Führen, Schlichten und Richten

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Management im Kopf: Folge 87. Komplexität und Menschenführung: Der grundsätzliche Umgang mit Konflikten.

Wie kann man mit komplexen Systemen erfolgreich umgehen? Diese Grundfrage von Führung und Management in der neuen Ära löst Maria Pruckner auf der Basis verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften. Die international anerkannte Pionierin auf diesem Gebiet behandelt in ihrer Kolumne ab Folge 81 Fragen der Menschenführung und empfiehlt dazu außerdem die Orientierung an den Menschenrechten.

Es gibt im Grunde zwei Hauptmerkmale, die eine professionelle Führungskraft in Sachen Menschenführung auszeichnet. Das eine ist die Fähigkeit, mit (!) ihren Interaktionspartnern Ordnung und Kooperation sicherzustellen. Das andere ist die Eignung, zusammen mit anderen im Rahmen eines Unternehmens oder einer anderen produktiven Einheit wirtschaftliche Erfolge zu erzielen. Die erste ist die Voraussetzung für die zweite, vor allem aber ist die erste die Fähigkeit, Menschen anzuleiten, sich selbst zu führen.

Die Anforderungen

Menschenführung beginnt damit, geistigen und zwischenmenschlichen Konflikten vorzubeugen und endet damit, das Vertrauen der Menschen zu verdienen, die man führt. Ist das einmal oder öfter nicht gelungen, müssen Führungskräfte Konflikte professionell diagnostizieren und fair schlichten. Lassen sich Konflikte nicht mehr schlichten, müssen sie zu Richtern werden. Von Mitarbeitern werden sie an ihrer Gerechtigkeit gemessen und von ihren Chefs an ihrem wirtschaftlichen Erfolg. Daraus entstehen nicht gerade selten für Führungskräfte innere Konflikte, die sie meistern müssen. All das setzt verlässliches Wissen aus der Konfliktforschung voraus.

Nährboden für unnötige Komplexität

Konflikte gehören zu den wirksamsten Nährböden für unnötige Komplexität, sie sind daher der erste Grund, weshalb es Führungskräfte nicht nur für die Unternehmensführung braucht, sondern auch für die Menschenführung. Weil nicht nur Mitarbeiter geführt werden müssen, sondern auch Kunden, Lieferanten, Kollegen, Chefs, Mitbewerber, Ansprechpartner der öffentlichen Verwaltung, Journalisten usw., spreche ich von Menschenführung und nicht nur von Mitarbeiterführung.

Konflikte

Konflikte entstehen, wenn unvereinbare Bedürfnisse, Erwartungen, Vorstellungen, Interessen, Auffassungen, Wertvorstellungen, Ziele und dergleichen aufeinandertreffen. Das kann im Geistes- und Gefühlsleben innerhalb einer Person passieren, dann spricht man von intrapersonalen Konflikten. Konflikte kommen aber auch zwischen Menschen vor, dann spricht man von interpersonellen Konflikten. Nicht unerwähnt lassen möchte ich Konflikte mit der Realität, die auftreten, wenn sich eine Situation deutlich anders entwickelt, als man erwartet hat und letztlich Systemkonflikte, die sich zwischen Funktionseinheiten von Menschen oder in der Technik ereignen können.

Konflikte - eine Auswahl

Um über soziale Konfliktformen von A bis Z einen Überblick zu geben, habe ich für Interessierte auf Wikipedia zugegriffen. Professionelle Führungskräfte sollten sie unterscheiden können: Ambivalenzkonflikt, Appetenz-Aversions-Konflikt, Annäherungskonflikt, Bedürfniskonflikt, Beziehungskonflikt, Führungskonflikt, Identitätskonflikt, Informationskonflikt, Interessenkonflikt, Legitimationskonflikt, Mittelkonflikt, Motivkonflikt, Qualifizierungskonflikt, Rollenkonflikt, Statuskonflikt, Strategiekonflikt, Wertekonflikt, Ziel-Mittel-Konflikt und Zielkonflikt. Diese Sammlung macht vielleicht klar, weshalb die Komplexität in der heutigen Zeit exponentiell ansteigt. Das heutige Verhaltenspotenzial von Mensch und Technik erlaubt hier unendlich viele verschiedene Erscheinungsformen, die Führungskräfte treffend identifizieren können müssen.

Konfliktvermeidung?

Nicht von ungefähr war Kurt Lewin, einer der bedeutendsten Sozialpsychologen des 20. Jahrhunderts, ein maßgeblicher Mitbegründer der Kybernetik - der Systemwissenschaft für komplexe, zweck- und zielorientierte Systeme. Denn man kann nicht so einfach dafür sorgen, dass die unterschiedlichen Anliegen und Auffassungen von Menschen so mit der jeweiligen Situation und Anforderung vereinbar sind, dass es keine Konflikte gibt. Es ist wie mit der Gesundheit. Auch sie kann man auch nur präventiv erhalten, wenn man die möglichen Krankheiten kennt und weiß, was krank macht.

