Wie man den Wahnsinn des Dunning-Kruger-Effekts vermeidet

Management im Kopf: Folge 74. InForMent. Komplexität und Führung: Die zehn wichtigsten Gesetze

Unternehmen und Institutionen sind hochkomplexe Systeme. Kann man sie überhaupt führen? Und wenn ja, wie? Aktuell bringt Maria Pruckner in ihrer Kolumne MANAGEMENT IM KOPF dazu Anregungenauf der Basis ihrer langjährigen Erfahrung mit der praktischen Anwendung verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften.

„…Das mit dem Dunning-Kruger-Effekt ist ja ein Wahnsinn! Ich erlebe es genauso, wie Sie es beschrieben haben. Die Sicherheit für treffende Urteile und erfolgreiche Entscheidungen sitzen an der falschen Stelle! Offenbar ist der Misserfolg schon von Natur aus angelegt! Nun verändert sich das Wissen in unserer komplexen Welt extrem schnell, und es wird immer mehr. Ich kann ja nicht ständig alle Mitarbeiter in Schulungen schicken! Wie kann ich an der Führungsspitze den nachhaltigen Erfolg trotzdem sicherstellen!? …“ Um ihn hier unterzubringen, bringe ich diesen aufgebrachten Leserbrief nur ausschnittsweise und etwas umformuliert. Der Versuch einer kurzen Antwort sind meine Laws of InForMent.

Zweck und Ziel von Führung

Wie hier schon oft betont, lassen sich komplexe Themen nur anhand konkreter Zwecke und Ziele sinnvoll beurteilen. Der Zweck von Führung  ist, all jene Maßnahmen zu erkennen und zu setzen, welche für die notwendige Orientierung und Produktivität eines Unternehmens oder einer Institution erforderlich sind. Man könnte stark vereinfacht und verkürzt sagen, Führung ist wegen des Dunning-Kruger-Effekts erforderlich. Das Ziel von Führung sind hingegen die Gewinne. Dabei darf man jedoch nicht nur die monetären Gewinne vor Augen haben, dazu etwas später mehr.

Das Komplexitätsproblem - ein Hirnproblem

Wir haben es überall mit Wirkgefügen und dermaßen vielfältigen Wirkmustern zu tun, dass sie auch das beste Gehirn unmöglich vollständig erfassen kann. Komplexität ist daher eine natürliche Quelle von Informationsmangel, Wissensdefiziten und Irrationalität. Dass Komplexes per se irrationales Denken und Handeln hervorruft, ist seit dem Entstehen der Systemwissenschaften bekannt. Hier geht es nicht nur um den Dunning-Kruger-Effekt, sondern auch um das Phänomen der Kompetenzhygiene und die von mir beschriebene Komplexitätsfalle als Gesamtbild.

Negentropie & Entropie

In komplexen Systemen entstehen unfassbar viele verschiedene, höchst individuelle Wirkmuster. Diese können wir nur noch mit aufwändigen systemwissenschaftlichen Grundlagen und Methoden so weit identifizieren, dass wir doch verstehen können, was passiert, passieren könnte und unmöglich passieren kann. Dabei können wir davon ausgehen, dass Information die fundamentale Wirkkraft ist. Die Formel dazu lautet: Je weniger relevante Information, umso mehr Unordnung (Entropie), je mehr relevante Information, umso mehr Ordnung (Negentropie).

Notwendige Gewinne

Bevor man den angestrebten Geldgewinn verbuchen kann, muss daher zuvor vieles andere gewonnen werden: allen voran die Einsicht in das generelle Funktionieren aller und spezifische Funktionieren bestimmter komplexer Systeme, qualifizierte und motivierte Mitarbeiter, Aufmerksamkeit, Information, Erkenntnis, Vertrauen, Kooperation, system-, hirn- und empfängergerechte Worte, Texte, Bilder und Medien für gelingende Kommunikation sowie die jeweils geeignete Organisation, die für Überschaubarkeit und Machbarkeit sorgt.

Informations- & Wissensgesellschaft

Als Konsequenz dieser Aspekte gilt adäquate Bildung seit Langem als wichtigste Voraussetzung für nachhaltige Erfolge. Adäquates Wissen ist das entscheidende Relevanzfilter für das Gewinnen notwendiger Information. Deshalb war lange viel von der Informations- oder Wissensgesellschaft die Rede. Bislang ist sie weitgehend ohne deutliche Konsequenzen verklungen, vielleicht gerade wegen des Dunning-Kruger-Effekts. Ob eine solche moderne Gesellschaft jemals real wird, hängt vor allem von den aktiven Führungskräften ab.

Laws of InForMent

Ich habe in dieser Kolumne über viele Beiträge hinweg relevante Querverweise zu früheren Beiträgen verlinkt, in denen einzelne erwähnte  Aspekte eingehender behandelt wurden. Auf Dauer geht das leider auf Kosten der Überschaubarkeit. Deshalb biete ich diesmal mit meinen Laws of InForMent einen ganzheitlichen kompakten Überblick mit den wichtigsten Empfehlungen an. Hier finden Sie mein Video dazu.

1. Alles, was du wahrnimmst und denkst, sagt gleichzeitig, was du nicht wahrnimmst und denkst.

Das Gehirn ist quasi ein Wahrscheinlichkeitsrechner. Es erhält keine Information von außen, und es erkennt nicht, was es nicht erkennt. Es kreiert eine Wirklichkeit auf der Basis seiner bisherigen Lernvergangenheit und Erfahrungen; und mit Vorliebe das, was du erwartest, glaubst oder hoffst. Du kannst daher auch unmöglich wissen, was andere wissen. Beachte das, wenn du Entwicklungen anderer nachahmst, abschreibst, kopierst oder plagiierst.

