Wie führt man heute Mitarbeiter?

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Management im Kopf: Folge 97. Komplexität und Menschenführung: Welche Rahmenbedingungen entscheidend sind.

Wie kann man mit komplexen Systemen erfolgreich umgehen? Diese Grundfrage von Führung und Management in der neuen Ära löst Maria Pruckner auf der Basis verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften. Die international anerkannte Pionierin auf diesem Gebiet behandelt in ihrer Kolumne ab Folge 81 Fragen der Menschenführung und empfiehlt dazu außerdem die Orientierung an den Menschenrechten.

Führungskraft zu sein, bedeutet unter anderem einen höheren Status in der Hierarchie, ein höheres Einkommen und nicht zuletzt eine höhere Verantwortung. Erst die höhere Verantwortung rechtfertigt den höheren Verdienst und höheren Status. Unter gesunden Umständen bezieht sie sich einerseits darauf, die Unternehmensziele zu erreichen, andererseits darauf, für Mitarbeiter menschenwürdige Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie bestmögliche Arbeit leisten können. Unübersehbar hängen diese beiden Anforderungen zirkulär zusammen. Die Leistungsmöglichkeiten und der Leistungserfolg bilden eine Rückkoppelung, in der sich beide wechselseitig verbessern, verschlechtern oder blockieren; wie alles, wodurch sich ein Unternehmen bildet und entwickelt. Wer Mitarbeiter erfolgreich führen möchte, lenkt daher seine Aufmerksamkeit nicht primär auf ihre einzelnen Persönlichkeiten, sondern auf das System, das sie bilden und in dem sie interagieren.

Nichttriviale „Maschinen“

Menschen und die produktiven sozialen Systeme, in denen sie arbeiten (Teams, Abteilungen, Bereiche, ganze Unternehmen oder Institutionen) weisen die typischen Charakteristika komplexer Systeme auf. Komplexe Systeme nennt man nach Heinz von Foerster häufig auch Nichttriviale „Maschinen“, weil sie quasi völlig anders ticken als so genannte „einfache Systeme“, die man nach derselben Herkunft auch Triviale „Maschinen“ nennt. Diese beiden Systemarten unterscheiden sich in ihrer Funktionsweise in vieler Hinsicht. Hier nur das wichtigste Unterscheidungsmerkmal: Kennt man den Input einer Trivialen Maschine, kennt man auch ihren Output. Bei der nicht Nichttrivialen Maschine kann man den Output nicht vom Input ableiten. Das macht das erfolgreiche Führen an sich und das Führen von Menschen bzw. Mitarbeitern nicht ganz einfach. Denn das Funktionsprinzip komplexer Systeme erlaubt es nicht, für die Mitarbeiterführung bestimmte Inputs zu empfehlen, die erfolgreiche Outputs versprechen.

Hyperkomplex-dynamische Arbeitswelt

Mitarbeiter sind nicht nur selbst komplexe Systeme, sie stecken heute in ihrer Arbeitswelt auch in Systemen, die man gewiss als hyperkomplex und hyperdynamisch bezeichnen kann. Zu den besonderen Eigenschaften komplexer Systeme gehört u.a. ihre Nicht-Durchschaubarkeit, Nicht-Vorhersagbarkeit, eigendynamische Selbststeuerung und Selbstregulierung und ihre enorme Fehler- und Störanfälligkeit. All das stellt per se eine enorme Belastung für arbeitende Menschen dar, die es im heutigen Ausmaß vor 40 Jahren noch nicht gab. Beseitigen lässt sie sich erst, wenn im Management aus den speziellen Eigenschaften komplexer Systeme die logischen Konsequenzen gezogen werden. Denn aus ihnen resultieren Überforderung, Stress und Burnout. Die daraus bedingte Lowperformance zu diskreditieren oder tabuisieren, wird nicht reichen. Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten: Ein mehr oder weniger schnelles Sterben komplexer Systeme an einer „Krankheit“ namens „Entropie“. Oder ein mehr oder weniger schnelles Heranreifen komplexer intelligenter, höchst lebens-, leistungs- und innovationsfähiger Systeme. Für das Erste muss man nur das Falsche oder gar nichts tun, für das Zweite muss man komplexen Systemen ihrer Natur gemäß begegnen. Das ist auf weiten Strecken bislang die Ausnahme, nicht die Regel.

