Wie führt man Menschen?

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Management im Kopf: Folge 82. Komplexität und Menschenführung: Eine allgemeine Orientierung.

Wie kann man mit komplexen Systemen erfolgreich umgehen? Diese Grundfrage von Führung und Management in der neuen Ära löst Maria Pruckner auf der Basis verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften. Die international anerkannte Pionierin auf diesem Gebiet behandelt in ihrer Kolumne ab Folge 81 Fragen der Menschenführung und empfiehlt dazu außerdem die Orientierung an den Menschenrechten.

In wirtschaftlich schlechten Zeiten erscheint das Führen von Menschen ziemlich leicht. Denn sobald sie fürchten, ihre Arbeit zu verlieren, Angst haben, keinen neuen Job mehr zu bekommen oder auch nur, nicht mehr genug zu verdienen, lassen viele viel mit sich machen und sind viele zu vielem bereit. Die Zeichen der Gegenwart sprechen wieder für bessere Zeiten. Können Menschen nicht mehr nur hier, sondern auch dort arbeiten und dafür selbst Bedingungen stellen, haben sie auch an das Verhalten von Führungskräften und Kollegen höhere Ansprüche. Darauf sollten sich insbesondere all jene vorbereiten, die noch nie in guten Zeiten geführt haben. Woran kann man sich orientieren?

Der allgemein gültige Rahmen

Es gibt nur einen einzigen allgemein gültigen Rahmen, den man sich für den Umgang mit Menschen nicht selbst aussuchen kann: die Gesetze des Rechtswesens. Ignoriert man sie, kann man verklagt und verurteilt werden. Je mehr Angst vor Arbeitslosigkeit herrscht, umso geringer die Wahrscheinlichkeit, dass Führungskräfte vor Gericht landen; je geringer diese Angst, umso höher wird sie. Die Frage ist allerdings, ob der gesetzliche Rahmen reicht, um mit anderen so zu kooperieren, dass der erforderliche wirtschaftliche Erfolg und die soziale Sicherheit erzielt und aufrechterhalten werden können. Das Rechtswesen hochentwickelter Staaten gibt dafür ziemlich viel her. In weniger entwickelten Staaten kann es zu viele Lücken aufweisen.

Eine Grundsatzfrage

Nicht nur Führungskräfte, alle Menschen sind gut beraten, die Gesetze zu kennen und zu achten. Für längerfristige Erfolge wird man sich darüber hinaus entscheiden müssen: Will man die Kooperation anderer durch Furcht und Angst erzielen? Oder durch das Ansprechen und Anregen ihrer Intelligenz? Anderen Menschen Angst zu machen, sie das Fürchten zu lehren, ist ganz einfach. Man muss nur die Faust ballen können und allemal auch verbal oder motorisch kraftvoll zuschlagen. Das können Leute besonders gut, die selbst von Furcht und Angst getrieben sind. Die zweite Strategie ist weitaus schwieriger. Um die Intelligenz anderer anzusprechen und anzuregen, muss man selbst intelligent sein. Man darf auch nicht von sich selbst ausgehen. Man muss sich in das Denken, Fühlen und die Bedürfnisse anderer hineinversetzen können.

Kann man jeden Menschen immer führen?

So gut wie jeder weiß das: Man kann das Verhalten anderer Menschen oft entweder beeinflussen, indem man ihnen Angst macht oder Furcht einjagt, oder indem man sie mit guten Argumenten und Angeboten überzeugt. Es gibt aber auch Menschen bzw. menschliche Verfassungen, bei denen jeder Versuch des Beeinflussens scheitert. Dahinter steckt der allgemeine Umstand, dass Menschen komplexe Systeme sind. Damit sind sie leider nur offen für den Austausch von Energie und Materie, aber grundsätzlich verschlossen für den Austausch von Information. Deshalb ist die Sprache mit der Faust so wirksam. Deshalb kann man sich ein bestimmtes Verhalten von Menschen mit Geld erkaufen, zum Beispiel mit einem regelmäßig ausbezahlten Gehalt, einem Honorar, Taschengeld, Eiscreme oder durch Bestechung.

Glauben und Wollen

Hinter jedem menschlichen Verhalten steckt immer irgendeine Art Kalkül. Menschen lassen sich letztlich immer von dem leiten, was sie selbst glauben und wollen. Deshalb lassen sie sich auch durch gekonnte Lügen bewegen, allerdings nur so lange sie Lügnern vertrauen. Mit Kalkül meine ich nicht nur das Berechnen möglicher Vor- und Nachteile. Dazu gehört auch das Kalkül anhand von Grundsätzen und Wertvorstellungen. Letztlich spielt dabei eine ganz besondere Rolle das hyperkomplexe Kalkül menschlicher Neuronen. Der Mensch hat schon seine eigene Neuronen-Aktivitäten nie voll in der Hand, und schon gar nicht jene anderer. Sie unterliegt einer unfassbaren Eigendynamik des menschlichen Innenlebens. Deshalb ist es oft sehr schwer, und manchmal auch unmöglich, sich selbst oder andere zu verstehen und zu führen.

