Gute Vorbereitung ist alles

Management im Kopf: Folge 75. InForMent. Komplexität und Führung: Man erkennt nur, was man schon weiß und versteht.

Unternehmen und Institutionen sind hochkomplexe Systeme. Kann man sie überhaupt führen? Und wenn ja, wie? Aktuell bringt Maria Pruckner in ihrer Kolumne MANAGEMENT IM KOPF dazu Anregungenauf der Basis ihrer langjährigen Erfahrung mit der praktischen Anwendung verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften.

„Was würden sie als erstes in meiner Firma verbieten, wenn sie es dürften?“ Das fragte mich vor kurzem ein junger Unternehmer. „Unvorbereitet an Dinge herangehen“, war meine spontane Antwort. Er lachte lauthals auf. Fast unmittelbar danach baten mich drei ausgewiesene Experten bei einem Essen: „Kannst du bitte in deiner Kolumne einmal darüber schreiben, wie wichtig es ist, für Meetings gut vorbereitet zu sein?“ Wer aus den validen Systemwissenschaften die logischen Konsequenzen für das Meistern von Komplexem zieht, kann nur zu diesem Schluss kommen: Gute Vorbereitung ist alles, und zwar auf allen Seiten.

Man erkennt nur, was man schon weiß und versteht…

„Man erkennt nur, was man schon weiß und versteht", wusste nicht erst Goethe. Das sahen auch große Philosophen der Antike schon so. Dank heutiger Neuroforschung wissen wir heute sicher, warum das Gehirn tatsächlich für alles blind bleibt, worauf es nicht vorbereitet ist. Wir leben und arbeiten in einer Zeit radikaler Umbrüche und Innovationen. Man darf also davon ausgehen, dass es kontraproduktiv ist, sich allein auf seine alten Erfahrungen zu stützen. Man muss sich proaktiv informieren, was Sache ist, bevor man sie mit anderen bespricht. Und: Man sollte bei aller Agilität auch Bescheid wissen, mit wem man es zu tun hat.

Ich höre mir das mal an

Trotzdem gehen viele mit der Einstellung in Meetings, Vorträge, Workshops oder Seminare, die da lautet: Ich höre mir das mal an. „Überhaupt nichts kann durch Erzählen gewusst werden.“ So hat der außergewöhnliche Logiker und Universalgelehrte George Spencer Brown hat die Illusion entlarvt, man könne sich Wissen durch zusehen, zuhören oder lesen erwerben. Wissen erwirbt man sich nur durch das Erfahren der Ergebnisse eines Handelns. So zählt auch nicht die Anzahl der Besprechungen. Es zählen die Leistungen, die aus ihnen hervorgehen und die Ergebnisse, die durch diese erzielt werden.

Dafür hatte ich keine Zeit

„Haben Sie sich nicht vorbereitet? Sie wissen ja gar nicht, wovon wir sprechen!“, fragte ein Vorstand seinen Bereichsleiter. „Dafür hatte ich keine Zeit“, nahm der seine Ausflucht, und musste daraufhin folgende Antwort einstecken: „Das Gegenteil ist der Fall! Sie müssen sehr viel überflüssige Zeit haben, wenn Sie es sich leisten können, unvorbereitet in eine Besprechung zu kommen!“ Man verliert viel Zeit, wenn man nicht gut vorbereitet ist. Vor allem aber vergeudet man auch die wertvolle Zeit und Energie anderer. Das kommt nicht gut an.

Mit und ohne

In gut vorbereiteten Meetings werden die relevanten Themen und Fragen allen Teilnehmenden rechtzeitig bekannt gemacht. Diese arbeiten sich entsprechend ein, bereiten alle Fragen und Inputs ihrerseits dazu vor, die allenfalls relevant werden könnten, um sie im Meeting parat zu haben. Beim Zusammentreffen ist nur noch alles Nötige zu klären, die nächsten Schritte können präzise organisiert werden. Die Zuverlässigkeit nötiger Abläufe ist sichergestellt, und auch die umgehende Meldung und Adaption, wenn etwas nicht so läuft wie geplant. In Meetings ohne Vorbereitung entsteht innerhalb kürzester Zeit mehr oder weniger kaschiertes Chaos. Die Teilnehmenden verschwinden so orientierungslos bzw. fehlorientiert, wie sie das Meeting betreten haben.

