Veränderung im System - Veränderung des Systems

Management im Kopf: Folge 71. InForMent. Komplexität und Führung: Der 4Z–Kompass als einfache Orientierungshilfe.

Unternehmen und Institutionen sind hochkomplexe Systeme. Kann man sie überhaupt führen? Und wenn ja, wie? Aktuell bringt Maria Pruckner in ihrer Kolumne MANAGEMENT IM KOPF dazu Anregungenauf der Basis ihrer langjährigen Erfahrung mit der praktischen Anwendung verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften.

Betrachtet man die Auseinandersetzungen mit Veränderungen in Unternehmen und Institutionen, zeigt sich, dass meistens von Veränderungen in (!) diesen die Rede ist. Betrachtet man die Situation der letzten zwei Jahrzehnte aus systemwissenschaftlicher Perspektive, sieht das Ergebnis völlig anders aus. Es finden massive Veränderungen der (!) Systeme statt, in denen Betriebe und Einrichtungen stecken; Veränderungen, die nicht von internen sondern von externen Faktoren ausgehen. Professionelle Führungskräfte müssen diesen Unterschied erkennen, und wissen, wie sie adäquat darauf reagieren können.

Was ist eigentlich ein System?

Von einem System spricht man allgemein, wenn es um einen Komplex von Elementen/Faktoren geht, deren Zusammenwirken zu bestimmten Zuständen und Ereignissen führt. In den Systemwissenschaften (insbesondere in der Kybernetik, die sich auf komplexe Systeme konzentriert, die Zwecke erfüllen und Ziele verfolgen), hat man dabei ein bestimmtes Modell vor Augen: Eine operierende Einheit – zum Beispiel ein Unternehmen, das mit einer Umwelt in einer Austauschbeziehung steht  – zum Beispiel mit einem Markt und wirtschaftspolitischen Umfeld, sowie die Phänomene, die für die Steuerung und Regulierung dieser Austauschbeziehung verantwortlich sind.

Das ganze Wirkgefüge

Systeme enden aus dieser Perspektive also nicht an den Mauern einer Firma. Die systemrelevante Umwelt spielt für jeden Erfolg eine mächtige Rolle. In den jüngsten Jahrzehnten treten hier rasante technische Fortschritte der Artificial Intelligence, Robotik und Automatisierung hervor, zuvor das Internet, zuvor der Computer. Ebenso aber auch immer wieder schwierige und heikle außen- und innenpolitische Situationen, ein unübersehbarer Kulturwandel in der Gesellschaft, völlig andere Kundenerwartungen als früher, sowie die Vorgänge in den Rohstoff-, Energie- und Finanzmärkten. Für Führungskräfte gilt allen voran, ihre Unternehmen an die relevanten Veränderungen in der Umgebung erfolgreich anzupassen.

Zuordnungen

Eine der wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang ist: Welche Elemente sind Teil des Unternehmens und welche Teil des Systems? Mitarbeiter zum Beispiel sind nicht Teil des Unternehmens, sie sind Teil des Systems. Sie kommen am Morgen in die Firma und gehen am Abend wieder nach Hause. Die Hardware eines Betriebs gehört hingegen zum Unternehmen, sofern sie gekauft und nicht nur gemietet ist. Die Software wiederum den Softwareanbietern, Unternehmen dürfen sie nur nutzen, sofern sie die Lizenzbedingungen erfüllen. Der Anteil an Einnahmen, der für öffentliche Abgaben vorgesehen ist, gehört zum Staat, ein anderer zu den Lieferanten und Mitarbeitern, die bezahlt werden müssen, erst der Rest gehört dem Unternehmen.

Steuerung und Regulierung

Zur Steuerung eines Betriebs gehören alle Inputs, die langfristig oder temporär Einfluss auf das Verwirklichen von Zwecken und Zielen des Unternehmens bzw. im Unternehmen beitragen sollen. Hierzu gehören u.a. die Vorstellungen und Erwartungen der Kunden, gesetzliche, fachliche und interne Vorschriften, die Aufträge von Kunden und Vorgesetzen, sowie sämtliche Nachrichten und Hinweise, die der Produktion, dem Vertrieb und der Verwaltung dienen bzw. die beste Leistung in diesen Bereichen behindern. Regulierung bedeutet hingegen, die Outputs laufend zu evaluieren und bei unerwünschten Outputs umgehend durch die Veränderung der Inputs eine Korrektur bzw. den nötigen Ausgleich herbeizuführen, bis der gewünschte Output eintritt.