In guten wie in schlechten Zeiten

In der neuen Ära spielen zudem die unerwünschten Nebenwirkungen rasant zunehmender hochdynamischer Komplexität mit: die Angst vor dem Unbekannten, Ungewissen, Undurchschaubarem und Nichtvorhersagbarem. Herrschen Furcht und Angst, entsteht bald einmal der infantile Wunsch, irgendein Übermensch möge einen aus seiner nebulösen Lage befreien. Ist man für komplexitätsbedingten Stress nicht ausreichend geschult und trainiert, wird man rasch wieder zum Kleinkind, das nach dem starken Papa oder der löwenhaften Mama ruft, weil man merkt, dass man einer Situation selbst nicht gewachsen ist. Es ist dann gar nicht mehr wichtig, ob ein solch auserkorener Übermensch die vorliegenden Probleme tatsächlich lösen kann. Wichtig ist dann nur noch, ob er in der Lage ist, dies glauben zu machen. Denn das beruhigt auf die Schnelle. Wie die Geschichte immer wieder zeigt, erweisen sich Menschen, die man zu solchen Rettern gekürt hat, bald einmal als Dämonen, oder wie man heute differenzierter sagt, als krankhaft ausgeprägte Narzissten.

Erfolg und so…

Genauer hingesehen, sind Furcht und Angst die denkbar schlechtesten Führungskräfte. Denn sie können nur eines: (wirtschaftlich) schlechte Zeiten noch schlechter machen und unnötig in die Länge ziehen. Furcht und Angst verhindern die Lern-, Regenerations- und Leistungsfähigkeit. Sie blockieren die Kreativität, Problemlösungs- und Innovationskraft. Angst und Furcht boykottieren also all das, was menschliche Leistung zwecks wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit und höherer Lebensqualität hervorbringen muss/soll.

Menschenführung – eine Glaubensfrage

Jeder Mensch ist und tickt komplexitätsbedingt einzigartig. Jeder reagiert auf bestimmte Situationen anders und auf gleiche Situationen nicht immer gleich. Nicht alle halten gleich viel von Regeln, und nicht alle halten von vielen Regeln das gleiche. Egal, ob es darum geht, wie man Menschen am besten führt, oder darum, wie weit die eigene Führungsleistung für den Erfolg einer Gruppe verantwortlich ist: Letztlich sind die Fragen der Menschenführung in jeder Hinsicht Glaubensfragen. Eine Frage, welche Theorien man kennt und glaubt, welchen Menschen, Nachrichten und Botschaften, welchen Versprechungen. Es ist auch eine Frage, was man von sich selbst glaubt und was von anderen. Es sind Glaubensfragen, weil es auf Beziehungsfragen keine sicheren Antworten gibt.

Menschenführung – eine Beziehungsfrage

Menschen haben aber auch vieles gemeinsam. Angeborene menschliche Grundbedürfnisse zum Beispiel. Sie sind allerdings weitaus komplexer, als sie mit der bekannten Bedürfnispyramide von Abraham Maslow dargestellt werden. Ich arbeite mit zwölf wechselwirkenden Parametern eines Modells angeborener Grundbedürfnisse aus der Pflegeforschung. Es orientiert sich an den Menschenrechten, ich habe es zu Führungszwecken weiterentwickelt. Meine Schüler kennen es unter der Abkürzung GBS. Denn Menschenführung ist die wechselseitige Frage vom Umgang mit menschlichen Bedürfnissen, mit den eigenen und mit den Bedürfnissen anderer: Was brauche/will ich vom anderen und was will/braucht der andere von mir? Menschenführung ist keine einseitige, es ist eine wechselseitige Angelegenheit; sie braucht immer das Verstehen und Kooperieren des jeweiligen Gegenübers. Fehlt dies, gibt es keine Führung.

Alle Führungsfragen sind Beziehungsfragen

Alle Führungsfragen sind Beziehungsfragen. Sie lassen sich nicht auf der Sachebene verstehen wie eine chemische Formel, die Höhe des Stephansdoms oder Länge der Donau. Sie sind philosophischer Natur, Fragen der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften, eine Frage erforderlicher Allgemeinbildung. Dazu zähle ich das Kennen und Verstehen der Menschenrechte. Allein schon die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gibt zahlreiche Hinweise für eine Menschenführung, von der man sich mehr versprechen darf, als das Beugen und Brechen von Menschen. Um dies deutlich zu machen, habe ich im folgenden Abschnitt das politische Bezugssystem aus der Präambel entfernt, diese stark verkürzt, sprachlich vereinfacht und analoge Begriffe aus dem Management in eckige Klammern gesetzt.

Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden

„Die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden basiert auf dem Anerkennen der angeborenen Würde sowie der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Menschen. Bleibt deren Anerkennung aus oder verachtet man diese, führt dies zu Barbarei, die allgemeine Empörung auslöst. Das höchste Streben des Menschen gilt einer [Arbeits-]Welt, in der alle Menschen Rede- und Glaubensfreiheit genießen sowie die Freiheit von Furcht und Not. Damit Menschen nicht zum Aufstand gezwungen werden – als letztes Mittel gegen Tyrannei und Unterdrückung – ist es notwendig, die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen. Mit dem Ziel, freundschaftliche Beziehungen zu entwickeln und zu fördern – für den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen in größerer Freiheit. Für das volle Erfüllen der Menschenrechte ist ein gemeinsames Verständnis dieser Rechte und Freiheiten von größter Wichtigkeit. Dies ist das von allen zu erreichende gemeinsame Ideal, damit jeder Einzelne und alle Organe sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten, und damit sie sich bemühen, die Achtung vor diesen Rechten und Freiheiten durch Unterricht und Erziehung zu fördern …“

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

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