Wo Informationen fehlen, fehlt es an Vorbereitung

Jedes System lässt sich umso besser steuern und regulieren, je mehr relevante Informationen dieses System über dieses System selbst gewinnen kann. Ist dieser Zustand nicht erreicht, ist ein Unternehmen wie ein Mensch, dessen Körper keine Signale abgibt, wenn er etwa Hunger, Durst, Fieber oder Verletzungen hat. Seine Gesundheit wäre rasch in Gefahr. Probleme entstehen immer durch fehlende, aber relevante Informationen. Meist fehlen sie mangels guter Vorbereitung. Man kann und muss nicht alle Informationen gewinnen, die es gäbe, aber um die relevanten muss man sich bemühen. Findet man sie trotzdem nicht, ist auch das wertvolle Information. Dann weiß man, woher Überraschungen kommen könnten und kann sich dafür rüsten.

Wer braucht was wann von wem?

Die Leitfrage für Vorbereitungen ist ganz einfach: Wer braucht welche Informationen und Ressourcen wann von wem, damit dieser seine Aufgabe erfolgreich und ökonomisch erledigen kann? Zu jeder guten Vorbereitung gehört auch das Bereitstellen nötiger Ressourcen, zumindest aber der möglichen, sollten die nötigen nicht vorhanden sein. Nur wenn die Mittel für Vorhaben bekannt sind, kann man realistisch einschätzen, welche man umsetzen kann und welche Luftschlösser bleiben werden, weitere Meetings daher überflüssig machen. Wer gut vorbereitet ist, kann realistische Angaben über die nötigen Fachleute, Lieferanten, Werkzeuge, Methoden, Abläufe, Zeit, mögliche Wirkungsfolgen und die damit verbundenen Kosten machen.

Vorher Zeit investieren, um sie nachher zu gewinnen

Etwas vorbereiten bedeutet, etwas herzustellen bzw. bereitzulegen, was man später braucht oder brauchen könnte, um erfolgreich handeln zu können. Selbstverständlich kosten auch gute Vorbereitungen Zeit. Man investiert sie vorher, um nachher schneller und besser als der Mitbewerb zu sein. Es steckt noch tief in vielen Köpfen, dass gute Arbeit sichtbar sein muss. Dieses Modell gilt aber nur, wo es auf körperliche Arbeit ankommt. Geistige Arbeit ist unsichtbar. Sie erst in den Meetings abzuwickeln, um sie sichtbar erscheinen zu lassen, ist kontraproduktiv. Wo ca. 80% Zeit zur persönlichen Vorbereitung und nur 20% für Interaktionen eingesetzt werden, läuft es markant schneller und besser.

Man kann ja nichts mehr vorbereiten…

Ich höre häufig das Argument, gute Vorbereitung sei wegen der Komplexität heutzutage nicht mehr möglich. Man müsse agil sein und alles aus dem Ärmel schütteln. Ja, ist cool, wenn man das Passende jederzeit aus dem Ärmel schütteln kann. Aber was da häufig so aus dem Ärmel geschüttelt wird, ist meist  kontraproduktive Komplexität. Dann prallen unterschiedlichste Eindrücke, Meinungen, Begehrlichkeiten, Befindlichkeiten und Missverständnisse unmodelliert und unmoderiert  aufeinander. Der Blick auf die Fakten gerät sofort aus dem Fokus. Man geht mit wirren Gedanken nach Hause, hat keine Aufmerksamkeit für sein privates Umfeld, weil man das Chaos im Kopf auch zu Hause noch verdauen muss, und man wird es bis zum nächsten Tag nicht los.

