Wie führt man professionelle Chefs?

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Management im Kopf: Folge 95. Komplexität und Menschenführung: Wie Mitarbeiter am nützlichsten sind.

Wie kann man mit komplexen Systemen erfolgreich umgehen? Diese Grundfrage von Führung und Management in der neuen Ära löst Maria Pruckner auf der Basis verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften. Die international anerkannte Pionierin auf diesem Gebiet behandelt in ihrer Kolumne ab Folge 81 Fragen der Menschenführung und empfiehlt dazu außerdem die Orientierung an den Menschenrechten.

Alles, was in Unternehmen und Institutionen mit dem Verwirklichen von Zwecken und Zielen und mit dem Scheitern solcher Vorhaben zu tun hat, basiert auf wechselseitigen Abhängigkeiten. Jeder ist von jedem abhängig und von allen Werkzeugen und Mitteln, die das Erzielen von Erfolgen verlangt. Erst anhand dieser Abhängigkeiten wird die Komplexität eines Betriebs spürbar. Denn sobald etwas, mehreres oder vieles nicht so läuft wie es soll, zeigt sich, dass die Menschen, ihre Infrastruktur, Ausrüstung und Mittel nicht nur das tun können, was sie sollen, sondern darüber hinaus noch vieles anderes. Wobei so manches davon den angestrebten Erfolgen zuwider wirkt. Professionelle Chefs sorgen dafür, dass innerhalb dieser Abhängigkeiten passieren kann, was passieren soll. Und sie verhindern soweit wie möglich, dass nicht passiert, was nicht passieren soll. Dabei sind auch sie von allen und allem abhängig, besonders davon, dass sie von ihren Mitarbeitern professionell geführt werden.

Die schalldichte Tür

Es war etwas Entsetzliches passiert, und es war bereits öffentlich bekannt. Genau das wollte eine Mitarbeiterin der untersten Ebene verhindern, aber sie war gescheitert. Dabei war alles Gute, was diese Einrichtung hervorbringen konnte, vom tiefen Vertrauen der Bevölkerung abhängig. Die Besten des Fachs im Land waren hier beschäftigt, und ja, leider auch ein Blindgänger. Sie hatte seit Wochen vor irreversiblen Folgen gewarnt, weil etwas – Näheres tut hier nichts zur Sache – ernsthaft aus dem Ruder gelaufen war. Erst jetzt konnte sie mit dem Direktor des Hauses darüber sprechen. Er galt als anspruchsvoll. Als jemand, der gute Leute weit über das Übliche hinaus förderte, und als einer, der mit Stümpern streng verfuhr. Auf Letzteres hatte sie sich eingestellt. Aber der Vorgesetzte blieb ganz ruhig. „Da“, sagte er und wies auf seine Bürotür, „sehen Sie diese Tür? Sie ist sehr dick gepolstert. Durch diese Tür geht kein Ton von hier hinaus. Man kann hier mit mir über alles offen sprechen. Aber leider kommt durch diese Tür auch kein Ton zu mir herein. Ich habe von ihren Warnungen kein Wort erfahren.“

Abhängigkeit

Diesem Direktor war zutiefst bewusst, dass das Erreichen der möglichen Qualität der Leistungen seines Hauses vom vollen Einsatz seiner Leute abhängig war, von deren Verantwortungsbewusstsein, Qualifikation und vor allem davon, dass er frühzeitig von Mängeln erfuhr, die nur noch er beheben konnte. Bewusst war ihm auch, dass nicht alle im Haus seine Qualitätsansprüche teilten, und dass es so manchem in seiner Belegschaft daran gelegen war, besser dazustehen vor ihm als er war. Zu seiner Strenge stand er. Und man darf festhalten, dass es ihm nur äußerst selten passierte, dass er an einer falschen Stelle strenge Kritik fallen ließ. War dies doch der Fall war, war es ihm selbst am peinlichsten, und er war sich dann nicht zu gut, sich dafür in aller Form zu entschuldigen. Was er hasste, waren Feigheit und Falschheit, und ihm „schlechte Nachrichten“ vorzuenthalten, war für ihn das größte aller Übel. Er gab der Mitarbeiterin, die ihn vergeblich zu warnen versucht hatte, seine private Telefonnummer: „Bitte, rufen Sie mich zu jeder Tages- und Nachtzeit an, wenn wieder etwas Kritisches vor sich geht. Aber sagen Sie niemandem, dass Sie meine Nummer haben.“ Viel, viel später erst erfuhr diese Mitarbeiterin, dass alle im Haus, die das volle Vertrauen dieses Direktors hatten, über seine private Telefonnummer verfügten.

Was professionelle Chefs von Mitarbeitern brauchen

Diese Geschichte soll zeigen, wie abhängig Chefs davon sind, dass sie relevante Informationen rechtzeitig erfahren, die sie durch eigene Beobachtungen unmöglich selbst gewinnen können. Damit ist das Wichtigste darüber, was das erfolgreiche Führen von professionellen Chefs verlangt, bereits beantwortet: Chefs brauchen die erfolgsrelevanten Informationen ihrer Mitarbeiter, und zwar nicht erst, wenn bereits alles den Bach hinunter gelaufen ist, sondern schon wenn es Anzeichen dafür gibt, dass dies geschehen könnte. Damit sind wir auch schon beim entscheidenden Punkt, mit dem man bei professionellen Chefs angenehm und unangenehm auffallen kann: bei der Relevanz von Informationen. Das erfolgreiche Führen von Chefs beginnt damit, zu wissen, welche Nachrichten, Hinweise und Fragen für sie wichtig und hilfreich sind, und welche einfach nur nerven.

