbstvergessenheit. Das führt zu einer ziemlich ruhigen Mimik. Diese führt zu deutlich weniger Falten im Gesicht. Noch viel früher in meiner Geschichte liegt das Porträtzeichnen, unter dem Umstand, dass dreidimensionales Sehen nicht gerade zu meinen Stärken gehört. Mir half und hilft jede Falte im Gesicht eines Menschen, die charakteristischen Licht- und Schattenspiele seines Antlitzes so auf Papier zu bringen, dass mir meine Porträts entsprechende Anerkennung einbringen. Zeichne ich Gesichter mit wenigen Falten, sehen diese aus wie Mondgesichter. Falten im Gesicht haben also Vor- und Nachteile.

Das Verräterische der Falten

In der Tat verraten besonders die Stirnfalten und die Züge um den Mund meistens das meiste: Die berühmten Falten zwischen den Augenbrauen durch viel Ärger oder sehr angestrengte Konzentration. Die Querfalten auf der Stirne vom Stirnrunzeln. Das ungeordnete Faltengewirr unregelmäßiger Quer- und Längsfalten, die viel über Irritation, Verwirrung, Glück und Unglück erzählen. Die verbittert oder verächtlich nach unten hängenden Mundwinkel von Menschen, die nicht gerade einladend wirken. Und die nach oben gerichteten Mundwinkel von Menschen, die viel öfter als andere lachen. Falten verraten nicht unbedingt etwas über das Alter. Aber sie verraten immer etwas über häufig vorkommende emotionale und geistige Vorgänge.

Ergebnisse prüfen

Zu einer soliden Systemuntersuchung gehört aber auch, sich nicht gleich mit den ersten Erkenntnissen zufrieden zu geben. Man überprüft, ob sie stimmen können. Zuerst habe ich nachgelesen, ob meine faltenarme Stirn das Symptom für eine beginnende Sklerodermie sein könnte. Bei dieser Krankheit kann man u.a. seine Stirne nicht mehr runzeln. Es liegt kein Grund zur Sorge vor. Ich habe aber auch überprüft – und da kam mir Lech gerade recht! - wie viele Falten heutzutage verdiente zeitgenössische Denker auf ihren Stirnen herumtragen. Bedeutsam wenige, kann ich Ihnen sagen, bedeutsam wenige.

Klares Denken verhindert Falten

Dass man die großen Philosophen der Antike nur mit vielen Falten kennt, könnte man heute vermuten, rührt viel weniger vom Denken her, als davon, dass diese bei viel schlechterem Licht als heute lesen und schreiben mussten. Die Herren und Damen der heutigen Philosophie fallen mit ausgesprochener Jugendlichkeit auf: Professorinnen mit knappen vierzig, die man auf sechsundzwanzig schätzen könnte, Professoren über sechzig, denen man auch vierzig abkaufen würde. Zugegeben, ich habe sie nicht gefragt, ob sie sich Botox spritzen lassen. Ich war nicht zu faul, aber zu feige. Ich fürchtete, damit würde ich mir zumindest geistige Kinnhaken einhandeln. Solche können bekanntlich schmerzhafter ausfallen als welche mit geballter Faust.

Wie man faltenfrei fühlt und denkt

Es geht also um die Frage, wie man möglichst lange faltenfrei fühlt und denkt. Das Rezept dafür ist ganz einfach, womit noch nicht gesagt sein soll, dass es auch leicht ist. Alles beginnt mit einem unvoreingenommen, erwartungsfreiem, aber höchst interessiertem Beobachten. Man nimmt das Beobachtete einfach so wie es kommt, ohne es gleich zu bewerten und zu beurteilen, ohne gleich emotional darauf zu reagieren. Das macht man, bis man sich einen ausreichend umfangreichen Überblick verschafft hat. All das geht ohne Stirnrunzeln, Zornesfalten, verächtlich oder angewidert nach unten oder amüsiert bzw. erfreut nach oben gezogene Mundwinkel. Zusätzlich hilft es, nur bei passendem Licht und mit sehr großen Bildschirmen zu arbeiten, und bei Sehschwächen aller Art rechtzeitig die aktuell nötigen Dioptrien nachzukaufen. All das macht das Beobachten weitaus weniger anstrengend. Ebenso hilft der häufige Aufenthalt in ruhigen Umgebungen. Das schont das Gehör für gutes und langes Zuhören.

Konzentration ohne zu große Anstrengung

Hat man einen guten Überblick, stellen fundierte Theorien zur Untersuchung und Beurteilung der Situationen das erfolgreiche faltenfreie Arbeiten sicher. Diese steuern die Aufmerksamkeit auf das Entscheidende. Das erleichtert die Konzentration erheblich und macht Konzentrationsfalten unnötig. Zudem kommt im hohen Tempo so viel Klares und Fruchtbares dabei heraus, dass man oft lachen oder lächeln muss. Das zieht die Mundwinkel nach oben und glättet die Stirne ungemein. Ohne valide Systemwissenschaften kommt es bei komplexen Angelegenheiten meist rasch zu Verwirrung, Orientierungslosigkeit und damit zu starkem Faltenwurf im Gesicht. Ich empfehle sie daher als die wichtigste und wertvollste Erleichterung für die heutige Zeit, mit erwünschten kosmetischen Nebenwirkungen.

Was unter den Tisch fällt

So richtig professionell wird eine Systemuntersuchung aber erst, wenn man nach alldem sucht, was in einem System nicht passiert. Die Dame, die mich des Botox-Konsums verdächtigt hat, hätte zum Beispiel danach fragen können, weshalb meine Falten um die Augen und den Mund nicht mit Botox weggelähmt sind. Auch, weshalb ich mein graues Haar nicht färbe, das immerhin schon seit 1990 so grau ist wie heute. Das allein schon hätte sie auf die Idee bringen können, dass es mir kein Anliegen sein kann, jugendlicher zu wirken als ich bin. Ganz im Gegenteil, mir war es immer das größte Anliegen, alt und weise zu werden. Das verlangt einen gewissen Mut zur Faulheit, der da besonders in komplexen Sachen verlangt, weniger seine eigenen Erkenntnisse als solide und valide Theorien für sich arbeiten zu lassen…

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner
Maria Pruckner

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

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