Negatives Feedback, genau genommen

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Management im Kopf: Folge 102. Komplexität und Menschenführung: geben, nehmen, besser machen.

Wie kann man mit komplexen Systemen erfolgreich umgehen? Diese Grundfrage von Führung und Management in der neuen Ära löst Maria Pruckner auf der Basis verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften. Die international anerkannte Pionierin auf diesem Gebiet behandelt in ihrer Kolumne ab Folge 81 Fragen der Menschenführung und empfiehlt dazu außerdem die Orientierung an den Menschenrechten.

Das Schöne am gekonnten Lösen komplexer Probleme ist: Setzt man quasi an den „neuralgischen Knoten“ in Systemen an, von denen viele Engpässe ausgehen, verschwinden viele Probleme auf einmal. Im Rahmen der Systemwissenschaften suchte man u.a. die generell wirksamen „Knoten“, die das bestmögliche Gelingen erlauben und die zum Misslingen, zu Krisen und Zusammenbrüchen führen. Sie alle fanden sich nicht in bestimmten Objekten/Subjekten, sondern in bestimmten Vorgängen in den Beziehungen zwischen ihnen. Diesmal als Anregung zur Menschenführung über Engpässe in Beziehungen, und: Was Negatives Feedback in den Systemwissenschaften bedeutet.

Januswörter

Bevor ich zum Wesentlichen komme, ein paar Worte über Januswörter. Den Januskopf kennt man: Ein Kopf, der nach vorne und hinten je ein unterschiedliches Gesicht hat. Januswörter sind Wörter, die für gegensätzliche Bedeutungen stehen. Beispiele: Mit dem Begriff Quantensprung meint man in der Physik die winzigste Veränderung eines Zustands, in der Umgangssprache einen besonders großen Fortschritt. Transparenz bedeutet eigentlich, dass etwas unsichtbar ist; umgangssprachlich meint man damit aber auch, dass alle Hinweise über etwas vorhanden und verständlich sind. Abdecken bedeutet einerseits, dass man etwas zu-, andererseits, dass man etwas aufdeckt. Mit Negativem Feedback meint man in der Wissenschaft Ergebnisse, die dafür stehen, dass ein Engpass in Form eines Mangels oder Fehlers beseitigt wurde. In der Umgangssprache meint man mit „negativem Feedback“ eine Kritik, die auf Mängel oder Fehler hinweist. 

Weshalb so unklug?

Ein Seminarteilnehmer hat mich einmal gefragt, weshalb man in der Kybernetik so unklug war, den Begriff „Negatives Feedback“ für das Gegenteil von dem zu verwenden, was man in der Gesellschaft darunter versteht. Man könnte diese Frage so stehen lassen, hätte man diesen Begriff in der Gesellschaft bereits verwendet, bevor man ihn in der Kybernetik erfunden hat. Angebracht ist vielmehr die Gegenfrage: Weshalb ist man in der Gesellschaft so unklug und verwendet „Negatives Feedback“ (wie viele andere ursprünglich wissenschaftliche Begriffe) für das Gegenteil von dem, was man in der Wissenschaft darunter versteht? 

Wie wird etwas besser oder schlechter?

Meine innige Liebe für die Kybernetik kommt aus meiner Faulheit. Mich hat von Anfang an fasziniert, wie konsequent sich diese Wissenschaft auf das Wesentliche konzentriert, wie beharrlich sie den einfachsten Weg gesucht hat, auf dem man herausfinden kann, wodurch etwas besser oder schlechter wird. Zwei einfache, wahrlich verlässliche Merkmale haben sich auf dieser Suche gefunden: Die Verhältnisse werden auf allen Seiten besser, wenn Mängel und Fehler rechtzeitig erkannt und behoben werden, oder ein zu viel von etwas im nötigen Ausmaß reduziert wird. 

Zurückfüttern

Mit anderen Worten hängt alles Gelingen und Misslingen davon ab, wie rasch und intelligent Engpässe oder Überladungen/Überlastungen aller Art gelöst werden. „Feed“ bedeutet u.a. füttern, sich oder andere ernähren, hochpäppeln. „Back“ bedeutet „zurück“. Die kybernetische Bedeutung von „Feedback“ steht konkret für ein „Zurückfüttern“, zum Beispiel nach einer erhaltenen Leistung/Lieferung oder das Beheben von Mängeln bzw. Fehlern. Angesprochen wird damit der Austausch, der in Beziehungen stattfindet. Bewertet wird anhand verschiedener Qualitäten von Feedback, ob die jeweiligen Parts einer Beziehung für die andere Seite das beitragen, was diese braucht.