Information

Den passenden Umgang mit Mitarbeitern (und anderen komplexen Systemen) findet man, wenn man vom Fundamentalsten ausgeht. Nämlich von der Frage, wodurch komplexe Systeme tun, was sie tun und können, was sie können. Dank der Systemwissenschaften wissen wir, dass das Funktionieren, die Effektivität und Effizienz komplexer Systeme abhängig ist von der zweck- und zielrelevanten Information, die sie gewinnen und zweck- und zielgerichtet verarbeiten können. Nun haben es komplexe Systeme an sich, dass der Mensch unmöglich alle relevanten Informationen über sie gewinnen kann. Sein Gehirn lässt das nicht zu. Auch von der Künstlichen Intelligenz sollte man hier nicht allzu viel erwarten. Auch sie wird von Menschen erzeugt, aber – wie die Ereignisse der jüngeren Geschichte zeigen – keineswegs beherrscht. Die Frage ist daher: Unter welchen Rahmenbedingungen haben Menschen die höchsten Chancen, möglichst rasch möglichst viel relevante Information für das Lösen ihrer Aufgaben zu gewinnen?

Neugierde, Wissen und die Abwesenheit von Angst und Stress

Unter welchen Bedingungen gerät ein Gehirn in höchste Leistungsfähigkeit? Wann ist es in der Lage, maximal mögliche Information aufzunehmen und sinnvoll zu verarbeiten? Das Wichtigste dafür sind der Besitz von erforderlichem Wissen, die Neugierde auf das relevante vorder- und hintergründige Geschehen sowie die Abwesenheit von Angst und Stress. Ohne Neugierde wird die nötige Aufmerksamkeit für das Relevante ausbleiben. Ohne adäquate Bildung lässt sich das Relevante an Nachrichten und Beobachtungen nicht zutreffend herausfiltern, nicht korrekt deuten und deren Bedeutung nicht passend einschätzen. Angst und Stress blockieren die Informationsaufnahme und das vernünftige Denken. Angst und Stress führen dazu, dass Menschen nicht mit ihren Aufgaben, sondern mit sich selbst, ihren Befindlichkeiten beschäftigt sind. Bevor Chefs größeren und nachhaltigen Erfolg erreichen, müssen sie diese vier Voraussetzungen geschaffen haben.

Biologische Computer

Komplexe Systeme (und damit u.a. auch Menschen/Mitarbeiter) steuern und regulieren sich selbst. Das heißt, Impulse von außen haben auf ihr Verhalten keinen direkten oder gar keinen Einfluss. Das heißt unter anderem, was ihnen Führungskräfte sagen und mit ihnen tun, hat allein für sich kaum Bedeutung. Bedeutung hat, was die Mitarbeiter damit machen. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich, wie entscheidend es heute ist, die grundlegenden Erkenntnisse über das Funktionieren und Verhalten komplexer Systeme zu kennen und beherrschen: Komplexe Systeme funktionieren zwar auf der Basis von Information und Kommunikation. Aber die Kommunikation ist von Natur aus so angelegt, dass sie per se nicht funktioniert. Sie klappt erst, wenn kommunizierende Systeme über dieselben Codes verfügen und die entsprechende Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitungskapazität füreinander haben. Das mag Ihnen vom Computer her bekannt vorkommen. So ist es auch. Er ist ein relativ primitiver Nachbau des menschlichen Nervensystems und Gehirns. Es braucht eine bestimmte Hardware, um bestimmte Software installieren zu können, und es braucht bestimmte Software, um bestimmte Daten korrekt dekodieren zu können. Beim Menschen ist das ein gesunder Körper, adäquate Bildung und die nötige Aufmerksamkeit, fokussiert auf das Relevante.