Zuverlässigkeit

Die Hauptaufgabe von Führungskräften ist also, die erforderliche Zuverlässigkeit der nötigen Leistungen sicherzustellen. Zentral ist dabei die Funktion der Regulierung. Regulieren bedeutet dabei nicht, neue Regeln, Vorschriften oder Gesetze aufzustellen. Es bedeutet, für die nötigen Korrekturen der Steuerung zu sorgen. Mit anderen Worten geht es um Reaktionen auf Mängel, Fehler, Störungen, Unfälle und dergleichen, welche ein zuverlässiges, effektives und produktives Funktionieren herbeiführen. Die oberste Steuerungsaufgabe von Führungskräften ist in logischer Konsequenz, jede Art von Führung, die keine zuverlässigen Ergebnisse bringt, umgehend zu korrigieren. Das ist die Voraussetzung, um alle weiteren Bereiche führen zu können.

Zwecke und Ziele 

Bei aller Komplexität der heutigen Arbeits-, Wirtschafts- und Lebenswelt brauchen Führungskräfte dafür verlässliche Größen, an denen sie sich konstant orientieren können. Die beiden wichtigsten für einen nützlichen Blick auf komplexe Verhältnisse sind die Zwecke, die jeweils zu erfüllen und die Ziele, die jeweils zu erreichen sind. Anhand dieser beiden Größen lassen sich komplexe Situationen rasch und klar beurteilen. Die Frage nach dem Zweck könnte lauten: Hilft dieser Input/Beitrag/Output, den erwarteten Nutzen zu erzielen? Die zielbezogene Frage wäre hingegen: Hilft dieser Input/Beitrag/Output, jene Faktoren zu gewinnen (zum Beispiel Vertrauen, Wissen, Information oder Geld), um den erwarteten Nutzen bieten zu können?

3Z - Sinn der Arbeit

Es ist nicht besonders schwierig, die ersten drei Z – Zwecke, Ziele und Zuverlässigkeit - zu verfolgen. Vorausgesetzt, Führungskräfte sorgen dafür, dass die Zwecke und Ziele jeder einzelnen Tätigkeit klar sind und rasch genug adäquat an relevante Veränderungen angepasst werden. Daraus entsteht kurz gesagt, der Sinn der Arbeit, an dem Mitarbeiter heute mehr denn je interessiert sind. Eindeutig formulierte Zwecke und Ziele sind jedoch wirksamer als „Sinn“. Sie bieten allen Mitarbeitenden einer Einrichtung die nötige Orientierung zur Selbstreflexion und Selbstkontrolle, und allen Führungskräften eine solide Basis für das Unternehmen und seine Leistungsträger. Für eine klare Zweck- und Zielorientierung bei den Menschen zu sorgen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben jeder Führungskraft.

Viertes Z - Zirkularität

Das vierte Z spricht das Kernphänomen komplexer Systeme an: Zirkularität. Gemeint sind damit die von Natur aus vorhandenen und immer wirksamen Rückkoppelungen in jeder Austauschbeziehung. Sie bedeutet, dass alles, was jemand oder etwas tut, früher oder später, auf diese Person oder diesen Gegenstand zurückwirkt. Jede Wirkung, die erzielt wird, wirkt also auf jene Einheit zurück, welche diese Wirkung ausgelöst hat. Das passiert von der größten Systemebene zwischen Unternehmen und deren Umwelt bis zur winzigsten zwischen den einzelnen Neuronen in den Menschen. Wird dieses Phänomen klug genutzt, optimiert es das Verhalten sowie die Leistung ganzer Unternehmen und der einzelnen Menschen von selbst. Geschieht das nicht, passiert das Gegenteil. Dieses Phänomen ist für Führungskräfte von größter Bedeutung, aber noch kaum bewusst.