Qualifizierte Zuarbeit

Am besten stellt man sich vor: Als Mitarbeiter ist man dazu da, seinen Vorgesetzten zu helfen, gute Arbeit zu machen. Mit dieser Vorstellung wird es restlos logisch, sie einfach zu fragen: Was wollen Sie sofort erfahren? Was sobald als möglich? Was erst bei Gelegenheit? Professionelle Chefs sind dankbar für diese Frage. Nun gibt es für viele Mitarbeiter auch Aufgaben, die neu für sie sind, mit denen sie noch keine Erfahrungen haben. Auch dazu kann man professionelle Chefs fragen: Wie soll das genau aussehen? Was muss ich darüber wissen? Worauf muss ich besonders achten? Was könnte alles schiefgehen, wie können wir das verhindern? An wen kann ich mich wenden, wenn es nicht klappt? Dann gibt es für so manchen auch Situationen, die er beherrschen sollte, aber doch nicht so gut im Griff hat. Da hilft nur rasch lernen, sich Hilfe holen oder die Aufgabe abgeben, bevor man an ihr scheitert. Mogeln bringt nichts. Professionelle Chefs erkennen früher als betroffene Mitarbeiter, ob sie einer Sache nicht gewachsen sind. Unter anderem an den Fragen und Hinweisen, die von ihnen kommen. 

Meister der Zeit

Es ist eine berühmte Legende, dass man die wertvolle Zeit von Chefs möglichst nicht beanspruchen darf. Professionelle Chefs machen hier einen deutlichen Unterschied. Sie stellen die Frage nach der Zeit wofür. Für Wichtiges, Sinnvolles und Hilfreiches finden sie immer Zeit. Sie verlangen auch nicht, dass schriftliche Mitteilungen über komplexe Situationen auf zwei, drei Sätze verdichtet werden. Sie verlangen, dass man sich die Mühe macht, rechtzeitig, klar strukturiert und vollständig zu informieren. Auch die Legende, dass man als Überbringer schlechter Nachrichten als Erster seinen Kopf verliert, hat gegenüber professionellen Chefs keine Gültigkeit. Im Gegenteil, sie erfahren lieber früher als später, wenn etwas nicht wie gewünscht funktioniert. Dann nämlich können sie rechtzeitig ihre eigenen Möglichkeiten einsetzen, dazu sind sie nämlich da. Professionelle Chefs wissen, dass sie permanent im Wettlauf mit der Eigendynamik der komplexen Systeme stehen, für deren Steuerung und Regulierung sie verantwortlich sind. Sie verbarrikadieren sich daher nicht in ihren Büros, sondern sorgen dafür, dass sie rasch und sicher erreicht werden können.

Qualifiziertes Unwissen

Selbstverständlich sind an dieser Stelle noch viele Fragen offen. Viele von ihnen lassen sich nur solide beantworten, wenn man die jeweilige Situation gut genug kennt. Aber eines hilft Mitarbeitern immer: Die allgemeine Situation von Führungskräften zu kennen, die, in der alle Chefs stehen, unabhängig davon, was, wo und wen sie führen. Beschrieben werden diese Situationen in guten Fachbüchern über General Management oder Unternehmensführung. Ob es die Essays von Peter F. Drucker sind, die Lehrbücher von Hans Ulrich und seinen Schülern an der damaligen Hochschule und heutigen Universität St. Gallen: Diese Literatur lässt nichts aus, sie berücksichtigt die mächtigen Kräfte, die mit hoher Komplexität und Dynamik einhergehen. Wie Führungssituationen tatsächlich sind, wird zwar erst klar, wenn man solche Positionen selbst innehat. Doch durch gute Bücher erreicht man qualifiziertes Unwissen über Management/Führung. Man weiß mit ihrer Hilfe, was man nicht weiß und Chefs daher fragen kann bzw. muss. Man weiß dann, was professionellen Chefs am besten hilft.

Lagebeurteilung

Chefs müssen täglich vieles entscheiden, immer mit dem Blick auf das Ganze, immer mit der Frage, was eine Bewegung an einer Stelle im gesamten System auslöst. Das können sie nur dann gut, wenn sie gut genug über die aktuelle Lage und relevante Veränderungen informiert sind. Was hat sich verändert wie gewünscht und was, wie nicht gewünscht? Was ist erledigt, mit welchem Erfolg und woran wird mit welchem Erfolg noch gearbeitet? Was läuft wie vereinbart? Was läuft anders als geplant? Das vor allem wollen professionelle Chefs immer wissen. Die Kunst, Chefs erfolgreich zu führen, liegt kurz gesagt, in der eigenen Professionalität…

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

(Maria Pruckner)

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