Die Konsequenzen

Zieht man aus diesen wenigen Faktoren die logischen Konsequenzen, wird rasch klar, was Führungskräfte heute und morgen leisten können müssen. Erstens, die speziellen Eigenschaften komplexer Systeme müssen ihnen klar sein. Zweitens müssen sie die logischen Konsequenzen dieser Eigenschaften für ihre Führungsarbeit ziehen können. Drittens müssen sie die hirnbedingten Reaktionen des menschlichen Gehirns auf die speziellen Eigenschaften komplexer Systeme verstehen. Viertens müssen sie wissen und beherrschen, wie man komplexe Systeme erfolgreich gestalten und ihr zweck- und zielgerichtetes Verhalten erfolgreich beeinflussen kann. Nun könnten die einen oder anderen Leser und Leserinnen sagen, sie wüssten all das nicht und hätten trotzdem Erfolg. Das kann gut so sein. Der Erfolg liegt dann aber weniger an ihnen als an der Klugheit ihrer Mitarbeiter…

Macht und Überlegenheit

Weil man nie genug über sie wissen kann und weil sie immer wieder Unerwartetes mit sich bringen, machen komplexe Systeme per se Angst. Die natürliche Reaktion auf Komplexes ist – gut erforscht – Stress. Stress hat für den Unternehmenserfolg nur negative Konsequenzen. Der Pfad erfolgreicher Mitarbeiterführung eröffnet sich daher mit der Frage, welche Informationen für das erfolgreiche Lösen von Aufgaben und Problemen durch Mitarbeiter jeweils relevant sind. Daraus ergibt sich die Frage, wie diese Informationen am besten gewonnen und erfolgreich genutzt werden können. Daraus ergibt sich die Frage, wie es zu Rahmenbedingungen kommt, in denen man sich mit voller Aufmerksamkeit ohne Angst und Stress für das Relevante engagieren kann und sein Bestes geben. Damit brechen die traditionellen Klischees von Führungskräften zusammen. Denn diese Fragen zeigen, dass es völlig egal ist, wie jemand seine Macht und Überlegenheit demonstriert. Entscheidend ist, wie mächtig und überlegen sich die Leistungskraft von Teams am Markt zeigt.

Informationsmacht

In meinen eigenen Führungskräfteausbildungen habe ich noch gelernt, dass das Zurückhalten von Information oder anders gesagt, der Informationsvorsprung von Chefs, zu den stärksten Möglichkeiten gehört, seine Macht zu steigern. Man sprach von Informationsmacht. Spätestens heute darf man das Gegenteil annehmen: Wer als Führungskraft relevante Information für seine Mitarbeiter zurückhält, nicht imstande ist, sie zu liefern bzw. nicht weiß, um welche Informationen es geht und wie sie am ehesten gewonnen werden können, der hat bereits verloren, auch wenn er von seinen Chefs ehalten wird. Wer heute Mitarbeiter erfolgreich führen möchte, muss in der Lage sein, sie das Relevante adäquat zu lehren bzw. jene Personen einzusetzen, die ihnen das Nötige erfolgreich nahebringen können.

Sollwerte

Komplexe Systeme (und damit so gut wie alles, worauf es für unternehmerischen Erfolg ankommt) steuern und regulieren sich selbst, und zwar aufgrund eigener innerer Soll-Werte. Sie geben vor, was vom System angenommen und akzeptiert wird und was korrigiert, vergütet bzw. verstärkt wird. Bevor eine Führungskraft wissen kann, wie sie sich jeweils verhalten soll, muss sie über einen Werterahmen verfügen, der im ganzen Unternehmen gilt, und einen davon abgeleiteten für den eigenen Bereich, der spezifischer gehalten ist. Ein solcher Rahmen gibt vor, was das Ergebnis der Selbstführung der Mitarbeiter sein soll und wodurch ihnen Führungskräfte gute Arbeit ermöglichen und erleichtern können. Mehr dazu in vielen bisherigen Beiträgen und mehr über die viel diskutierten Werte demnächst.

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

(Maria Pruckner)

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