2. Es gibt keinen einzigen Unterschied im Wahrnehmen von Fakten und Illusionen. Daraus entstehen Fehler.

Der Unterschied zeigt sich erst in den Erfolgen oder Misserfolgen. Man kann nie sicher sein, ob man irrt. Sicher abklären kann man Komplexes nur mit soliden systemwissenschaftlichen Methoden. Sie berücksichtigen das reiche Fehlerpotenzial und sehen geeignete Strategien dagegen vor. Achte darauf, dass du über solch hochwertiges Wissen keinen Unsinn verbreitest. Damit schadest du dir selbst und anderen.

3. Alles, was du erkennst, sagt mehr über dein Gehirn und dich, als über deine Umgebung, die du beobachtest.

Suche Fehler immer zuerst bei dir selbst. Vergiss, dass Fehler etwas Schlimmes sind. Sie sind das Natürlichste und Unvermeidlichste der Welt. Außerhalb von Gehirnen gibt es nur Signale und Daten, aber keine Information und kein Wissen. Versuche daher nicht, Wissen, das über Jahrzehnte entwickelt wurde und du noch nicht beherrscht, in wenigen Minuten erfassen und weitergeben zu wollen. Damit programmierst du Fehler.

4. Gestalte alles so, dass Fehler frühzeitig ohne Scham und Tadel erkannt und behoben werden können.

Misslingen ist natürlich und die Regel. Gelingen entsteht nur durch Zufall oder hochpräzise Organisation – von Gehirnen, Arbeitsgrundlagen und -vorgängen. Misslingen ist kein Grund für Aufregung, gelingen ist immer ein Grund zum Feiern. Wissen verändert sich durch die Kommunikation. Zitiere korrekt deine Quellen, damit jeder, der möchte, selbst überprüfen kann, was tatsächlich gemeint ist.

5. Mit allem, was du lernst, prägst du, was du erkennst. Achte daher gut darauf, von wem und was du lernst.

Der Mensch erkennt nur, was er schon kennt. Das Gehirn prüft nicht von selbst, was wahr sein, stimmen bzw. passen kann und was nicht. Das musst du selbst tun, mit einer zutreffenden Vorstellung von echter Professionalität. Denke immer daran: Echte Experten erkennen Laien auf den ersten Blick. Umgekehrt funktioniert das leider nicht. Achte auf die Unterschiede, die Experten hervorheben, nutzen und damit Situationen zum Besseren verändern.

6. Komplexes enthält enormen Interpretationsstoff und ein unfassbar vielfältiges Verhaltenspotenzial. Gebe dich daher nie mit ungeprüften Meinungen zufrieden, verlasse dich nie allein auf deine Erfahrung und Intuition.

Profis beachten, ob Illusionen und Interpretationen von Fakten unterschieden werden (können). Intuition und Erfahrung kommen aus der Vergangenheit. Sie haben oft nichts mit der Gegenwart zu tun. Prüfe daher genau, ob sich etwas wiederholt, oder ob du oder andere etwas Vergangenes mit Neuem verwechseln.

7. Betrachte etwas Komplexes niemals ohne die Hilfe solider kybernetischer Modelle faktischer Zusammenhänge und Wirkungen.

Komplexes genau genug zu verstehen, bedarf bestimmter Grundlagen und Werkzeuge, wenn rasch etwas Hilfreiches herauskommen soll. Du hast die Wahl, ob du deine Zeit und Energie für Chaos oder zunehmende Ordnung und Erfolge aufwendest. Der erfolgreiche Weg ist anfangs anstrengend, wird mit der Zeit aber immer einfacher. Der chaotische ist anfangs bequem, wird aber immer schwieriger.

8. Versuche bei Komplexem niemals durch direkte Eingriffe ein Problem zu lösen.

Komplexe Systeme steuern und regulieren sich selbst. Probleme bekommst du auf Dauer nur über ihre intrinsische Steuerung und Regulierung in den Griff. Finde daher heraus, wo immer du kannst, wie Dinge, Prozesse, Dynamiken bzw. Systeme tatsächlich entstehen und funktionieren. Erwarte von dir ebenso viel Professionalität, wie du sie von Ärzten und anderen erwartest, denen du dein Leben anvertraust.

9. Mach dir einen hilfreichen Begriff von intelligenten Systemen:vielseitige, die rasch relevante Informationen gewinnen, umsichtig nutzen und ihr Verhalten rasch und adäquat anpassen können.
Du kannst unmöglich alles selbst wissen und erforschen. Niemand kann das. Lass dich und andere immer von dem führen, der am besten Bescheid weiß. Es gibt immer etwas zu lernen. Es ist dafür nie zu früh und nie zu spät. Du und dein Umfeld verlieren keine Zeit, wenn ihr das Passende lernt. Ihr gewinnt Zeit, weil ihr das lernt.

10. Professionelle ganzheitliche Betrachtung ist immer auch gleichzeitige Betrachtung.

Kein Mensch kann Komplexes allein vollständig erfassen. Es ist zu viel für ein Gehirn. Es gibt nur eine Chance: Das Kollaborieren in intelligent organisierten Teams. Ein System im Auge zu behalten, während man Einzelheiten betrachtet, verlangt hohe Konzentration und eine spezielle Organisation. Wenn eines oder beides gerade nicht gegeben ist, solltest du die so gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse zumindest nicht überbewerten.

Eine praktische Kontrollfrage ist immer: Spinne ich? Oder spinnen die anderen? Fragen Sie Experten, deren Qualifikation von anderen Experten ihres Fachs voll anerkannt wird. Sie wissen ja, nur Experten können Experten realistisch beurteilen. Deren Input kommt letztlich monetär und erfolgstechnisch immer und überall am günstigsten.

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

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