Negatives und Positives Feedback

Wird in einer Austauschbeziehung ein Mangel oder Fehler beseitigt, beziehungsweise ein zu viel von etwas reduziert, spricht man in der Kybernetik von Negativem Feedback. Es handelt sich hier also um eine Art von Korrektur, in der etwas entfernt, weggenommen wurde. Wird hingegen die Qualität eines Ergebnisses durch den nächsten Beitrag verstärkt, entsteht also mehr vom selben, spricht man vom Positivem Feedback. Entscheidend ist in Austauschbeziehungen, erkennt A was B braucht und kann A dies beitragen oder nicht, und wie sieht es umgekehrt mit B aus?

Erkenntnis kann man nicht empfangen

Das Erkennen der nötigen Beiträge für ein Gegenüber klappt oft nicht. Das ist einer der größten immer und überall auftretenden Engpässe, wenn nicht der größte. Auch die dafür verantwortlichen Umstände waren ein zentrales Thema der Kybernetik:

Information lässt sich nicht übertragen. Signale können zwar gesendet und wahrgenommen werden, aber bei weitem nicht immer und nicht alle. Was sich weder senden noch empfangen lässt, ist die Erkenntnis, die durch Signale ausgelöst werden soll. Erkenntnisse entstehen nicht durch Signale, sondern nur durch Lernprozesse.

Fehlerintelligenz

Wertstiftende Menschenführung liefert daher immer Beiträge, die helfen, dass richtig verstanden werden kann, was mit jeweiligen Botschaften gemeint ist. Das setzt voraus, dass man das Phänomen der Kommunikation auf dem heutigen Stand der Wissenschaft ausreichend versteht. Spätestens wenn man das verstanden hat, wird es selbstverständlich, dafür zu sorgen, dass man sich darauf konzentriert, richtig verstehen zu wollen, was ein Gegenüber mit seinen Worten und Zeichen tatsächlich gemeint hat. 

Egoismus, einen Schritt weiter gedacht

„A geht es besser, wenn es B besser geht, und umgekehrt.“ Mit dieser Maxime brachte Heinz von Foerster in Bezug auf Engpässe auf den Punkt, was Systeme besonders leistungsfähig, lebensfähig, innovativ und langlebig macht. Wenn es A gut haben möchte, muss A dafür sorgen, dass es B besser geht; d.h. all jenen Seiten, von denen das Wohlergehen von A abhängig ist. Wenn es auch B gut haben möchte, muss B dafür sorgen, dass A hat, was er braucht. Wenn eine Seite nur nimmt, aber mit dem Geben geizt, schadet sie nicht nur ihrem Gegenüber, sondern auch sich selbst, weil das Gegenüber früher oder später als Quelle vertrocknen wird. 

Ausbeutung 

Es zeigt sich als generelles Muster: Wenn sie nicht mit dem Notwendigen versorgt werden oder sich nicht selbst versorgen können, verschlechtern sich der Zustand und die Leistungen von Menschen, anderen Lebewesen und Dingen, sie gehen mit der Zeit kaputt. Infolge führt diese Ausbeutung auch beim Ausbeuter zu Engpässen, die ihm schaden und ihn mit der Zeit zerstören. Ich weiß, dass an solchen Stellen das Anführen praktischer Beispiele erwartet wird. Gegenvorschlag: Suchen Sie selbst Beispiele, auf welche diese Aussage eindeutig nicht zutrifft. 

Die Killer von Möglichkeiten

Als weiteres generelles Muster zeigt sich, dass die Leistungs-, Lebens- und Evolutionsfähigkeit von Systemen umso besser wird, je rascher und mehr relevante Informationen (= Erkenntnisse) für das Erfüllen ihrer Zwecke und Erreichen ihrer Ziele gewonnen und erfolgreich umgesetzt werden können. In Kurzform bedeutet das: Information ist wichtiger als Geld. Immaterielles/Geistiges ist wichtiger als Materielles. Wer das ignoriert, geht als Killer von Möglichkeiten und Chancen durch die Welt und durch sein eigenes Leben. 

Die teuerste Einsparung 

Natürlich kann man höhere Geldgewinne schreiben, wenn man zum Beispiel nicht in gute Fortbildungsprogramme investiert. Morgen aber lassen sich relevante Wissens- und Informationsdefizite nicht mehr lösen. Wo Wissens- und Informationsmängel nicht rasch genug behoben werden, nehmen sie automatisch zu. Auch dieses Phänomen zeigt sich als generelles Muster, man nennt es Entropie. Profis kennen es heute nur zu gut. Sie verlassen Umgebungen, in denen man zu wenig weiß bzw. lernt, so schnell wie ein brennendes Haus. 

Goldesel?

Menschen an sich, Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten im Speziellen, sind keine Esel, die aus beiden Enden des Verdauungstrakts Gold von sich geben, wenn man mit den Gebrüdern Grimm „Bricklebrit“ oder in heutiger Manier irgendetwas anderes sagt. Man muss ihnen vorher geben, was sie brauchen, genug Orientierung, die nötige Ausstattung, das notwendige Personal, Budget, und so weiter, damit man nachher bekommt, was man von ihnen will.

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

(Maria Pruckner)

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