Eine universelle Strategie

Der Platzhalter „Komplexität“ spricht Situationen an, in denen unfassbar viele Faktoren mit unvorhersehbaren Ergebnissen zusammenwirken. Deshalb muss man immer auf alles vorbereitet sein. Dafür braucht man entweder eine sensationelle Mannschaft, die über sämtliche nötigen Expertisen und Ressourcen verfügt. Oder  eine universell verlässliche Strategie und Methode, mit der man allem Neuem und Unerwartetem trotz seiner Komplexität und Dynamik souverän und systematisch begegnen kann. Sie wird seit rund 70 Jahren von den Systemwissenschaften geliefert. Doch „das Allgemeinste“, so sinngemäß Aristoteles, „ist für die Menschen am schwierigsten zu erkennen, denn es liegt von der sinnlichen Wahrnehmung am weitesten entfernt.“

Vorbereitet auf die neue Zeit?

Die wichtigsten Begründer von Systemwissenschaften haben alles, was heute passiert, bereits in den 1950er-Jahren beschrieben. Sie wussten, dass man in der Welt von heute nur mit universell verlässlichen Heuristiken, Gesetzmäßigkeiten und Designprinzipien immer und überall auf alles zumindest so gut vorbereitet sein kann, dass einem die eigenen Torheiten nicht mehr in die Quere kommen können. Sie haben uns mit ihren Publikationen darauf vorbereitet. Aber wer auf Neues nicht schon vorbereitet ist, wird es erst aus den hier schon oft genannten Gründen gar nicht mitbekommen. Führungskräfte, die sich nicht aktiv und faktenbasiert mit den potenziellen Entwicklungen und Möglichkeiten der Zukunft auseinandersetzen, sind daher eine Fehlbesetzung.

Kliniken als praktisches Beispiel

Als Modell für komplexe produktive soziotechnische Systeme empfehle ich zur sicheren Orientierung gut geführte Kliniken. Der Großteil ihrer Aktivitäten dient nicht der Durchführung, sondern sorgfältigen Vorbereitung von Maßnahmen, weil Patienten Menschen, ergo enorm komplexe Systeme sind. Einen Blinddarm etwa könnte nach ein paarmal zusehen vermutlich fast jeder entfernen. Aber ihn so entfernen, dass es der Patient auch schadlos überlebt, erfordert mehr als ein Jahrzehnt an Vorbereitung durch eine entsprechende Ausbildung und ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur OP-Vorbereitung selbst, von der man als Patient nur den geringsten Bruchteil mitbekommt.

Eine drastische Situation

Der Jungunternehmer, der mich gefragt hat, was ich in seinem Unternehmen als erstes verbieten würde, wenn ich es dürfte, ist der Sohn eines Arztes. In seiner Firma gehe es ziemlich chaotisch zu, erzählte er. Sein Vater hätte ihn nun zur Seite genommen und ihm folgende Geschichte erzählt: „Junge, stell dir vor, jemand, der dir viel bedeutet, laboriert an einer ernsthaften Krankheit. Es geht ihm übel. Sein Arzt hat ihn durch eine Reihe von Untersuchungen geschickt. Endlich ist der Termin, an dem der Patient deren Ergebnisse und eine wirksame Behandlung erfahren soll. Sein Arzt empfängt ihn freundlich. Aber er hat die aktuellen Befunde weder parat, noch in seinem Kopf. Er kann sich auch gar nicht so recht erinnern, weshalb der Patient bei ihm war und zu welchen Untersuchungen er ihn geschickt hat. Er wundert sich über das eine oder andere, was ihm sein Patient darüber erzählt, und murmelt immer wieder so etwas wie „ach so…? ach so…?“ in seinen Bart hinein. Was würdest du über diesen Arzt denken?“ „Dass er entweder ein Blender sein muss, der sich nur als Arzt ausgibt, dass er krank ist oder einen Rausch hat!“, antwortete sein Sohn. „Genau. Drum, macht, was immer ihr wollt. Aber macht es gut vorbereitet…“

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

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