Am Anfang steht die Lagebeurteilung

Was denken, fühlen und wollen die Menschen und wie passt das mit den Anforderungen unserer Aufgaben zusammen? Das ist die Frage, die professionelle Führungskräfte laufend klären. Dabei ist das beste Mittel der Wahl nicht unbedingt die direkte Befragung der jeweiligen Personen. Denn als Antwort kommt besonders in Abhängigkeitsverhältnissen nicht unbedingt die Wahrheit heraus, sondern das, was in der Befragungssituation als opportun erscheint. Wesentlich hilfreicher ist das aufmerksame Beobachten und Zuhören, wovon und wie Menschen sprechen, wenn sie sich spontan äußern, ohne gefragt zu werden. Das ist zwar anstrengend, aber weitaus aufschlussreicher.

Das Wirkgefüge im Auge

Alle Menschen sprechen ununterbrochen von ihren Anliegen, Bedürfnissen und Problemen. Sie tun es nur nicht immer explizit. Das bedeutet nun nicht, dass man zwischen den Zeilen oder Gedanken lesen können muss. Es genügt, deren Äußerungen und Verhalten durch valide Filter realitätsgerechter System-Modelle laufen zu lassen, welche das Wirkgefüge im jeweils relevanten Kontext deutlich machen. Dann wird rasch klar, ob es sich um Konflikte handelt, um welche, ob und wie sie gelöst werden können. Hat man solche Modelle nicht, setzt man sich immer dem Sog eines Strudels aus, der sich aus der Dynamik des eigenen Innenlebens und jenem der anderen ergibt – einem Strudel, der einen erfolglos macht.

Gesunde Distanz

Die Lösung liegt immer in der zutreffenden Diagnose. Ein guter Diagnostiker sucht immer die gesunde Distanz – zu sich selbst, zu seinem jeweiligen Gegenüber, zu allen Beteiligten und Betroffenen des Konflikts. Er lässt sich weder von seiner eigenen spontanen Meinung noch von anderen Meinungen leiten, aber er hört sich diese sehr genau an, um zu verstehen, was die Menschen vor Augen haben, was und wie sie denken. Der Fokus seiner Aufmerksamkeit gilt aber immer den tatsächlich wirksamen Zusammenhängen, den nur dort finden sich tatsächliche Lösungsansätze.

Der Kontext

Konflikte sind das eine, die Kontexte, in denen sie ablaufen,  das andere. So mancher zwischenmenschliche oder geistige Konflikt tritt zwar im Rahmen einer Führungssituation auf, hat aber für die gemeinsame Aufgabe keine Bedeutung, auch wenn sich das jemand einbildet. Dann muss man als Führungskraft aufzeigen, dass dieser Konflikt in diesem Kontext keine Rolle spielt, und den Betroffenen einladen, die Situation mit gesundem Abstand zu betrachten. Das gelingt zwar auch nicht immer, aber völlig kontraproduktiv ist es, den Konflikt, den jemand erlebt, in Abrede zu stellen. Das verschärft die Lage nur. Andere Konflikte in Führungssituationen sind elementar für den Erfolg. Dann geht es ebenso darum, den Handlungsrahmen aufzuzeigen.

Verhältnisse klären

Es macht zwar einen großen Unterschied, ob sich Menschen freiwillig zusammengetan haben, um gemeinsam etwas zu verwirklichen, oder ob sie sich vertraglich dazu verpflichtet haben. Aber in beiden Fällen geht es darum, Konflikte so aufzuklären, dass klar wird, was wessen Problem ist, das der jeweilige nur selbst lösen kann und muss, was die Probleme sind, die gemeinsam gelöst werden müssen und welche Probleme aufgrund der Natur und Situation überhaupt nicht gelöst werden können – mit welchen man also leben lernen muss und wie man mit ihnen am besten leben kann. All diese Fragen zielen immer auf das Verständnis der Situationslogik und die Selbstführung des Einzelnen ab. Das erklärt, weshalb sich umfassend gebildete Führungskräfte in solchen Situationen deutlich leichter tun als zu einseitig gebildete.

Gerechtigkeit

Es ist nicht die Aufgabe von Führungskräften, unter Menschen die totale Harmonie herzustellen. Das können nur alle gemeinsam, und das kann gerade auch trotz vorhandener Konflikte gelingen, wenn alle klug genug mit ihnen umgehen. Führungskräfte, die gute Lehrer sind, können das massiv fördern. Dazu gehört es, sich niemals nur von der Sicht einer oder nur einiger Seiten leiten zu lassen, sondern immer die Sicht aller Betroffen und Beteiligten zu hören, diese Sichten einander gegenüberzustellen und zudem aufzuzeigen, was die Situation tatsächlich verlangt. Es geht also nicht nur um die Gerechtigkeit zwischen den Menschen, es geht immer auch darum, wie alle zusammen ihrer Aufgabe gerecht werden können.

Richten

Es wird immer Konflikte geben, die Dritte lösen müssen, weil die Beteiligten nicht dazu in der Lage sind. Dann sind primär Führungskräfte gefordert, und dann müssen sie wie gute Richter vorgehen können. Das können sie nur, wenn sie die gültigen Gesetze der Gesellschaft sowie die Menschenrechte kennen und einhalten, tragfähige allgemein sinnvolle Regeln innerhalb der Organisation aufgebaut und vorweg sinnvolle Sanktionen überlegt und aufgezeigt haben, also vorhersehbar gemacht, was passieren wird, wenn… Das wird am besten gelingen, wenn sich Führungskräfte auch ihr eigenes Verhalten Tag für Tag mit den Augen eines klugen und fairen Richters reflektieren.


Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

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