Veränderungen im und vom System

Zusammengefasst, muss die Aufmerksamkeit von Führungskräften permanent auf den Veränderungen im und auf Veränderungen vom System liegen. Von Veränderungen im System kann man sprechen, solange sich nur ein Verhalten verändert, aber die Steuerung und Regulierung des Systems unverändert bleibt. Eine Veränderung vom System tritt ein, wenn die Steuerung und Regulierung anders als bisher ist. Das wichtigste dabei ist, ob diese Veränderung aus der systemrelevanten Umwelt kommt, also zum Beispiel von Kunden, Mitarbeitern, Mitbewerbern, Lieferanten oder Gesetzen oder von der Unternehmensführung. Solche von der Unternehmensführung bleiben selten lange unbemerkt. Solche aus der systemrelevanten Umwelt können leicht übersehen werden, dennoch spielen sie die entscheidende Rolle.

Systemwandel

Die digitale Nachrichten- und Kommunikationstechnik hat in den letzten Jahrzehnten im rasanten Tempo einen fundamentalen Systemwandel herbeigeführt. Er hat die Welt der einzelnen Menschen, aller Unternehmen und Institutionen ziemlich schlagartig unendlich komplexer gemacht hat, als sie zuvor war. Davor bekamen Menschen zu ihren Fragen und Interessen ihre Hinweise nur aus wenigen, überschaubaren Quellen. Heute bekommen sie diese aus einer unerschöpflichen Vielfalt an Medien, Kanälen und Quellen aller Art. Die Einflussmöglichkeiten von Führungskräften haben durch den technischen Fortschritt also radikal abgenommen. Menschen führen bedeutet heute, permanent gegen den Strom zu schwimmen. Professionelles Management bedeutet dasselbe. Heute gilt in fast jeder Hinsicht das Gegenteil von dem, was früher erfolgreich war.

Die Konsequenzen

Mit dem Wandel von Systemen ist es ähnlich wie mit Moden. Stellen Sie sich vor, alle Menschen würden bislang lange Haare und Bärte tragen. Plötzlich sind aber glattrasierte Köpfe und Gesichter modern. Das wäre zwar ein radikaler, aber ziemlich einfacher Systemwandel. Haare und Bärte müssten bloß abrasiert werden, um sich rasch auf diese neue Mode umzustellen. Das wäre in ein, zwei Stunden erledigt. Völlig anders wäre es hingegen, wären plötzlich lange Haare und Bärte modern, während alle gerade noch Glatzen und glattrasierte Gesichter tragen. Das wäre ein Systemwandel, an den man sich nicht so leicht und schnell anpassen kann. So viele Jahre es braucht, bis auf glattrasierten Köpfen langes Haar wallt, so viele Jahre braucht es auch, bis man das Nötige für den aktuellen Systemwandel erkannt und gelernt hat. Die Aufgabe von Führungskräften ist es, diesen Lernprozessen voranzugehen und sie voranzutreiben.

Gegen den Trend

Aktuell ist der Trend aber noch ein anderer: Um angepasst zu wirken, werden (metaphorisch gemeint) Perücken und aufgeklebte Bärte getragen. Die nötige Kompetenz im professionellen Umgang mit hoch dynamisch-komplexen Systemen wird vielfach nur vorgetäuscht. Diese metaphorischen Perücken sind unpraktisch, unangenehm und sehen meist ein bissel wie lächerlich aus. Das Problem ist: Der fundamentale Systemwandel, in dem wir alle gerade stecken, ist leider keine Mode, die man mitmachen kann, aber nicht muss. Er ist im Grunde ein Naturereignis wie wir es zum Beispiel vom Wetter kennen. Man kann Regen ignorieren. Nass wird man trotzdem, auch wenn man weiterspaziert, als hätte sich nichts verändert. Die Aufgabe von Führungskräften ist es, dafür zu sorgen, dass die Naturereignisse hinter dem Geschehen von ihnen selbst und von den Menschen, für die sie verantwortlich sind, erkannt, verstanden und genutzt werden. Erforscht hat man sie in den Systemwissenschaften. Es gibt nichts, was man nicht wissen könnte. Es gibt nur viel zu lernen. Die Besten werden es tun. Die anderen könnten auf der Strecke bleiben. Das wäre ein eindeutiges Merkmal schlechter Führung.

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner
Maria PrucknerMaria Pruckner

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

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