Viability – worum es heute gehen muss

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Management im Kopf: Folge 89. Komplexität und Menschenführung: Ein verlässliches Führungsmodell für die komplexe Welt.

Wie kann man mit komplexen Systemen erfolgreich umgehen? Diese Grundfrage von Führung und Management in der neuen Ära löst Maria Pruckner auf der Basis verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften. Die international anerkannte Pionierin auf diesem Gebiet behandelt in ihrer Kolumne ab Folge 81 Fragen der Menschenführung und empfiehlt dazu außerdem die Orientierung an den Menschenrechten.

Sind Sie verantwortlich dafür, dass eine oder mehrere Personen, ein Team, eine Belegschaft, Ihre Kinder, Familie, ein Verein oder dergleichen bestimmte Zustände und Ereignisse herbeiführen – Ordnung zum Beispiel oder Erfolge? Möchten Sie, dass andere nach Ihrer Pfeife tanzen? Oder ist es für Sie selbstverständlich, dass andere ihr Verhalten ausschließlich nach Ihren Vorstellungen ausrichten? Drei unterschiedliche Motive des Führens, aber welche davon führen wohin?

Geben und Nehmen

Bei allem, was wir heute über komplexe Systeme und Beziehungen wissen, gibt es gute Gründe, zu glauben, dass nachhaltiger Erfolg vor allem von Kooperation abhängt, also von einem ausgewogenen wechselseitigen Geben und Nehmen. Sobald es nicht nur um das Befriedigen persönlicher Bedürfnisse geht, macht das Führen von Menschen also Arbeit, und es kostet einen bestimmten Einsatz. Wer Menschen führen, aber dafür nichts von sich hergeben möchte, hat bald nicht nur dieses Problem, sondern auch viele andere.

Egomanen

Bestimmte Persönlichkeiten brauchen es für ihr Wohlbefinden, dass andere sich an ihre Vorstellungen anpassen und ihre Bedürfnisse erfüllen. Von Kooperation fehlt ihnen jede Idee, wenn nicht gar das Bewusstsein dafür, dass es sie überhaupt gibt und dass sie unter Menschen notwendig ist. Meist nennt man sie Egomanen oder Egozentriker, weil sie selbst als Mittelpunkt der Welt gelten möchten. Erfolge eines größeren Ganzen interessieren sie nicht. Wichtig ist ihnen nur, dass sich alles um sie dreht. Ihnen fehlt jede Hemmung, Aufmerksamkeit für sich selbst zu erzielen. Das wird gerne mit Führungsstärke verwechselt. Allerdings nur, bis sich zeigt, dass die Leistungen solcher Menschen ziemlich bescheiden ausfallen. Die Welt um sie als Mittelpunkt bricht früher oder später weg. Spätestens, wenn sie keine Macht und kein Geld mehr haben, kräht kein Hahn mehr nach ihnen.

Götter

Ganz ähnlich ist es mit dem ausgeprägten Narzissten. Er meint, er sei der über alles Herrschende. Oft sagt er von sich selbst, er sei Gott und glaubt das auch. Ausgeprägte Narzissten gehen davon aus, dass die Aufmerksamkeit und Leistung anderer uneingeschränkt ihnen gehört. Andere zu entwerten, gängeln und übervorteilen gehört zu ihrem Tagesgeschäft. Wer Gott ist, weiß und kann alles. Lernen haben Narzissten drum nicht nötig. Das macht sie nicht besonders schlau. Aber sie sind besonders gut darin, das Wissen und Können anderer als ihr eigenes hinzustellen. Das Problem dabei ist, dass sie dieses aber bestenfalls nur zufällig richtig verstehen. Was auch nur ein bisschen anspruchsvoller ist, interpretieren sie falsch. Solche Typen entlarven sich selbst, wenn sie anspruchsvollere Probleme selbst lösen müssen. Das bekommen sie nicht auf die Reihe. Sobald sich niemand mehr dafür hergibt, ihre Angelegenheiten zu lösen, stehen sie ziemlich blöd da.

Klassische Führungspersönlichkeiten?

Betrachtet man die Magazine der vergangenen Jahrzehnte (man kann auch Jahrhunderte zurückgehen), zeigt sich, dass Egomanen und Narzissten so gut wie fast immer als große Führungspersönlichkeiten dargestellt werden. Einerseits, weil sie sich besonders gerne in Führungspositionen drängen. Andererseits, weil sie entsprechende Prominenz in der Öffentlichkeit suchen. Letztlich, weil ihr präpotentes Verhalten mit Führungsstärke verwechselt wird. Für nicht gerade Wenige werden solche Menschen zu Modellen, die sie imitieren, um selbst als Führungspersönlichkeit dazustehen. In der Psychologie werden entsprechend ausgeprägte Egomanie sowie Narzissmus als krankhafte Störungen behandelt. Sollte man überlegen, ob man sich krankhafte Persönlichkeitstypen zum Vorbild nehmen möchte?

Bessere Modelle

Es gibt bessere Modelle, um sich in der Menschenführung zu bewähren. Sie sind bloß nicht so deutlich sichtbar. Sie setzen sich daher auch nicht so leicht durch. Auch imitiert werden können sie nicht ohne weiteres. Vielleicht ist es ein Trost, zu bedenken, dass Nachahmung ohnehin nur ein erster bescheidener Lernschritt ist, dem viele andere folgen müssen, bevor man etwas wirklich beherrscht. Die besseren Modelle der Menschenführung geben kein Abbild davon, wie sich Führungspersönlichkeiten kleiden und geben. Sie zeigen auf, was man über die Bedürfnisse, Kooperationsbereitschaft und Leistungsfähigkeit von Menschen wissen, beachten und anwenden muss sowie über die Kommunikation mit ihnen.

Viabilität

Gerade für die neue Zeit der global vernetzten, ziemlich wankenden Welt gibt es ein einfaches, in jedem Fall verlässliches Basis-Modell, um sich selbst, andere Menschen und ganze Leistungsbereiche zu führen: Viabilität. Es kommt aus den Systemwissenschaften und der Komplexitätsforschung. Gemeint ist mit Viabilität so viel wie Realitätstauglichkeit und Lebensfähigkeit. Hier geht es darum, seinem Dasein auf der Welt, dem Umgang mit Menschen, anderen Lebewesen, Dingen und Situationen so gewachsen zu sein, dass man sie heil überlebt und man sich in ihrer Umgebung gesund weiterentwickeln kann. Viabilität ergibt sich vor allem aus der Fähigkeit, das Nötige über Veränderungen in seiner Umgebung rasch genug zu lernen, um sich erfolgreich an sie anpassen zu können. Viabilität meint also mehr als Agilität. Man muss sein Verhalten nicht nur rasch verändern können, sondern auch so, dass es nachhaltig erfolgreich ist; dass man also mit der Lösung eines Problems nicht aus Unwissen viele andere Probleme erzeugt.

Echtes Führen

Viables Wahrnehmen, Denken, Wissen, Handeln und Verhalten hat den Charakter, für die jeweilige Situation passend, durchführbar, brauchbar, funktional, zweckdienlich, zielführend oder dergleichen zu sein. Nichts ist in komplexen Verhältnissen wichtiger. Denn sie lassen zwar das Entstehen vielfältigster Meinungen und Wünsche zu. Aber nur wenige davon helfen bzw. funktionieren beim Lösen von Aufgaben oder Problemen auch tatsächlich. Der Begriff der Viabilität geht auf Ernst von Glasersfeld zurück. In den klassischen Systemwissenschaften hegt man allgemein diesen Anspruch und Ansatz: Wissen wird nicht als eine Abbildung von einer Realität verstanden, sagt also nicht, was etwas ist und wie. Wissen wird hier als etwas verstanden, was der Anpassung an eine Realität dienen kann oder eben nicht.

Wer nicht sich selbst meint, dem gibt man alle Schlüssel…

Echtes und nachhaltig erfolgreiches Führen baut seit eh und je auf Viabilität auf. Was gedacht und getan wird, muss zum Erfolg führen, andernfalls passt es nicht. So einfach und klar denken echte Führungskräfte. Entsprechend schnell lernen und denken sie um, wenn etwas nicht wie gewollt läuft. Sie interessiert nur, die wahren Probleme zu erkennen und die besten Lösungen herbeizuführen. Das macht sie auf Dauer erfolgreicher als andere. Das führt dazu, dass sich mit der Zeit immer mehr Leute von ihnen führen lassen. „Was der sagt, funktioniert.“ „Der meint es gut mit mir. Der will, dass ich auch erfolgreich bin.“ „Von dem kann ich nicht nur etwas lernen, von dem will ich etwas lernen.“ Solches in etwa hört man über echte Führungspersönlichkeiten. Der Beziehungsphilosoph Martin Buber hat es so auf den Punkt gebracht: „Wer nicht sich selbst meint, dem gibt man alle Schlüssel.“

Zwecke und Ziele

Weshalb sollte man Menschen eigentlich führen? Wie bei allen komplexen Themen kommt man auch hier mit der Frage nach den jeweiligen Zwecken und Zielen am besten voran. Insbesondere, wenn man Zwecke und Ziele klar zu unterscheiden weiß. Das kybernetische Modell dazu schlägt vor, unter Zweck den Nutzen zu verstehen, den man einem Gegenüber in einer Austauschbeziehung bringt. Unter einem Ziel versteht man hier den Gewinn, den man aus dieser Austauschbeziehung ziehen muss, um den Nutzen in dieser überhaupt erbringen zu können. Auch Menschenführung ist somit, wie alle Vorgänge in Austauschbeziehungen, die Frage eines ausbalancierten Gebens und Nehmens. Heute geht es mehr denn je um den Austausch von Information und Wissen. Hier kommt es nicht auf die Quantität an, sondern auf die Qualität. Je viabler Information und Wissen, umso chancenreicher. Und immer schon ging es um faire Vergütung. Nur wenn hier die Balance stimmt, werden die Beziehungen lange genug halten und wird man in diesen Beziehungen führen können.

Völlig daneben

Für Egomanen und Narzissten gibt es nur ihren eigenen Nutzen und ihre eigenen Gewinne. Die anderer sind für sie nicht relevant. Es gibt daher auch keinen fairen Austausch mit ihnen. Es gibt nur Ausbeutung durch sie. Sie interessieren sich nicht für ihre Umgebung, erkennen daher Situationen nicht, in denen Anpassung auch für sie selbst von Vorteil wäre. All ihr Tun zielt darauf ab, ihre Umgebung für sich selbst zurechtzubiegen. Ihre Umgebung ist aber grundsätzlich komplexer als sie selbst. Sie müssen daran auf Dauer zwangsläufig scheitern. Selbstsüchtige kommen nur durch Menschen weiter, die sich ausbeuten lassen. Eine Kuh, die immer nur gemolken, aber nie gefüttert wird, gibt irgendwann keine Milch mehr. Von Ausgebeuteten ist irgendwann nichts mehr zu holen. Deshalb bleibt man auf Egotrips früher oder später auf der Strecke. Auf jeden Fall aber bleibt man auf diese Weise ziemlich blöd. Und das ist das Blödeste, was einem in der Welt von heute passieren kann.

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

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